21 - Freiheit

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Am nächsten Morgen klingelte mein Wecker schon recht früh. Nicht, weil ich arbeiten musste, sondern weil ich unter Euphorie gestern Nacht noch etwas für den heutigen Tag geplant hatte. Etwas, um mich selber zu „challengen", wie Julia es ausdrücken würde. Nachdem sie mir von ihrem Wochenend-Trip an die Ostsee mit Henry vor ein paar Wochen erzählte, spürte ich ein leichtes Fernweh in mir aufkommen. Ich wollte auch mal wieder an's Meer. Das letzte Mal, dass ich da war, war auf Klassenfahrt in der Zehnten gewesen. In den Jahren danach hatte ich immer mal wieder darüber nachgedacht, einfach mal alleine an die Ostsee zu fahren, tat es aber letztendlich nie. Aus Angst, oder weil ich es mir nicht zugetraut hatte, so weit weg von meinem Zuhause, von Berlin, zu sein. Ganz alleine.
Gestern Abend überkam es mich dann. Nicht darüber nachdenken, einfach mal machen. Hatte in der letzten Zeit ja auch in anderen Situationen gut geklappt, warum dann nicht auch bei so etwas?
Ich hatte mir also spontan ein Bahnticket nach Usedom gekauft und der Zug ging schon in 2 Stunden. Ich schaute von meinem Bett aus durch's Fenster. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Neukölln war in einen dunklen Nebel getaucht, welcher durch die vereinzelten Lichter der Wohnungen und der Straßenlaternen sichtbar wurde.
Einmal tief ein und ausatmen, Katha. Das ist ein großes Ding heute, aber du packst das.

Die Bahnsteige am Hauptbahnhof waren zu meiner Erleichterung nicht überfüllt. Hier und da warteten vereinzelt ein paar Menschen. Ich hatte schlimmeres erwartet. Ich holte aus meinem Rucksack eine Flasche Wasser hervor und trank einen Schluck. Das MacBook, welches Felix mir geschenkt hatte, blitzte hervor. Natürlich hatte mich die romantische Vorstellung gepackt, am Strand zu sitzen und mein Buch weiter zu schreiben. In wie weit das möglich war, bei 10 Grad Ende Februar, wusste ich noch nicht. Vorausschauend hatte ich mir aber eine dicke Jacke und eine Decke mitgenommen. Solange es nicht in Strömen regnen würde, was laut Wetter-App nicht der Fall war, sollte mein Plan aufgehen. Als ich die Flasche Wasser wieder in meinem Rucksack verstaute, fuhr auch schon der Zug Richtung Züssow am Bahnsteig ein. Der Zug Richtung Freiheit.
Versteht mich nicht falsch, ich liebe Berlin. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Aber Freiheit? Freiheit war diese Stadt für mich nicht. Zu viele Menschen, zu viele Häuser, zu viele Autos, zu viele Geräusche.
Manchmal, wenn ich durch die Straßen lief, hatte ich das Gefühl, nicht richtig atmen zu können, erdrückt zu werden von diesen Massen. Heute sollte ich dem Ganzen entfliehen können, zumindest für ein paar Stunden. Einfach mal etwas anderes sehen und frische Luft atmen.
Mit einem klein wenig Respekt aber voller Vorfreude stieg ich in den Zug und setzte mich an's Fenster. Ich war stolz auf mich. Stolz, dass ich das Ticket gekauft hatte. Stolz, dass ich nun tatsächlich hier saß und in weniger als vier Stunden endlich am Meer sitzen würde.
Ich kramte mein Handy aus der kleinen Seitentasche meines Rucksacks, entsperrte es und öffnete den Chat mit Felix.
Ich vermisse dich auch war seine letzte Nachricht gewesen. Ich lächelte.
Ob er wohl noch schlief? Wie viel Zeitverschiebung gab es zwischen Berlin und Dubai? Ich hatte keine Ahnung.
Plötzlich ploppte unter seinem Namen das Wort online auf. Er war wach. Um nicht den Verdacht zu erwecken, ich würde auf eine Nachricht von ihm warten, schloß ich die App schnell wieder und ein paar Sekunden später ging ein Anruf ein.
Felix Lobrecht.
Freudestrahlend nahm ich den Anruf entgegen. „Hey!"

„Guten Morgen." entgegnete Felix und ich konnte raushören, dass er grinste. „Du bist ja gut drauf."

„Ich hab' n guten Tag. Wie geht's dir?" fragte ich und merkte, dass der Zug los rollte.

Ich hörte ihn einmal stark ein und kurze Zeit später wieder ausatmen. Er rauchte wohl grade. „Ganz gut soweit. Ich lerne heute Kinans Mutter kennen."

„Oh, ist es also was ernstes zwischen euch?" witzelte ich.

Er lachte. „So ungefähr. Was machst du?"

„Ich sitze im Zug." antwortete ich.

„Wow, das ist random." erwiderte er. „Was machst du in nem Zug?"

Despite it all (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt