...einer Nacht unter den Sternen

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Die Zeit bis zum Winterball verging wie im Flug.
Zum einen schienen sich die Lehrer verbündet zu haben und drückten uns Unmengen an Hausaufgaben, Projekten und Tests auf, die alle unbedingt noch vor Weihnachten geschrieben werden mussten. Hinzu kam das Training, dass immer intensiver wurde, je näher wir dem Ende der Meisterschaft kamen. Durch das Training und die Hausaufgaben blieb einem kaum noch Zeit für ein Sozialleben.
Zum anderen entwickelte sich aber genau dieses Sozialleben rasant. Maliah und ich lernten uns weiter kennen und wuchsen in unsere Beziehung hinein. Wir lernten, wie wir mit Stress umgehen mussten und uns trotzdem dabei sehen und nicht anzicken konnten. Tatsächlich hatten wir uns auch schon gestritten, allerdings über nichts relevantes. Wir waren nur gestresst und hatten uns in der Woche immer nur flüchtig auf dem Gang in der Schule gesehen, was ziemlich genervt hatte. Andererseits war die Zeit, die wir uns sahen viel intensiver. Ich hatte ihre Eltern kennengelernt, wobei ihr Vater mich ziemlich kritisch beäugt hatte und ihre Mutter mir alle japanischen Traditionen auf einmal beibringen wollte.
Gleichzeitig gab es da noch Rhys und Jack. Jack und Rhys. Meine beiden besten Freunde, die nun miteinander schliefen. Eine Beziehung führten. Ich wusste immer noch nicht, was ich davon halten sollte. Nicht, dass ich dagegen war, aber es war schon merkwürdig zuzusehen, wie die beiden sich küssten. Einfach ungewohnt und unerwartet. Aber sie waren glücklich und das war die Hauptsache. Wenn die beiden sich nicht gerade gegenseitig halb auffraßen, waren sie die selben Dummköpfe wie immer. Zumindest zogen sie sich gegenseitig auf, machten anzügliche Witze und verscheuchten die rosarote Verliebtheitswelt. Tatsächlich hatten sie ihre Beziehung direkt öffentlich gemacht. Montagmorgen, der Montag nach der Party, hatte Jack Rhys einfach in der Pause geküsst und sich dann zufrieden an ihn gekuschelt. Rhys hatte ziemlich zufrieden ausgesehen und Jack an sich gedrückt. Die Blicke und plötzliche Stille in der Cafeteria hatten sie dabei gekonnt ignoriert. Rhys Befürchtung, Jack könnte sie beide verheimlichen, war also unbegründet. Zumindest, was den schulischen Teil ihrer Beziehung anging. Jack hatte seinen Eltern noch nicht erzählt, dass er bisexuell und mit Rhys zusammen war. Seine Mutter hätte es fast erfahren, als sie mal ungebeten in Jacks Zimmer kam, während die beiden in Jacks Dusche rumgemacht hatten. Jack hatte einfach behauptet, dass er duschen war und Rhys schon lange gegangen sei. Danach wäre sein Vater fast in die beiden hineingelaufen, was seitdem das Thema Familie zu einem wunden Punkt machte.
„Kommst du?", riss mich Rhys aus meinen Gedanken.
Blinzelnd sah ich zu ihm hoch. Scheinbar hatte es geklingelt und alle waren dabei den Geschichtsraum so schnell wie möglich zu verlassen. Innerlich fluchte ich über mich selbst. Ich war so abgelenkt gewesen, dass ich fast nichts vom Unterricht mitbekommen hatte. Und das wiederum bedeutete, dass ich unnötige Zeit damit verschwenden musste, den Stoff mir selber beizubringen. Schließlich war der Zweite Weltkrieg Klausurrelevant.
„Ja, komme schon", antwortete ich, während ich meine Sachen in meinen Rucksack stopfte.
„Du siehst aus, als könntest du einen Kaffee gebrauchen", kommentierte Rhys, als ich den Rucksack schulterte und meine Jacke in die Hand nahm.
„Aber nur mit sehr viel Milch und Zucker."
„Der arme Kaffee."
„Sonst schmeckt das Zeug nicht. Und gefühlt werde ich davon nur müder statt wacher."
Wir schlängelten uns durch die Schüler, die zur Cafeteria gingen. Normalerweise hatte Maliah mit uns Geschichte und ich würde jetzt ihre Hand halten, aber heute hatte sie das letzte Fußballspiel der Saison und ich würde sie erst heute Abend sehen, wenn ich sie zum Ball abholen würde.
„Oder ich trinke viel zu viel davon und dann bin ich sowohl müde als auch hibbelig", führte ich meine Gedanken über Kaffee weiter aus.
„Aber wenn du hibbelig bist, dann bist du doch energiegeladen."
„Über einen energiegeladenen Noah würde sich Maliah bestimmt freuen", steuerte Jack hinzu und wackelte mit den Augenbrauen, als er sich uns anschloss. „Bisher lief ja noch nicht viel bei euch, oder?"
