14 - Wenn der König fällt

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Königin Ophelia war tot.

Hale selbst hatte es nicht über das Herz gebracht, die kraftlose Frau von ihren Schmerzen zu befreien, weshalb er den Dolch einer jungen Ärztin in die Hand gedrückt hatte.

Seit dem Vorfall mit Shade hatte Hale sich geschworen, nie wieder einem unschuldigen Menschen das Leben zu nehmen.

Die einzige Person, die Hale höchstpersönlich töten wollte, war König Arvid.

Ein Mann, der seine Macht ausnutzte und ausschließlich für böse Zwecke einsetzte, durfte nicht über die ganze Welt regieren. König Arvid musste gestoppt werden.

Noch heute!

Der Dolch, den Hale nach dem Tod der Königin gesäubert hatte, brannte unangenehm in seiner Hosentasche. Am liebsten hätte Hale die spitze Klinge sofort in das Herz von König Arvid gerammt, doch er musste geduldig sein.

Jeder sollte sehen, wie der König fiel.

Mit dem letzten Herzschlag von König Arvid wären Hayden und Hale die rechtmäßigen Herrscher des ersten Sektors. Dann könnten sie für Frieden sorgen und endlich wieder Gleichgewicht in eine Welt, die von Hass und Gewalt dominiert wurde, bringen.

Doch was am allerwichtigsten war: Sobald König Arvid tot war, konnten Hayden und Hale zurück in ihre Heimat Ashland. Dorthin, wo sie hingehörten.

„Ist alles okay?" Novalees besorgte Stimme schnitt sich durch Hales kreisende Gedanken. Kurz zuckte Hale erschrocken zusammen, ehe er den Blick hob und von Novalees himmelblauen Augen gefangen genommen wurde.

Sofort strömte ein warmes Gefühl der Vertrautheit durch Hales zitternden Körper.

„A-Alles bestens", zwang er sich zu einem tapferen Lächeln.

„Okay", murmelte Novalee leise. Zwar konnte sie Hale ansehen, dass er von Zweifeln und Angst zerfressen wurde, doch Novalee wagte es nicht, diese Tatsachen laut auszusprechen.

Hale war ein Weltenspringer. Die Welt, in der er normalerweise lebte, war vermutlich ganz anders.

Novalee musste rücksichtsvoller mit Hale sein.

„Der König möchte in ein paar Stunden eine Ansprache halten. Vermutlich erklärt er das weitere Vorgehen", erzählte Novalee, was sie von ein paar Angestellten des Königshauses aufgeschnappt hatte. „Das wäre die perfekte Gelegenheit, um ihn zu Fall zu bringen."

Hale nickte abwesend.

Seine kaffeebraunen Augen ruhten auf Hayden, die weinend am Boden saß und sich die Haare raufte.

Hale wusste genau, woran Hayden gerade dachte: An den Selbstmord von Shade. Vermutlich würde sie dieses grausame Ereignis ein Leben lang prägen.

Hale hatte Mitleid mit Hayden. Zwar mochte er die kleine Nervensäge von nebenan immer noch nicht, doch ihre verweinten Augen lösten ein Gefühl des Unwohlseins in Hales Magen aus.

Shade war Haydens Bezugsperson in dieser fremden Welt gewesen. Ihn verloren zu haben, musste sich schrecklich anfühlen.

Augenblicklich wünschte sich Hale, dass er den Schmerz von Haydens Herzen nehmen könnte, aber leider war das unmöglich.

„Gib ihr etwas Zeit", drang Novalees Stimme wie durch Watte gedämpft zu Hales Ohren hindurch. „Sei für sie da, wenn sie eine Schulter zum Ausweinen braucht und biete ihr ein offenes Ohr zum Zuhören an. Irgendwann wird der Schmerz nachlassen, aber die Narben wird Hayden ewig spüren."

Novalee wusste, wovon sie sprach. Sie hatte nämlich nicht nur ihren Bruder verloren, sondern auch vor vielen Jahren ihre Eltern. Ein Leben ohne Schmerz und Sehnsucht war für Novalee unvorstellbar.

In einer Zeit nach dir und mirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt