4 ~ Geplatzte Träume

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Schweigend saß ich da, die Arme um meine Beine geschlungen. Unter mir das weiche Bett und doch fühlte ich mich betrogen und hintergangen. Die Hauptrolle wäre Mein gewesen. Ich hätte glänzen können, doch was ich auch wusste war, dass das Business im Tanzbereich hart war. Wenn man nicht funktionierte, wurde man ausgetauscht und das tat ich gerade im Grunde. Ich funktionierte nicht. Zumindest nicht so, wie vor meinen Unfall. Warum diese Jungs mich zusammen geschlagen hatten, wusste ich bis heute nicht, aber ich wollte diesen Teil auch am liebsten vergessen.
Meine angebrochene Rippe war schon sehr gut verheilt und dennoch meinte die Schwester, die mich heute Morgen entlassen hatte, dass ich mich schonen sollte.
Offenbar hat Mrs Jeffreys das mitbekommen und die Hauptrolle neu besetzt. Nun spielte June den Phönix, der aus der Asche auferstand, während ich eine kleine Rolle am Rande spielte, an die sich später niemand mehr erinnern würde.
Das war okay. Ich redete es mir immer wieder ein. Meine Chance würde noch kommen. Auch ich werde noch leuchten und das heller als die Sonne.
Leise klopfte es an meiner Tür. Eigentlich wollte ich gerade alleine sein und schmollen, doch Gesellschaft würde mir vielleicht ganz gut tun, weshalb ich meinen Gast herein bat.
Meine beste Freundin schlüpfte durch die Zimmertür und ließ diese offen. Eine Regeln an dieser Schule, obwohl sie in meinem Fall hinfällig war. Ich war schwul. Was sollte ich mit einem Mädchen anderes anfangen, als zu reden.
June hatte ihre braunen Haare zu einem ordentlichen Dutt zusammen gebunden, so als käme sie gerade aus dem Training.
»Silas, ich weiß, das mit der Hauptrolle nervt dich, aber ich konnte nichts machen. Außerdem bin ich auch dafür, dass du kürzer treten sollst. Du musst dich ganz erholen und dann kannst du richtig durchstarten«, sagte sie und setzte sich am Fuße des Bettes hin.
Ihre braunen Augen lagen auf mir und ich nickte. Eigentlich wollte ich nicht mehr über diese Aufführung reden, da ich mich darüber nicht unterhalten konnte, ohne schlechte Laune zu bekommen und schlechte Laune war für einen, ansonsten positiven Menschen, nicht sehr angenehm.
»Ich weiß, June. Ist schon vergessen. Genieße einfach deinen Auftritt.«
Sie seufzte leise, merkte genau, dass es mir nicht passte, ließ es aber unkommentiert, wofür ich ihr sehr dankbar war.
»Was steht denn heute noch so an?«, lautete stattdessen ihre Frage.
Ich zuckte mit den Schultern. Am liebsten würde ich mich hier verschanzten, mir traurige Musik anhören und dann mich über mich selbst ärgern darüber, dass ich mich so gehen ließ.
June verdrehte leicht ihre Augen und auf ihren Lippen erschien ein Lächeln. Sie hatte einen Plan. Ganz klar.
»Heute Abend findet eine Party statt. Ich werde da hin gehen und du wirst mich begleiten«, kam es aus ihrem Mund.
»June, als ich das letzte Mal die Regeln gebrochen und länger draußen war, als die Ausgangssperre es erlaubt, bin ich im Krankenhaus gelandet. Ich bin also nicht gerade heiß darauf, nachts draußen herum zu rennen«, gab ich zurück. Ich lehnte mich an die kühle Steinwand an meinem Bett, welche die Farbe des Himmels hatte, an schönen Tagen. Helles blau, genau wie meine Augen.
»Apropos heiß. Dir wird auf jeden Fall heiß werden. Da sind viele hübsche Jungs, die vor dir auf die Knie fallen werden.«
Verrückt, dabei dachte ich immer, sie sei heimlich in mich verliebt. Egal, nur dieses Bild von niederknienden Jungs würde niemals Realität werden. Die meisten fingen an, laut zu lachen, wenn wir so weit waren und auf das Gespräch Studium kommen. Klar, es war nicht typisch für einen Jungen, Ballett zu tanzen und doch taten es unzählige. Zurzeit war ich zwar der einzige an der International School of Dance, aber wenn man sich früher das Theater ansah, dann haben viele Männer die Frauenrollen übernommen. Zum Beispiel in der Oper, doch ich werde jetzt nicht mit langweiligem Geschichtekram um mich werfen, um den lästigen Stereotypen den Gar aus zu machen.
»Ich weiß nicht June. Ich...«
»Aber ich weiß es. Stell dich nicht so an und schwing deinen hübschen Arsch auf diese Party. Du wirst es nicht bereuen und außerdem bist du nicht alleine. Dir wird also keiner mehr was tun«, unterbrach sie mich einfach.
Ich bezweifelte zwar, dass die Jungs vor einem so zierlichen Mädchen wie June Halt machen würden, aber ich gab nach. Einfach aus dem Grund, weil ich tief in meinem Inneren wieder raus wollte. Ich wollte leben und Jungs treffen und vielleicht hatte meine beste Freundin ja recht und ich lernte wirklich jemanden kennen.
Einen Freund könnte ich zwar in meiner momentanen Lage nicht gebrauchen, aber es wäre trotzdem schön. Verdammt schön...

June blieb noch ein paar Stunden, bis sie sich erhob und ging. Ganz leise zog sie die Tür hinter sich zu und ich bekam meine Privatsphäre zurück. Endlich konnte nicht jeder, der den Gang entlang lief, in mein Zimmer schauen.
Seufzend sank ich ins Kissen und starrte an die Decke.
Wieder kamen mir die Blumen in den Sinn. Wer hatte sie gekauft, wenn es nicht June war. Wirklich einer der Jungs? Schlechtes Gewissen? Warum schlug er denn dann überhaupt mit, wenn er das nicht wollte.
Fragen über Fragen, dessen Antwort allein das Universum kannte, doch mein Gedankenstrudel wurde von dem Klingeln meines Handys unterbrochen.
Es war ein Anruf meiner Mutter. Sie wollte bestimmt wissen, wie es mir ging, nachdem sie im Krankenhaus schon fast Telefonterror betrieben hatte, weil sie so oft angerufen hatte.
Meine Finger glitten über das grüne Abheben-Symbol.
»Mum?«
»Hallo mein Schatz, wie geht es dir denn? Endlich kann ich dich persönlich sprechen. Die Schwestern meinten jedes Mal, du brauchst Ruhe«, sprach sie und ich vermutete, dass es ein Entgegenkommen der Schwestern mir gegenüber war, denn meine Mutter konnte oft reden, wie ein Wasserfall. So ein Anruf konnte gut und gerne auch mal ein bis zwei Stunden dauern.
Also machte ich es mir bequem.
»Alles bestens«, antwortete ich, verschwieg, dass ich nun doch nicht die Hauptrolle spielen würde. Dafür musste ich es zuerst selbst verarbeiten, bevor ich meine Niederlage mit anderen teilen konnte.
Eines Tages würde mein Moment kommen. Ganz bestimmt!

The Heartbeat DanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt