40 - Naiv

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„Mir geht's schon wieder besser, wirklich. Lass uns einfach umdrehen und nach Hause fahren." sprach ich, als Felix das Auto durch den Berliner Verkehr manövrierte.
„Nein. Du lässt das jetzt endlich abchecken." erwiderte er und ich meinte in seiner Stimme eine leichte Wut zu erkennen. „Seit ich dich kenne hast du diese Probleme, mal mehr mal weniger schlimm, und ich mache mir Sorgen."
„Mhm." machte ich und schaute aus dem Fenster.
„Und es macht mich sauer, dass du dir anscheinend überhaupt keine Sorgen machst. Ist schon klar, dass dir dein Leben vorher immer egal war, aber jetzt kannst du deinen Egoismus mal ein bisschen zurück schrauben."
„Egoismus?" fragte ich ungläubig. Ich konnte nicht verstehen, warum er plötzlich so gemein und obendrein noch sehr persönlich wurde.
„Ja, Egoismus." bestätigte er und starrte unbeirrt auf die Straße. Sein Gesicht wirkte angespannt. „Du nimmst das auf die leichte Schulter und scheißt auf deine Gesundheit. Wenn's was Schlimmes ist, stehst nicht du am Ende alleine da, sondern ich."
„Jetzt mal doch nicht gleich den Teufel an die Wand. Ich werde nicht so schnell sterben. Glaub mir, hab's schon mal versucht." antwortete ich zynisch.
Er drückte hart auf die Bremse und wir kamen unsanft vor einer roten Ampel zum stehen.
„Wie meinst du das?" fragend sah er mich an. Ich versuchte, seinem starren Blick aus dem Weg zu gehen und schaute weiter aus dem Fenster.
„Hab' mal versucht, mir das Leben zu nehmen. Als ich 16 war. Mit Schlaftabletten und Alkohol. Hat nicht geklappt, wie du siehst."
„Wie hast du das überlebt?" fragte er und ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Waren vielleicht zu wenig Tabletten. Hat mich damals nur noch mehr frustriert, dass ich sogar zu blöd war, mich umzubringen."
Die Ampel vor uns sprang auf Grün und Felix drückte das Gaspedal durch.
„Du hast Recht, vielleicht bin ich lebensmüde." murmelte ich. „Die Dämonen in meinem Kopf... die verschwinden nicht einfach so."
„Aber du bist doch glücklich. Also, mit mir. Oder?"
„Natürlich." erwiderte ich sofort. „Und wie. Scheiße, ich bin wahrscheinlich glücklicher als jemals zuvor in meinem Leben. Es fühlt sich auch so an, als würde sich langsam alles fügen, aber dieser Psychoscheiß... der geht nicht von Heute auf Morgen einfach weg. Ich weiß ganz ehrlich nicht, ob der jemals weggehen wird."
„Vermutlich nicht." erkannte Felix.
„Nein, vermutlich nicht." antwortete ich resigniert. „Du weißt, dass ich dich liebe, ja?"
Seine Mundwinkel zogen sich leicht nach oben, sein Gesicht entspannte sich. „Ich liebe dich auch."
Ich lächelte.
„Und deswegen lässt du das jetzt untersuchen. Für mich."
„Na gut." entgegnete ich.

„So, Frau..." der ältere Arzt vor mir blätterte in seinen Unterlagen. „Beyer. Erstmal herzlichen Glückwunsch."
Verwirrt sah ich ihn an. „Glückwunsch? Wofür?"
„Na, sie hatten doch vor kurzem Geburtstag." entgegnete er.
„Achso." ich seufzte erleichtert auf. „Ja, danke."
Wow. Der Mann hatte ein Talent dafür, einem fast einen Herzinfarkt zu verpassen. Kurz hatte ich Panik, er würde mir nun verkünden, dass ich schwanger sei. Das hätte mir grade noch gefehlt.
„Ihr Blutdruck ist soweit in Ordnung. Leicht erhöht, aber kein Grund zur Besorgnis. Sie sagten ja bereits, dass sie dabei immer ein bisschen nervös sind."
Ich nickte und der Arzt fuhr fort.
„Um genau festzustellen, woher ihre Symptome kommen, würde ich gerne ein großes Blutbild machen. Gibt es, außer den Schwindelanfällen, noch andere Symptome, die ihnen zu schaffen machen?"
Ich überlegte kurz. „Naja, ich habe ziemlich oft Rückenschmerzen. Bauchschmerzen kommen auch oft dazu."
„Mhm, verstehe." der Mann vor mir schrieb sich alles sorgfältig auf. „Besteht die Chance einer Schwangerschaft?"
Ich schüttelte den Kopf. „Eigentlich nicht. Ich habe mir vor zwei Jahren die Spirale einsetzen lassen."
„Okay. Kommt ihre Periode regelmäßig?" hakte er nach.
„Ehm, naja die kommt schon länger sehr unregelmäßig. So seit ein paar Monaten. Aber wenn sie kommt, ist es meistens eine ziemlich starke Blutung, die auch immer mit starken Schmerzen verbunden ist." erklärte ich.
„Wann waren sie denn das letzte Mal bei ihrem Frauenarzt?"
„Vor gut einem Jahr." antwortete ich leise. Ich wusste, dass ich, grade aufgrund der Spirale, eigentlich immer halbjährlich zur Vorsorgeuntersuchung gehen sollte, aber wie bereits erwähnt, bin ich kein Freund von Ärzten und das schließt Frauenärzte auf jeden Fall mit ein.
„Mhm." der Arzt nickte und schien von meiner Antwort wenig begeistert. „Gut, also wie gesagt, wir werden ein großes Blutbild erstellen und dann werden wir schon heraus finden, was ihnen fehlt. Machen sie einmal bitte den Arm frei. Keine Sorge, geht ganz schnell." sprach er und holte eine kleine, silberne Schale mit einer Spritze, einer Kanüle und zwei Zeletten hervor.

