...einem augenöffnenden Gespräch

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Maliah
Äußerlich wirkte ich wahrscheinlich so ruhig wie immer. Vielleicht noch etwas ruhiger.
So ruhig, wie das Meer an einem sonnigen Tag ohne Wolken.
Scheinbar ruhig saß ich mit meinem Laptop vor mir und einem Latte Macchiato in meiner Hand in diesem Café. Zumindest schien Aliena nichts zu bemerken. Sie saß mir gegenüber, einen Tee am schlürfen und diverse Unterlagen vor sich ausgebreitet. Hochkonzentriert blickte sie auf die verschiedenen Papiere, markierte wichtige Stellen oder schrieb sich Sachen auf den Collegeblock. Im Gegensatz zu mir wollte sie nicht direkt nach der Schule studieren oder arbeiten, sondern erst die Welt bereisen und war momentan in der Planung.
Doch so ruhig ich äußerlich wirkte, innerlich tobte ein Sturm.
Ich konnte mich nicht auf meine Lernsachen konzentrieren, denn meine Gedanken waren immer wo anders. Wirbelten herum, ließen mir keine Ruhe. Vermischten sich, erzeugten wirre Bilder und erschufen Szenarien, die so nie stattgefunden hatten. Und doch blieben sie immer beim selben Thema. Oder eher immer bei der selben Person.
Seufzend stützte ich meinen Kopf auf meine Hände.
Seit vergangenem Samstag, als Jack mir alle diese Sachen an den Kopf geworfen hatte, gab es kein anderes Thema mehr in meinem Kopf als Noah. Immer und immer wieder analysierte ich unsere Beziehung, unsere Dates, unsere Trennung. In der Schule beobachtete ich ihn bei jeder Gelegenheit, nur um das bestätigt zu finden, was Jack mir erzählt hatte.
Und es zerriss mich förmlich, Noah so zu sehen.
Wie war mir das die ganzen Wochen vorher nicht aufgefallen?
Wie hatte ich das übersehen können?
Und warum zum Teufel kümmerte es mich noch so sehr, wie es ihm ging?
Ich hatte mich von ihm getrennt.
Er hatte mich mit Cherry betrogen. Wer weiß, wahrscheinlich sogar mehrfach.
Es sollte mich nicht interessieren, wie es ihm ging, wie er aussah oder was er machte.
Trotzdem interessierten mich diese Dinge. Mehr, als sie sollten.
Verdammt! Warum nur?
Weil du ihn immer noch liebst. Weil du nicht daran glaubst, dass er dich betrogen hat. Weil du willst, dass Jack recht hat und du wirklich noch eine Change hast.
„Woran denkst du?", unterbrach Aliena meine kleine innere Kopfstimme, die mir genau das sagte, was ich hören wollte. Aber ich wollte nicht, dass sie recht hatte.
„An Noah", gab ich ohne groß nachzudenken zurück.
Meine beste Freundin sah wie vom Blitz getroffen von ihren Unterlagen hoch, musterte mich und zog kritisch die Augenbrauen zusammen.
„Warum das denn?"
In ihrer Stimme hörte ich deutlich die Verachtung, die sie gegenüber Noah empfand. Oder eher, die sie jedem Sportler gegenüber empfand.
„Ich habe mit Jack gesprochen", erklärte ich oberflächlich, während ich meinen Laptop zuklappte und einpackte. Ich könnte mich eh nicht mehr auf die Aufgaben konzentrieren, da konnte ich auch mehr Platz auf dem kleinen Tisch schaffen.
„Wann denn?"
„Letzte Woche Samstag. Er war auch bei Chemie und wir mussten zusammen die Experimente machen."
Er hatte die Experimente gemacht. Ich war viel zu überfordert von der Anwesenheit des besten Freundes meines Exfreundes, als dass ich mich wirklich auf das Experiment konzentrieren konnte. Und danach waren meine Gefühle ein reines Chaos, dass ich einfach gegangen bin.
„Was hat Jack mit Chadwick zu tun? Außer, dass sie beide ein zu großes Ego haben, dass es verwunderlich ist, dass sie zusammen auf eine Eisfläche passen?"
„Jack hat mir erzählt, wie es Noah geht."
„Wie soll es dem schon gehen? Er ist gerade drauf und dran die Meisterschaft zu gewinnen, wird von der ganzen Schule wie Gott höchstpersönlich verehrt, schreibt super Noten und hat sowohl von Alberta als auch von Toronto ein Angebot für ein Vollstipendium erhalten. Wenn ein Typ gerade auf Wolken schwebt, dann ja wohl er", gab Aliena bissig von sich, während auch sie ihre Sachen zusammenpackte.
„Woher weißt du das alles?", fragte ich verblüfft.
Sie zuckte mit den Schultern. „Spricht sich halt rum. Du warst nur zu abgelenkt, um es mitzubekommen."
Ja, zu abgelenkt damit allen vorzuspielen, dass diese Trennung mir nichts ausmachte und ich glücklich war.
„Ihm geht es aber nicht gut", versuchte ich es nachdrücklich zu sagen.
„Und das interessiert dich, weil...?" Aliena zog die Stirn kraus und trank von ihrem Tee.
Fest sah ich ihr in die Augen. Meine kleine innere Kopfstimme schrie mich an, rebellierte und wollte, dass ich ein Mal, nur ein Mal in den letzten sechs Wochen, die Wahrheit sagte.
„Weil ich ihn immer noch liebe."
Da.
Es war gesagt.
Es war endlich gesagt.
Aliena sah mich geschockt an.
„Du liebst ihn?", rief sie etwas zu laut. Einige Menschen um uns herum sahen kurz sehr auffällig zu uns, bevor sie sich wieder an ihre eigenen Angelegenheiten erinnerten.
„Ja, das tue ich", erwiderte ich fest. Mein Herz wurde dabei ganz warm vor Freude, zog sich aber gleichzeitig zusammen, als es realisierte, dass ich genau diesen Menschen, das es so sehr brauchte, wirklich verloren hatte.
„Nach allem, was er dir angetan und vorgelogen hat? Nach alldem liebst du ihn immer noch?"
„Ja. Ich glaube nicht, dass er irgendetwas vorgespielt oder gelogen hat. Das war alles echt."
Aliena schüttelte den Kopf. „Das ist das Dümmste, was ich je von dir gehört habe."
Musternd legte ich den Kopf schief. Eine normale beste Freundin hätte jetzt wahrscheinlich gefragt, warum ich ihn denn liebte. Warum ich dann überhaupt mit ihm Schluss gemacht hatte. Und ob ich mir meiner Gefühle wirklich sicher war. Eine beste Freundin hätte mich jetzt unterstützt und nicht gesagt, dass sie meine Gefühle für dumm hielt.
„Und warum denkst du das?"
„Weil du gerade voll auf die Sportler-Masche reinfällst." Anklagend zeigte sie auf mich. „Chadwiick interessiert sich doch gar nicht für dich. Das hat er nie und wird er auch nie. Er ist Sportler, die haben keine Gefühle. Du warst für ihn nur ein Zeitvertreib, nur gut genug fürs Bett. Er tut doch nur so, als ob es ihm schlecht gehen, damit du wieder bei ihm angekrochen kommst. Damit er dich dann für eine Nacht wieder in seinem Bett hat, nur um dich dann am nächsten Morgen hochkant rauszuwerfen und sich nie wieder bei dir zu melden. Er verspricht dir die Welt, bist aber nicht mehr wert als der Dreck unter seinen Füßen. Er ist Sportler, so sind die halt."
Sprachlos sah ich sie an. In ihren Augen sah ich einen Sturm aus Schmerz, den ich noch nie zuvor gesehen hatte.
„Noah ist nicht so", versuchte ich sie ruhig zu überzeugen.
„Natürlich ist er so! Alle Sportler sind so! Da gibt es keine Ausnahmen."
Ich lehnte mich in meinem Stuhl etwas zurück und musterte sie. Dass Aliena Sportler nicht ausstehen konnte, wusste ich. Aber dass es extrem war, war mir neu.
„Wer hat dich so verletzt, dass du so voller Hass bist?"
Aliena schnaubte. „Ich bin nicht voller Hass. Ich bin realistisch."
„Doch, bist du", widersprach ich ihr. „Eine beste Freundin hätte mich unterstützt, aber alles, was du seit Monaten machst, ist mir einzureden, wie dumm diese Beziehung ist. Dabei kennst du Noah doch gar nicht richtig! Du weißt nicht, was er alles für mich getan hat."
„Ich muss es auch nicht wissen. Sportler sind alle gleich. Kennst du einen, kennst du alle."
„Woher willst du das wissen?"
„Weil ich schon mit mehreren zusammen war!"
Stille.
Es war, als hätte jemand um uns herum die Welt lautlos gestellt. Die Menschen bewegten sich weiter, aber es drangen keine Geräusche zu uns durch.
Ich war einfach nur noch verwirrt.
„Mehrere?"
„Und sie waren alle gleich."
„Mehrere?", wiederholte ich nachfragend. „Du hast mir nur von dem einen erzählt!"
„Da siehst du mal, wie wichtig die anderen waren."
Scheinbar unbekümmert trank sie von ihrem Tee.
„Der erste Typ hieß Kyle Tommos. Er war Schwimmer an einer anderen Schule. Wir haben uns eher durch Zufall auf einer Party kennengelernt. Am Anfang war er total süß, versprach mir die Welt. Bis ich mit ihm im Bett war. Zwei Wochen später hat er Schluss gemacht. Er hat mich an unserem Fünfmonatigem abserviert."
„Du warst fünf Monate mit diesem Kerl zusammen und hast nie etwas gesagt?", rief ich aufgebracht dazwischen.
„Der andere Kerl hieß Koray Klipsen. Er spielt an einer anderen High School Eishockey. Wir haben uns bei einem Spiel kennengelernt. Es hat von Anfang an gefunkt. Wir haben nächtelang geschrieben oder telefoniert. Ich war wirklich in ihn verliebt. Er hat mein Herz von Kyle geheilt. Nur um es dann doppelt so schlimm zu brechen. Es stellte sich heraus, dass er von einem anderen Mädchen, zu dem Zeitpunkt war er gerade erst siebzehn geworden, ein Kind bekam. Gut, das hätte man bestimmt regeln können. Allerdings nicht, dass er noch mit der Mutter seines Kindes zusammen war, plante zusammen zu ziehen und ich nur seine Affäre war."
Geschockt sah ich Aliena an, doch sie sprach unbekümmert weiter.
„Danach kam nur noch einer, aber er war der schlimmste. Ebenfalls Eishockeyspieler und der Kapitän von Korays Team. Daher kannten wir uns auch. Er hat mich aufgefangen und ganz langsam wieder aufgebaut. Bis ich allerdings bemerkte, was für ein Arsch er war, war es schon zu spät. Er besitzt so ziemlich den gleichen Status an seiner Schule, wie Chadwick an unserer. Und das lebt er aus. Er ist arrogant, ein Schläger, lässt sich vergöttern. Regeln scheinen für ihn nicht zu gelten.
Aber das alles wollte ich nicht sehen.
Bis ich ihn dabei erwischte, wie er mich betrog. Es war nicht das einzige Mädchen, dass er während unserer Beziehung in seinem Bett hatte. Aber mit gerade mal vierzehn Jahren eindeutig die Jüngste.
Und nach Knox McGriffin habe ich mir geschworen, nie wieder einem Sportler zu vertrauen. Denn alles, was sie interessiert, ist ihr Status und die Macht, die sie dadurch bekommen."
„Du warst mit Knox McGriffin zusammen?", rief ich schockiert.
Knox McGriffin. Der Rivale von Noah. Der Typ, der ihm diese fiese Gehirnerschütterung an Weihnachten verpasst hatte. Der sollte der Exfreund von Aliena gewesen sein?
„Warum hast du davon nie etwas erzählt?"
„War nicht wichtig."
„Deine Beziehungen waren nicht wichtig? Sag mal, gehts noch? Natürlich sind sie wichtig!"
Aliena sah mich genervt an. „Wären sie wichtig gewesen, hätte ich von ihnen erzählt, oder?"
„Ich glaub es nicht."
„Glaub es oder glaub es nicht. Wichtig ist nur, dass du nicht mehr mit einem Sportler zusammen bist. Da hat Cherry bessere Arbeit geleistet, als ich von ihr gedacht hätte."
In meinem Kopf ratterte es.
„Moment, was hast du gesagt?"
„Dass Cherry gute Arbeit geleistet hat? Keiner ist so ehrenlos und küsst einfach so einen Typen. Außer man ist die Schulschlampe, habe ich recht?"
Ich glaube, mir wurde schlecht. Angewidert sah ich Aliena an. Wollte nicht glauben, was mir mein Verstand versuchte klar zu machen.
„Du hast Cherry da mit reingezogen. Du hast sie dazu gebracht, Noah zu küssen", flüsterte ich schockiert. „Warum?"
„Warum ich euch auseinander bringen wollte? Ich wollte dich nur schützen!"
„Warum hat Cherry dabei mitgemacht? Ja, sie schläft mit vielen Typen, aber wie du sagtest: keiner macht sich an Vergebene ran. Auch sie nicht."
Vollkommen unberührt sah sie mir in die Augen. Ich hatte das Gefühl, diese Person vor mir gar nicht zu kennen.
„Weil sie nicht wollte, dass die ganze Schule erfährt, dass ihre kleine Schlampe von Schwester von McGriffin schwanger ist."
„Sie ist bitte was?"
„Schwanger. Das passiert, wenn man in dem Alter die Beine breit macht und nicht aufpasst. Da muss man mit den Konsequenzen rechnen und leben. Für die Abtreibung war es scheinbar leider schon zu spät. Scheint so, als wäre Koray nicht der einzige Teenage-Vater an deren High School."
Angewidert sah ich Aliena an.
Wie konnte man nur so...so sein?
Wortlos stand ich auf, zog mir meine Jacke an und nahm meine Tasche in die Hand.
„Wohin gehst du?", fragte sie tatsächlich verwundert.
„Weg. Von dir. Ich kenn dich nicht mehr. Du bist nicht meine beste Freundin. Du bist nur eine wirklich schreckliche und verbitterte Person. Und die will ich nicht in meinem Leben haben."
Nun war sie es, die geschockt aussah.
„Wenn du mich suchst", fuhr ich fort „dann findest du mich beim Meisterschaftsspiel. Ich versuche, den Jungen zurück zu bekommen, den ich liebe. Der mich glücklich macht. Und der mir wirklich die Welt zu Füßen legt. Der immer für mich da war. Der bereit ist, alles für mich aufzugeben. Damit ich glücklich bin. Und ich hoffe, es ist noch nicht zu spät.
Wenn du mich suchst, dann lass es lieber. Außer du erkennst, was du falsch gemacht hast und entschuldigst dich. Allerdings musst du dich dann bei mehreren Personen entschuldigen und ich weiß nicht, ob du überhaupt so viel Ehrgefühl noch besitzt.
Und solltest du das nicht einsehen, dann trennen sich genau hier unsere Wege."
Damit drehte ich mich um, bezahlte schnell an der Kasse meinen Latte Macchiato und verließ dann das Café.
Ich auf die Uhr. Mir blieb nur noch eineinhalb Stunden, bis das Spiel beginnen würde.
Eineinhalb Stunden noch, in der ich halbwegs einen Plan aufstellen konnte.
Während ich zum Bus eilte, um nach Hause zu kommen, fischte ich mein Handy heraus und wählte die einzige Nummer, die mir vielleicht helfen könnte.

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Vielen Dank für 1000 Reads! Das bedeutet mir wirklich sehr viel.
Zwischen Maliah und Aliena ging es ja heiß her.
Hättet ihr das von Aliena erwartet? Also, dass sie unseren lieben Noah nicht leiden kann, war ja kein Geheimnis. Aber der Rest...?
Es kommt tatsächlich nur noch ein Kapitel und dann schon der Epilog.
Ich freue mich, wenn ihr dranbleibt, kommentiert und ein Sternchen hinterlasst, wenn euch das Kapitel gefallen hat.
(Seht es wie ein Like bei Instagram. Den verteilt ihr doch auch an Bilder, die euch gefallen, oder?)
Bis Bald!

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 24, 2022 ⏰

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