2 ~ Harte Fäuste

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Die Sterne funkelten am Himmelszelt, wie unzählige Diamanten, doch von hier unten konnte man kaum welche sehen. Die Stadt war einfach zu hell. Von meinem Fenster aus konnte ich sie jedoch beobachten.
Ich hatte mich noch lange nach dem Kauf meiner Spitzenschuhe hier aufgehalten. Florida City ließ einen einfach nicht mehr los, wenn erstmal da war. Jedoch musste ich mich nun beeilen. Wahrscheinlich war die Ausgangssperre schon längst überschritten und alle machten sich Sorgen, weil ich noch nicht in meinem Zimmer war. Vielleicht hatte es aber auch noch niemand bemerkt. Egal, ich sah jedenfalls nicht auf die Uhr. Ich wollte gar nicht wissen, wie spät es tatsächlich war.

Meine Beine trugen mich durch die Stadt, wollten schnellstmöglich zu der Bahn gelangen, damit ich zurück zur Schule fahren konnte, aber bei meiner Trödelei hatte ich mich verlaufen. Das kam davon, wenn man so selten in die Stadt, in der man lebte, ging und sich umsah.
Seufzend zog ich mein Handy heraus und gab die Adresse meiner Schule ein. Hier in diesem Teil der Stadt waren die Gassen dunkler. Ich fühlte mich nicht wohl, wollte schnell wieder zurück ins Licht und eine Navigationsapp sollte mir dabei helfen. Ich gab die Adresse ein und schon wurde mir eine Route angezeigt, der ich nun brav folgte.
Immer wieder wechselte mein Blick zwischen meinem Handydisplay und der Dunkelheit, die sich vor mir auf tat, wie ein riesiges hungriges Maul.
Ich hörte Stimmen, die leise miteinander flüsterten, Jungs. Sie lachten und da erkannte ich in der Ferne ein paar Gestalten, die an einer Hauswand lehnten. Sie alle hatten sich die Kapuze tief in die Stirn gezogen, so dass sie beinahe komplett mit der Nacht verschmolzen.
Kaum merklich beschleunigte ich meine Schritte, als ich mich den Jungs näherte. Ich wollte schnell an ihnen vorbei gehen. Normalerweise hatte ich keine Angst vor Menschen. Ich war ja quasi rund um die Uhr von mehreren Hunderten umgeben, doch hier in der Stadt an diesem Ort traute ich ihnen nicht über den Weg. Es war dunkel und die Art, wie sie da standen und versuchten, unentdeckt zu bleiben, machte mich ein wenig nervös.
Mit gesenktem Blick, dem Handy fest in meiner Hand, ging ich an der Gruppe vorbei, wobei man schon fast sagen konnte, ich würde rennen.
Als ich sie passiert hatte, war ich froh. Ich atmete aus und sah wieder auf mein Handy. Nun musste ich nach links.
Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir und augenblicklich spannte ich mich an.
Bestimmt nur jemand, der auch zur Bahn will, redete ich mir ein, doch als sich eine Hand fest um meinen Arm schloss, so dass ich kurz glaubte, er würde brechen, löste sich diese Ausrede in Luft auf.

»Ah, ein Tänzer. Sehr schön«, hörte ich eine tiefe Stimme viel zu nah an meinem Ohr. Ich begann zu zappeln, doch der Unbekannte hinter mir schien nur noch fester zu zu drücken. Mein Herz fing an zu rasen. Ich hatte Angst. So große Angst, wie ich sie in meinem Leben wohl noch nie gehabt hatte.
»Was haben wir denn da? Luca, guck mal rein«, befahl der junge Mann schon fast und mir wurde die Tüte aus der Hand gerissen.
Dieser Luca zog die Schuhe aus der Tüte und zeigte sie herum, was alle zum lachen brachte. Alle außer mir.
»Bist du schwul, hm?«, zischte jemand. Ich nickte. Warum auch nicht? Ich stand dazu. Ich steckte ohnehin schon in der Scheiße, da würde es auch nichts bringen, wenn ich mich selbst verleugnen würde.
»Aha, toll«, knurrte wieder der neben meinem Ohr. Jemand trat in mein Blickfeld. Es war dieser Luca und als er den Blick hob, erkannte ich ihn als den Jungen aus der Bahn von heute Nachmittag.

Lange blieb Luca jedoch nicht still stehen, bevor er mir den ersten Schlag in die Magengrube versetzte. Ich stieß die Luft aus und taumelte ein wenig nach hinten, da der andere Typ aufgehört hatte, mich festzuhalten. Um mich herum tauchten Schatten auf, welche nach und nach auf mich einschlugen. Ich versuchte, mich zu wehren, davon zu rennen, doch sie hatten einen engen Kreis um mich gebildet, welcher eine Flucht unmöglich machte.
»Hört auf.« Ich versuchte es mit betteln, doch das brachte die Jungs nur zum Lachen.
»Die Schwuchtel will, dass wir aufhören«, hörte ich eine bisher noch unbekannte Stimme hämisch lachen.

Natürlich hörten sie nicht auf. Sie machten weiter, bis ich schließlich von den Beinen gerissen wurde und zu Boden fiel.
Das hielt sie jedoch nicht auf. Beine flogen auf mich zu. Ich hatte mich zusammen gerollt, wie eine Katze, wollte meinen Kopf und meinen Bauch schützen, damit ich keine inneren Blutungen bekam. Ich wollte noch nicht sterben.
Tränen rannen über mein Gesicht. Ich hatte Schmerzen. Große Schmerzen. Jeder Atemzug jagte einen Stich durch meinen ganzen Körper und als ich mich nicht mehr bewegte, hörten die Jungs endlich auf.
»Scheiße, ist der jetzt...?«
»Blödsinn. Komm, lasst uns abhauen«, antwortete ein anderer und das taten sie. Ihre Schritte hallten viel zu laut in meinen Ohren wieder, während ich einfach nur da lag.
Meine Spitzenschuhe glänzten rosa im Mondlicht und ich streckte meine Hand nach ihnen aus.
Sofort zog ich sie in meine Arme, drückte sie an mich, so als könnten sie mich heilen, doch ich merkte, wie meine Kräfte immer mehr dahin schwanden.
Meine Augenlider wurden immer schwerer und die Umgebungsgeräusche wurden unbedeutend. Keiner würde kommen. Keiner würde mich hier finden. Vielleicht war das tatsächlich das Ende. Das Ende eines viel zu kurzenLebens. Dabei wollte ich bloß die Stadt genießen und hatte die Zeit aus den Augen verloren.
Schwer atmend lag ich auf dem kalten Asphalt und umklammerte meine Spitzenschuhe, wie ein Irrer.
Mein ganzer Körper pochte, wie eine einzige große Wunde.
Ich fühlte mich so schwer wie noch nie, wo ich doch sonst mit Leichtigkeit über das Parkett flog. Nein, nun war es wohl vorbei mit fliegen. Ich war gefallen und hart aufgeschlagen. Möglicherweise sind meine Flügel nun gebrochen.
Mein Herz krampfte sich zusammen und hätte ich die Kraft, dann hätte ich nun geweint, doch plötzlich wurde alles schwarz.
Nun hatte mich auch die letzte Kraft verlassen.

The Heartbeat DanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt