»Silas! Hey, wie war das Vortanzen?«, rief eine helle Stimme hinter mir. June, meine beste Freundin hier in der International School of Dance. Vor ca einem Jahr war ich angenommen worden. Ein Traum ging in Erfüllung, für den ich zwar meine Heimatstadt verlassen musste, doch das war es mir wert. Nun war ich hier. Diese Schule bildete die besten Tänzer und Tänzerinnen aus und ich würde einer davon sein.
»Gut, sie meinten, dass ich die Rolle bekomme«, gab ich mit einem strahlenden Lächeln zurück und sofort schlossen sich zwei Arme um mich. June drückte mich und wollte mich wohl gar nicht mehr los lassen.
Seit ein paar Wochen hatte ich die Theorie aufgestellt, dass meine beste Freundin vielleicht ein Auge auf mich geworfen haben könnte. Immer öfter suchte sie meine Nähe, wollte mir teilweise sogar kaum von der Seite weichen. Das wäre ja alles ganz schön, nur, ich bin schwul. Das weiß auch jeder hier. Manche rümpften deswegen auch die Nasen, doch dem schenkte ich keine Beachtung. Ich hatte es hier her geschafft. Ich war genauso viel wert, wie alle anderen auch.»Das ist ja genial. Herzlichen Glückwunsch. Kommst noch mit in die Kantine? Ich hab echt Hunger«, meinte die Braunhaarige und sah mich aus ihren blauen Augen an. Sue war hübsch und wenn ich hetero wäre, dann würde ich sie mir krallen. Ich war es nur leider nicht.
Vorsichtig löste ich mich aus ihrer Umarmung.
»Das ist es. Tut mir leid, aber ich werde jetzt gleich noch in die Stadt fahren. Ich muss noch was besorgen«, sagte ich zu ihr und mit diesen Worten ging ich den langen Gang hinunter und nahm schließlich die Treppe, womit ich aus ihrem Blickfeld verschwand.
Florida City war eine schöne Stadt. Nachts war hier die Hölle los. Aus jedem Club dröhnte Musik. Sämtliche Häuser leuchteten und blinkten. Fast so wie in New York, doch nachts durften wir genau bis 22 Uhr raus. Ab dann war Nachtruhe.
Ich nahm die Bahn, die vor dem Internat hielt und fuhr in die Stadt. Heute war sie ziemlich voll. Jedoch war ein freier Zweiersitz noch frei. Mit einem Seufzen ließ ich mich drauf fallen und lehnte meine Stirn an die kühle Scheibe.
Was ich besorgen wollte, war ein Paar neuer Spitzenschuhe. Meine Alten hatte man mit Reißzwecken versehen. Tja, bitter ging es auch in der weltbesten Schule zu. Die Konkurrenz brachte manche dazu, Dinge zu tun, die man kaum für möglich hielt.Ich schloss die Augen, genoss das gleichmäßige Rattern, doch als ich neben mir eine Bewegung spürte, öffnete ich sie sofort wieder.
Ein Junge hatte neben mir Platz genommen. Seine Cap, die seine schwarzen Haare verdeckte, hatte er tief ins Gesicht gezogen, so als wollte er nicht erkannt werden. Er machte mich neugierig, so dass ich den Blick kaum abwenden konnte. Seine Kleidung war löchrig und man sah, dass diese Schlitze nicht Absicht waren.
Er tat mir leid. Bestimmt führte er kein schönes Leben und wahrscheinlich fuhr er gerade schwarz.
»Was ist? Kannst du nicht woanders hin glotzen?«, herrschte er mich an und ich zuckte beinahe zusammen, so vertieft wie ich war.
Sofort wandte ich meinen Blick ab, peinlich berührt wie ich war.
Ich beobachtete oft Leute einfach so. Ich fand es interessant, zu sehen, wie andere sich verhielten, sprachen oder wie sie sich kleideten. Man mochte mich vielleicht für einen Freak halten, aber so war ich eben.Die Bahn hielt und ich stand auf. Dabei musste ich mich an dem Jungen vorbei drängen, der bloß teilnahmslos im Sitz hing. Man könnte meinen, er würde schlafen, doch ich wusste, dass es bloß das Leben war, welches ihm wohl Tag für Tag die Kraft nahm. Armut traf mich immer wieder hart. Im Internat hatten wir alles. Ein Dach überm Kopf, Essen ohne Ende, was wir aber nicht dürfen. Wir sollten nicht fett werden.
Hier draußen in der Stadt sah man erst die Realität. Hier wurde man nicht mehr von dem Glamour der Tanzschule geblendet. Nein, hier befand man sich in der Wirklichkeit, welche oftmals einen bitteren Nachgeschmack hatte.Schnell hastete ich aus der Bahn, sah mich nach dem Geschäft um, von dem June mir mal erzählt hatte und als ich es fand ging ich zielstrebig drauf zu.
Ich musste dazu sagen, dass die International School of Dance sehr wohl auch Jungs annahm. Nur war ich der Einzige. Viele wussten, dass ich schwul war, bevor ich überhaupt ein Wort sagen konnte. Die Stempel, die man aufgedrückt bekam, waren oft zermürbend. Man machte einmal einen Fehler, einen falschen Schritt und schon war man die, die nicht tanzen konnte oder der, der Jungs liebt.
Ich hatte gelernt, damit zu leben. Ändern konnte ich ja ohnehin nichts. Bloß die Sache mit den Reißzwecken war fies. Gebracht hat es ihnen aber nichts. Ich hatte trotzdem die Hauptrolle, den Phönix, bekommen.Der Laden war klein, doch man fand alles, was man brauchte. Ich kaufte mir ein Paar Spitzenschuhe und dann ging ich auch schon wieder.
Eigentlich wollte ich noch hier bleiben. Es gefiel mir in der Stadt. Oft war man im Internat abgeschottet und man vergaß, dass es dort draußen auch noch eine Welt gab. Ich wollte nun meine Freiheit genießen.
Also schlenderte ich die Straßen entlang, ging schließlich auch in ein Restaurant, wo ich mir was gönnte, denn ich hatte ganz schönen Hunger.
Als ich fertig war, trat ich wieder nach draußen. Die Sonne war gerade dabei zu gehen, um dem Mond und damit der folgenden Nacht Platz zu machen. Einen Moment nahm ich mir, um das Naturschauspiel aus allen möglichen Neon- und Pastelfarben auf mich wirken zu lassen. In der Ferne sah ich eine Gruppe Jungs auf einer kleinen Mauer sitzen. Einer war gerade dazu gekommen und sie begrüßten sich lachend. Wahrscheinlich trafen sie sich, um zusammen in das Nachtleben von Florida City zu starten und für einen kleinen Moment wünschte ich mir, ich könnte es auch. Einfach ausgehen, feiern. Mal die Schule vergessen. Ballett war hart und oft hatte ich mich schon gefragt, warum ich mir das eigentlich antat, aber es ist mein großer Traum und an Träumen sollte man festhalten oder nicht?
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The Heartbeat Dance
Novela JuvenilBlaue Flecken, eine blutende Nase und eine angebrochene Rippe. Das alles sind Souvenirs, die Silas von seinem ersten aufeinandertreffen mit einem geheimnisvollen Jungen mitnahm und dennoch kann Silas ihn nicht vergessen. Ein Tänzer und ein Schläger...