„Das soll wohl ein Scherz sein, oder?" Kommissar Stevens verengt seine dunkelbraunen Augen zu schmalen Schlitzen. Als wäre er ein wildes Raubtier, das gerade seine Beute ins Visier genommen hat, funkelt er Hayden Reed verärgert an.
Er hat extra seine Mittagspause verschoben, um sich die Geschichte des verschollen geglaubten Mädchens anzuhören, doch wie sich nun herausstellt, war das die reinste Zeitverschwendung.
Jedes Wort, das Haydens zittrige Lippen verlässt, klingt in Kommissar Stevens Ohren wie eine Lüge.
‚Sicherlich ist sie noch nicht wieder ganz bei Verstand', versucht er Haydens wirre Aussagen zu rechtfertigen.
Über einen ganzen Monat wurden Hayden Reed und ihr Nachbar Hale Dexter vermisst.
Damals gab es keine Hinweise, die auf eine Entführung oder schlimmstenfalls einen Mord hingedeutet haben.
Hayden Reed und Hale Dexter waren einfach weg. Spurlos verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt.
Zu Beginn dachten die Polizisten, dass die beiden Teenager von zu Hause weggelaufen seien, doch als sie nach ein paar Tagen immer noch als vermisst gemeldet wurden, fingen sie mit der Suche nach ihnen an.
Weder Hayden noch Hale konnte gefunden werden.
Wie durch ein Wunder ist Hayden auf einmal am vergangenen Abend wieder in ihrem Heimatdorf aufgetaucht. Seitdem redet sie ununterbrochen von einem antiken Zauberspiegel, einem Paralleluniversum und Hale Dexter, der von den Schattenwächtern des dritten Sektors gefangen gehalten wird.
Kommissar Stevens ist der Meinung, dass Hayden in ihrer langen Abwesenheit ein schreckliches Trauma erlitten haben muss. Anders kann er sich ihre konfusen Erzählungen nicht erklären.
Am besten lässt er sie ein paar Tage zur Ruhe kommen, bevor er sie erneut zu dem Verschwinden von Hale Dexter befragt.
„Tut mir leid, Hayden, aber für so einen Hokuspokus mit Paralleluniversen habe ich gerade echt keine Zeit", murmelt der Kommissar genervt.
Er ist mit der Hoffnung hergekommen, Informationen zu Hales Aufenthaltsort zu erhalten, nicht aber, um sich ausgedachte Märchengeschichten eines traumatisierten Mädchens anzuhören.
„Melde dich bei mir, sobald du dich wieder an euer Verschwinden erinnern kannst, ja?" Mit diesen Worten kehrt Kommissar Stevens der aufgewühlten Hayden den Rücken zu. Ohne ihr noch einen letzten Blick zuzuwerfen, klettert er die knarrende Holzleiter, die von dem verstaubten Dachboden in das zweite Obergeschoss führt, hinab.
„Hale wurde in einen Spiegel eingesogen und ist jetzt in einem Paralleluniversum gefangen", wiederholt er spöttisch die Worte, die Hayden noch vor wenigen Minuten zu ihm gesagt hat. „Dass ich nicht lache. Bestimmt ist das Mädchen noch auf Beruhigungsmitteln oder Drogen."
Kommissar Stevens erreicht gerade das Erdgeschoss und ist erleichtert, endlich das Haus der Reeds verlassen zu können, als plötzlich ein ohrenzerreißender Schrei von den Wänden widerhallt.
Sein Puls schießt sofort wie auf einer Achterbahnfahrt in die Höhe, während er sich umdreht und dann mit schnellen Schritten die vielen Treppenstufen erklimmt.
„Hayden?", ruft er panisch.
Mit jeder Sekunde, die verstreicht und in der keine Antwort folgt, wächst die Panik in Kommissar Stevens Körper. Die Angst lähmt ihn und schnürt ihm beinahe die Kehle zu.
„Hayden?!"
Kommissar Stevens erreicht außer Atem den Dachboden. Furcht spiegelt sich in seinen dunkelbraunen Augen wider, als er seinen Blick über den staubigen Speicher schweifen lässt.
Was er sieht, lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Hayden Reed und Hale Dexter.
Beide liegen leblos auf dem Boden.
Umgeben von Blut und bedeckt mit den glitzernden Scherben eines zersprungenen Spiegels.
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In einer Zeit nach dir und mir
Science-FictionHayden Reed und Hale Dexter sind wie zwei Magnete - nur dass sie einander nicht anziehen, sondern abstoßen. Seit ihrer Kindheit sind die beiden verfeindet und das hat sich auch heute, fast sechzehn Jahre später, nicht geändert. Da passt es Hayden un...