„Das hat doch nichts damit zu tun, dass ich müde bin", verteidigte ich mich halbherzig, wobei ich merkte, dass ich etwas rot wurde. Warum mussten wir mein spärliches Sexleben immer dann besprechen, wenn andere Leute mithören konnten?
„Und woran liegt es dann?"
Wir traten hinaus. Kalter Wind kam uns entgegen und ich bereute, dass ich meine Jacke nicht angezogen hatte. Die nächste Stunde hatten wir frei und wollten uns deshalb in die Schwimmhalle setzen. Rhys hatte danach eh noch Training und somit sparte er sich einen Weg. Außerdem waren dort keine Menschen und es war warm. Wir beeilten uns zur Halle zu kommen.
„Ich will mit ihr nichts überstürzen", antwortete ich auf Jacks Frage, als wir am Schwimmbecken entlang zu den Sitzplätzen gingen, wir legten unsere Sachen ab, machten es uns bequem und packten unser Mittagessen aus. Wir hatten zuhause noch Nudelsalat, dessen Reste ich nun in mich hinein schaufelte.
„Ihr seid jetzt drei Wochen oder so zusammen und da hast du noch nichts versucht? Ihr hattet doch schon Sex, so schwer kann das doch nicht sein."
Jack sah mich kritisch an, während er in sein belegtes Baguette biss. Rhys hingegen sah schmunzelnd zu seinem Freund, dann zu mir und verdrehte leicht die Augen. Ansonsten hielt er sich raus.
Ich wurde wieder rot und sah überall hin, nur nicht zu meinen Freuden. Dabei wusste ich nicht, warum mir das Thema so unangenehm war. Vor unseren Beziehungen hatten wir auch schon darüber geredet, aber irgendwie nie so ernst. Eher nur zum Spaß.
„Es ist ja nicht so, dass wir nur mit Sicherheitsabstand nebeneinander gesessen haben."
„Sie hat doch schon bei dir gepennt, was ist denn da passiert?"
„Jack, warum willst du das so genau wissen?", schaltete sich Rhys nun doch ein. Er saß eine Reihe über uns und sah so auf Jack hinunter. Der lehnte sich so gut es auf diesen Plastikstühlen ging gegen seinen Freund.
„Der kleine wird grad in eine komplett neue Welt eingeführt, da muss man doch alles herausfinden", antwortete er mit großen Augen.
„Du wirst auch in eine komplett neue Welt eingeführt, aber dich fragt er nicht, wie unser Sex ist", meinte Rhys ruhig.
Jack hatte den Anstand zu erröten. „Das ist doch etwas komplett anderes. Wir zwei hatten voreinander schon viel Sex, er noch nicht", versuchte er abzuwinken. Schnell sah er wieder zu mir. „Also was lief da nach der Party?"
„Nichts", zuckte ich mit den Schultern und versuchte dabei möglichst cool und gelassen auszusehen. „Du hast uns zu mir gefahren, wir sind in mein Zimmer, haben uns fertig gemacht und sind dann ins Bett gegangen."
„Und dann?"
„Man Jack, wir haben nur ein bisschen rumgemacht, mehr nicht."
„Aber du wolltest?"
Frustriert fuhr ich mir durch die Haare. „Ich weiß es nicht. Vielleicht. Ich bin mit einem mega Ständer eingeschlafen. Klar wäre ohne besser. Aber ich will nichts überstürzen. Wir sind noch nicht so lange zusammen und der Weg bis hierhin war schwierig. Besonders weil wir schon Sex hatten." Ich seufzte. „Ich will bei ihr einfach nichts falsch machen. Ich will sie nicht bedrängen, nicht verletzten und schon gar nicht zu etwas zwingen."
„Habt ihr mal darüber gesprochen?", fragte Rhys nach, woraufhin ich den Kopf schüttelte. „Vielleicht solltet ihr genau das mal machen. Ihr müsst ja nicht direkt Sex haben, aber ihr solltet abklären, wie weit ihr seid zu gehen." Er lächelte mich an. „Nur weil Jack hier große Töne spuckt heißt das noch gar nichts. Klar, ich würde zu Sex nie nein sagen, aber ich weiß auch, dass er noch nicht so weit ist."
„Ich sitze noch hier", grummelte Jack.
Rhys packte ihn sanft am Kopf, zog ihn nach hinten und gab ihm einen Kuss.
„Ich weiß, Blondi, aber du hast jetzt Sendepause. Du bist genau so wenig bereit für Sex mit mir wie Noah mit Maliah. Obwohl wir wahrscheinlich schon mehr ausprobiert haben."
„Was, wenn ich bereit bin?"
„Das glaube ich nicht", lachte Rhys. „Als wir duschen waren, das eine Mal als deine Mutter reinkam, bist du ziemlich blass geworden, als du meinen Schwanz gesehen hast."
Ich verzog das Gesicht und drängte energisch das Kopfkino zur Seite. „Zu viele Details."
Rhys lachte nur, was durch die ganze Halle hallte. Jack errötete.

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