„Und?" fragte Felix, der im Auto auf mich gewartet hatte, als ich einstieg.
„Mein Blutdruck ist okay. Die machen jetzt ein großes Blutbild und rufen mich dann an, wenn sie was gefunden haben." erklärte ich, während ich mich anschnallte.
Felix startete den Motor. „Nur dann? Also, die melden sich nur, wenn sie was gefunden haben?"
„Ja, wahrscheinlich wenn irgendwelche Werte erhöht sind." antwortete ich.
„Hat der Arzt denn eine Vermutung, was es sein könnte?"
„Er hat mich gefragt, ob ich vielleicht schwanger sein könnte." lachte ich, aber er fand das anscheinend nicht so lustig wie ich.
„Könntest du denn? Ich meine... fuck, ich hab' dich nie gefragt, ob du-"
„Ich hab' die Spirale." unterbrach ich ihn sofort. „Glaubst du wirklich, ich hätte die ganze Zeit nichts gesagt, wenn wir ohne Verhütung miteinander geschlafen hätten?"
Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung man. Ich bin halt einfach davon ausgegangen, dass du schon irgendwas nehmen wirst."
„Wow, das ist schon ziemlich naiv von dir." sprach ich belustigt. „Da kannst du ja froh sein, dass du bis jetzt noch niemanden geschwängert hast."
„Hab' dir einfach vertraut." sprach er und kratzte sich beschämt den Kopf.
„Also nein. Eine Schwangerschaft kann ich eigentlich ausschließen."
„Eigentlich?" hakte er nach und auf seiner Stirn bildeten sich Falten.
„Naja, gibt ja immer mal Fälle in denen Frauen trotz Verhütung schwanger werden. Aber wenn dem so wäre, wäre ich laut den Symptomen schon seit Monaten schwanger, also wärst du fein raus." scherzte ich.
„Beruhigt mich jetzt eher weniger." murmelte er.
„Kein Grund zur Sorge. Ich hatte vor dir seit locker einem Jahr keinen Sex mehr."
Überrascht sah er mich an. „Nicht?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Dann ist die Chance wirklich sehr gering." stellte er erleichtert fest.
„Gut kombiniert, Sherlock. Warten wir mal ab, was bei dem Blutbild rauskommt. Ist aber bestimmt nichts Schlimmes." sprach ich und legte beruhigend meine Hand auf sein Bein, als er langsam vom Parkplatz des Ärztehauses los fuhr.
„Willst du damit mich oder dich selber beruhigen?" fragte er neckisch.
Vermutlich uns beide.

„Hey ihr Zwei." begrüßte uns Becci, als wir durch die Tür des Büros spazierten.
„Hi Becks." grüßten wir zurück. „Ist soweit alles bereit für die Tour?" fragte Felix, der auf direktem Weg die Kaffeemaschine ansteuerte.
„Es sind nur noch ein paar Kleinigkeiten zu regeln." antwortete sie. „Unter anderem das hier." sie deutete auf einen Haufen von braunen Papptüten, die auf dem kompletten Konferenztisch verteilt waren.
„Was ist das?" fragte ich.
„Das sind Tüten für den Merch. Ich habe uns was Cooles besorgt, Moment." sie lief zum großen, weißen Regal gegenüber von uns und kam mit einem kleinen Paket wieder.
„Tada!" aus dem Paket holte sie etwas heraus, was aussah wie ein überdimensional großer Stempel.
„Da ist das All you can eat-Logo eingestanzt. All diese Tüten müssen damit bestempelt werden."
Ich zog die Augenbrauen hoch und schaute noch einmal über den riesigen Tütenberg.
„Und welcher arme Trottel darf diese Aufgabe übernehmen?" fragte ich vorsichtig und ahnte, worauf das hinauslief.
„Der selbe arme Trottel, der auch das Merch verkauft." lachte Felix, als er aus der Küchennische zu uns trat und mir eine Tasse Kaffee hin hielt.
„Na wunderbar." seufzte ich und sah mich schon den kompletten morgigen Tag stempelnd an diesem Tisch verbringen.
„Quynh wird dir helfen. Für einen alleine ist das kaum zu schaffen." beruhigte mich Becci und ich nahm einen Schluck aus meiner Kaffeetasse.
Na immerhin.

Despite it all (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt