55 - Motivationsrede

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Die Autoscheibe vibrierte leicht an meiner Stirn. Mit meinem Blick verfolgte ich die großen, grauen Betonhäuser der Gropiusstadt, die an uns vorbei zogen, während Can't have everything von Drake leise aus den Boxen der S-Klasse tönte.
„Über was denkst du nach?" Felix Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich hob meinen Kopf und sah ihn konfus an.
„Mhm?"
Lässig im Sitz zurück gelehnt und mit einer Hand am Lenkrad schaute er auf die Straße.
„Du sahst so nachdenklich aus." erklärte er.
„Ich überlege, ob ich gleich schon anfange Bewerbungen zu schreiben, oder ob ich das auf heute Abend schiebe." seufzte ich und lehnte meinen Kopf wieder seitlich an's Fenster.
Mit der freien Hand strich er mir sanft über den Oberschenkel.
„Niemand hat gesagt, dass du gekündigt wirst."
„Wenn Nadja wieder kommt gibt's für mich nichts mehr zutun." erinnerte ich ihn.
Kurz schwieg er, als wir in die Straße einfuhren, in der das Büro lag. Als er einen freien Parkplatz fand, parkte er den Mercedes, schaltete den Motor an und drehte sich zu mir.
„Das klingt, als würdest du dich dagegen entscheiden, mit Julian zu arbeiten."
Ich schüttelte leicht den Kopf.
„Ich habe mich noch nicht entschieden."
„Wie lange willst du denn noch darüber nachdenken? Was genau ist denn das Problem? Ihr kommt doch gut klar, du würdest weiterhin mit mir arbeiten und - "
„Für." unterbrach ich ihn. „Ich würde FÜR dich arbeiten."
„Wenn wir kleinlich werden wollen: das tust du jetzt auch." murmelte er.
„Ja, aber ich verkaufe nur Merch. Da kann ich nicht viel falsch machen. Als Julians rechte Hand allerdings schon." sprach ich und sah ihn an.
„Ist das das Problem? Du hast Angst, was falsch zu machen?" fragte er.
„Auch. Ich hab Angst, dem Ganzen nicht gewachsen zu sein und dich zu enttäuschen. Vielleicht siehst du zu viel in mir."
Er lachte kurz auf. „Schon mal darüber nachgedacht, dass du zu wenig in dir siehst? Ich sehe, was du kannst. Jeden Tag. Ich sehe, wie du unter Hochdruck und Stress den ganzen Stand alleine wuppst. Wie du Julian bei den Tourarbeiten und den 12k Orgas unterstützt. Wie du dich für die Werbevideo-Produktionen einbringst. Ich sehe alles. Du traust dir das nicht zu, dabei machst du das alles doch schon längst."
„Aber nicht offiziell."
„Was macht das denn für einen Unterschied? Was offiziell in deinem Arbeitsvertrag steht, ist doch egal. Meinetwegen lass' ich dich weiterhin als Mercherin laufen, wenn dir das den Druck abnimmt."

Sein Blick barg so viel Zuversicht, dass ich mir wünschte, nur die Hälfte davon auch in mir zu finden. Vielleicht hatte er recht. Nein, mit Sicherheit hatte er recht. Ich traute mir zu wenig zu. Aber war das so verkehrt?
Nicht zu weit über's Ziel hinaus schießen, lieber alles mit Vorsicht angehen. Nur weil ich das bisher alles ganz gut auf die Reihe bekommen hatte, hieß das nicht, dass ich das in Zukunft auch schaffen würde. Verkauf war easy, was konnte da im schlimmsten Falle schon passieren? Dass ich im Stress ein bisschen zu viel Rückgeld raus gebe. Das würde Felix nicht ruinieren. An der Seite von Julian die Projekte und den Verkauf von 12k zu verwalten, war eine ganz andere Hausnummer.

„Julian würde sowieso immer nochmal über alles rüber gucken, um sicher zu gehen, dass alles richtig läuft." unterbrach Felix' meinen Gedankenfluss, als ob er ihn lesen könnte. „Nichts würde nur auf deinen Schultern lasten. Fehler sind menschlich. Ich mache immer noch ständig Fehler. In allen Bereichen. Daraus lernt man. Anders wäre ich niemals so weit gekommen."
„Und wenn meine Arbeit deinen Erwartungen nicht gerecht wird?" fragte ich.
„Ey, nicht mal ich selber werde meinen Erwartungen gerecht." lachte er. „Hast doch mittlerweile oft genug mit bekommen, dass ich sauer auf mich selber bin, weil irgendwas nicht so hin gehauen hat, wie ich es von mir selber erwartet habe."
„Deswegen ja." murmelte ich.
„Du hast aber auch gesehen, dass ich mit anderen nicht so hart in's Gericht gehe. Außer mit Julian, aber dem muss man auch manchmal in den Arsch treten." lachte er, dann wurde er wieder ernster. „Du machst deine Arbeit super und ich könnte mir niemand besseren für den Job vorstellen, als dich. Das meine ich ernst. Und das würde ich auch sagen, wenn du nicht meine Freundin wärst."
„Würdest du?" fragte ich vorsichtig.
„Würde ich." bestätigte er nickend. „Jetzt guck nicht wie ein angeschossenes Reh und nimm den Job endlich an. Nochmal halte ich diese Motivationsrede nicht."
Ich schmunzelte und schaute beschämt zu Boden. „Du glaubst an mich?"
„Absolut." bestätigte er. „Julian auch. Jetzt musst nur noch du an dich glauben."
„Okay." murmelte ich und atmete einmal tief durch. „Ich mach's."

„Also, nur damit ich das jetzt richtig verstehe. Du bist dabei, ja?" fragte Julian euphorisch, als wir ihm am großen Tisch im Büro die Neuigkeit überbrachten.
„Jap. Ich bin jetzt offiziell deine rechte Hand." bestätigte ich mit leicht unsicherer Stimme.
„Naja, noch nicht ganz offiziell. Der Vertrag muss noch angepasst werden, aber ja." antwortete Felix fast so euphorisch wie sein Bruder.
„Das bereite ich vor. Ich bin ja froh, wenn er mir nicht mehr die ganze Zeit damit in den Ohren hängt, dass er unbedingt Unterstützung braucht." scherzte Becci, die mit uns am Tisch saß und deutete auf Julian.
„Ihr könnt euch alle gar nicht vorstellen, wie schwer ich schufte. Von euch allen hier" er lies seinen Zeigefinger einmal in der Runde kreisen. „arbeite ich am härtesten."
Becci, Felix und ich blickten uns alle nach einander an, ehe wir in schallendes Gelächter verfielen.
„Ja was denn?!" rief er in die Lacher hinein und hob die Hände.
„Du armer, armer Mann." witzelte Felix.
„Armer Juli." lachte ich.
„Seht ihr, genau das meine ich! Ihr nehmt mich nicht ernst. An deiner Stelle würde ich nicht so laut lachen, Katharina. Wirst schon noch sehen, was ich meine."
Ich kniff die Augen zusammen und sah ihn an. „Du sollst mich nicht Katharina nennen."
„Und du sollst mich nicht Juli nennen." sprach er und mimte meinen Gesichtsausdruck. „Seh ick aus wie 12?!"
„Du benimmst dich manchmal so." stichelte ich zurück.
„Das kann ja noch heiter werden." murmelte Becci, als sie sich zu Felix herüber lehnte, der nur grinsend den Kopf schüttelte.

„Was wollen wir essen? Ich sterbe gleich vor Hunger." sprach ich, als Felix und ich die Treppen vom Büro zur Gebäudetür herunter liefen.
„Auf was hast du denn Lust?" entgegnete er.
„Mhm, italienisch? Ich hatte lange keine Pizza mehr."
„Pizza klingt gut. Lass dann aber zu dem Italiener an der Admiralsbrücke. Der ist besser als dein komischer Italiener am Rathaus. Da ist der Teig immer noch so halb roh. Ich würde meine Pizza gerne essen und nicht schlürfen." sprach er, übersprang die letzte Stufe mit einem großen Satz und hielt mir die Tür mit einem verschmitzten Grinsen auf.
„Das der Teig so labberig ist, ist doch grade das Beste daran." erklärte ich.
„Nein. Das erklärt nur den Preis von 4,50 pro Pizza." lachte er. „Da wird janz klassisch am falschen Ende jespart."
„Du hast einfach nur keine Ahnung von kulinarischer Finesse." erwiderte ich.
Als wir nach ein paar Schritten am Auto an kamen, erkannte ich einen kleinen, roten Briefumschlag, der hinter den Scheibenwischern steckte.
„Was ist das?" fragte ich und zog den Umschlag heraus.
Verwirrt sahen Felix und ich uns an.
„Gib mal her." sprach er und streckte seine Hand aus. Er öffnete den Umschlag und den darin enthaltenen Zettel und seine Mine verfinsterte sich.
„Was das denn für'n Scheiß?!" nuschelte er.
„Was ist denn los?" fragte ich neugierig, stellte mich hinter ihn und lugte über seine Schulter.

Ich ertrage es nicht, euch Zwei zusammen zu sehen. Du gehörst mir, Felix! Ich bin die bessere Wahl. Nimm mich und lass die Alte gehen. Sonst werde ich sie anders los, das verspreche ich dir.
Ich liebe dich.

Despite it all (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt