12 - Ein Opfer aus Liebe

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Außer Atem erreichten Hayden und Hale die Kutsche, die unverändert vor der Glaskuppel stand. Da alle Wachmänner und Angestellten des Schlosses zu König Pierce und Prinzessin Liva geeilt waren, konnten Hayden und Hale problemlos fliehen.

Wenigstens einmal schien sich das Schicksal auf ihre Seite geschlagen zu haben.

„Beeil dich, Hayden!", drängte Hale ungeduldig, während er Hayden die Tür zur Kutsche aufhielt.

Jede Sekunde zählte gerade. Zeit für Verzögerungen blieb nicht.

Im Gegensatz zu Hale erkannte Shade sofort das Zittern von Haydens Körper. Schweiß rann über ihre Stirn und ihre Haut hatte die Farbe von Schnee angenommen.

„Ist alles okay?", wollte Shade besorgt wissen. Vorsichtig zog er Hayden auf die rote Sitzbank, nur um ihr kurz darauf eine verklebte Haarsträhne hinter das Ohr zu streichen. Obwohl Haydens Gesicht von kaltem Schweiß benetzt wurde, war ihre Haut heiß wie Feuer. Sie glühte regelrecht.

„Mhm." Hayden nickte erschöpft. Vor Yamila, Elrik und Hale wollte sie sich nicht die Blöße geben und eingestehen, dass ihr die vergangenen Minuten schwer wie Blei auf den Magen drückten. Hayden musste stark bleiben – oder zumindest den Anschein bewahren.

„Es geht mir gut." Die Lüge kam Hayden so sanft wie der Flügelschlag eines Schmetterlings über die Lippen. „Unser Plan hat funktioniert. In wenigen Minuten werden König Pierce und Prinzessin Liva tot sein."

Hayden zwang sich ein unechtes Lächeln auf die Lippen, welches Shades Sorgen direkt größer werden ließ.

Ganz egal, ob das wunderschöne Mädchen neben ihm seine beste Freundin seit Kindheitstagen war oder nicht: Shade wollte nicht, dass es Hayden schlechtging. Das verzerrte Grinsen und die Angst, die in Haydens hellen Augen schimmerte, gefielen Shade nicht.

Auch Novalee bemerkte, dass Hayden verkrampft und angespannt war. Am liebsten hätte sie die arme Hayden getröstet, doch die stechenden Argusaugen von Yamila hinderten Novalee daran.

Yamila durfte keinen Verdacht schöpfen. Je weniger sie wusste, umso besser.

„Kann der Kutscher nicht mal etwas schneller fahren?", stöhnte Elrik genervt, womit er die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zog.

Hayden hatte gar nicht bemerkt, dass die Kutsche bereits losgefahren war. Erst ein Blick nach hinten verriet ihr, dass sie das Schloss von König Pierce schon längst hinter sich gelassen hatten.

„Wenn wir weiterhin so trödeln, erreichen wir den Grenzübergang nicht mehr rechtzeitig. Dann-" Ein lauter Kanonenschuss, der die Erde zum Beben brachte, schnitt Elrik das Wort ab.

Schlagartig verwandelte sich der Himmel zu einer schwarzen Gewitterwolke. Rote und weiße Blitze zuckten so lange über den Horizont, bis sie sich zu dem Gesicht eines jungen Mannes formten. Zu sehen war der Wachmann, der Hayden und Hale in das Schloss von König Pierce geleitet hatte.

Bei diesem Anblick blieben Hayden, Novalee, Hale, Shade, Yamila und Elrik vor lauter Schock die Herzen in der Brust stehen. Angst pulsierte in ihren Venen und Furcht zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab.

Der Wachmann – Juelz war sein Name – hatte seine blitzenden Augen zu schmalen Schlitzen verengt, als seine Stimme so laut wie ein Donnergrollen durch die Luft hallte: „König Pierce und Prinzessin Liva sind tot!"

Sofort jagte ein eisiger Schauder über Haydens Rückgrat. Eigentlich wollte sie stark bleiben, doch der verletzte Unterton in Juelz' Stimme trieb Hayden die Tränen in die Augen.

Hayden hatte zwei Menschen getötet.

Menschen, die geliebt worden waren und ein Recht auf das Leben hatten.

In einer Zeit nach dir und mirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt