3 ~ Endlich draußen

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Zitternd öffneten sich meine Augenlider, um sogleich vom hellen Neonlicht in Empfang genommen zu werden. Krankenhaus. Ganz sicher.
Ich wollte mich auf die anderen Seite drehen, doch mein Körper fühlte sich so an, als wäre er der eines anderen.
»Oh Gott, Silas! Du lebst!«, konnte ich die Stimme meiner besten Freundin June hören.
Ich drehte meinen Kopf in ihre Richtung und sah, wie sie von ihrem Stuhl aufgesprungen war und sich nun über mich beugte.
»Man hat dich zusammen geschlagen. Ein Passant hat dich da liegen sehen und den Krankenwagen gerufen. Was machst du denn für Sachen? Du musst tanzen. Die Aufführung ist doch bald und du hast die Hauptrolle. Das wäre so eine tolle Möglichkeit für dich«, redete das Mädchen drauf los und hörte sich dabei an, als wäre sie meine Mutter.

Ich brummte nur als Antwort und rieb mir die Schläfen. Gerade war mir die Aufführung wirklich egal, auch wenn ich so stolz auf mich war, dass ich die Hauptrolle bekommen hatte. Nun lag ich hier in diesem Bett und spielte eine andere Hauptrolle, nämlich die in meinem richtigen Leben.

Kurz sah ich zu dem Nachttisch neben meinem Bett, auf dem Blumen standen. Ein riesiger Strauß mit vielen verschiedenen Sorten. Sonnenblumen, Margeriten, Rosen, ein wenig Gras als Deko. Der Strauß war wirklich schön und ich wandte mich lächelnd an June.
»Dankeschön. Der ist wundervoll«, krächzte ich und deutete auf den Strauß, doch meine Freundin schüttelte nur den Kopf, was mich die Stirn runzeln ließ.
»Der ist leider nicht von mir. Ich hab dir das Schokoladenherz mitgebracht. Der Strauß war schon da, als ich hergekommen bin«, meinte sie und zuckte mit den Schultern.

Langsam nickte ich und betrachtete den Blumenstrauß nachdenklich. Wenn Blumen nur reden könnten...

***

Nachdem June wieder gehen musste, blieb ich alleine in meinem Zimmer zurück und konnte die Zeit nun mit sinnlosem durch die Gegend Starren verbringen. Ich war müde, obwohl ich nichts anderes getan hatte, als herumzuliegen. Normalerweise hielt mein Körper ganz andere Belastungen aus, doch ich war kaputt. Wortwörtlich. Die Krankenschwester meinte, dass ich Glück hatte. Wenn die Jungs noch einmal zugetreten hätten, dann wäre meine Rippe gebrochen und hätte meine Lunge verletzt. So war sie nur angebrochen. Das würde wieder heilen, wenn ich Ruhe gab, also gehorchte ich brav und blieb liegen.
Ich würde wohl nie verstehen, warum sie mich angegriffen hatten. Wollten sie meine Schuhe? Brauchten sie Geld? Oder wollten sie einfach einen Boxsack haben, der sie anbettelte, dass sie aufhören sollen?
Wie auch immer. Ich würde es nie erfahren und ihnen auch hoffentlich kein zweites Mal begegnen.

Gegen Abend wurde mir das Essen gebracht. Lustlos aß ich vor mich hin und hatte mich noch nie so unbrauchbar gefühlt. Ich wollte raus in die Welt, wollte leben und tanzen, bis mir vor lauter Blasen die Füße abfielen, aber das konnte ich vergessen. Jetzt hieß es erstmal Ruhe geben.

Die Nacht die folgte, war auch nicht besser. Immer wieder wollte ich mich auf die Seite drehen, ließ es aber bleiben, da sofort ein stechender Schmerz durch meinen Körper zuckte.
»Fuck«, flüsterte ich nur und ja, das traf es ziemlich gut.
Wieder blickte ich die Blumen an, welche im Mondlicht beinahe gespenstisch schimmerten. Von wem waren diese Blumen? Von einem der Jungs? Hatte jemand doch ein schlechtes Gewissen bekommen?
Seufzend schloss ich meine Augen. Schlaf war die beste Medizin und ich wollte hier schnell wieder raus, also schlief ich so viel es mir möglich war.

Der nächste Morgen brach heran. Geschäftig wuselten die Krankenschwestern um mich herum, gaben mir Schmerzmittel oder Essen. Manche erkundigten sich aber auch einfach nur nach meinem Wohlbefinden.
Dennoch war es ätzend. Alle waren nett zu mir und doch wollte ich wieder zurück in die Tanzschule, in die Höhle des Löwen, da wo die Intrigen aus dem Boden wuchsen, wie Unkraut.
Es war eben meine Heimat. Alles war besser, als hier zu liegen, als wäre man schon längst tot.

Der Tag, an dem ich entlassen wurde, bekam ein goldenes Kreuz in meinem Kalender. June und eine Lehrerin holten mich ab. Wir fuhren zurück in die International School of Dance und ich atmete den vertrauten Geruch ein, als ich durch die Eingangshalle in das riesige Treppenhaus trat. Ich war wieder hier, bereit allen wieder in Erinnerung zu rufen, dass ich der Beste war und nicht aufhören würde zu kämpfen. Das hier war mein Traum. Niemals gab ich ihn auf.

»Silas, du musst immer noch sehr vorsichtig sein. Wir haben beschlossen, dass June die Hauptrolle bekommt und du erstmal mit einer kleinen Nebenrolle anfängst. Wir können es uns nicht leisten, dass du nochmal ausfällst und ich denke, du willst das auch nicht oder?«, sagte Mrs Jeffreys Das fühlte sich an, wie ein Schlag in die Magengrube. Eine kleine Nebenrolle? Nein, das war nicht okay. Schön, dass June sie bekommt, welche nun schuldbewusst zu mir hinüber blickte, aber ich hatte mich so darauf gefreut, über die Bühne schweben zu können und dabei die volle Aufmerksamkeit des Publikums zu haben.
Meinen Frust gab ich jedoch nicht preis. Das gehörte sich nicht für einen professionellen Tänzer. Stattdessen nickte ich brav und lächelte sogar leicht.
»Herzlichen Glückwunsch, June und ja, Sie haben recht. Ich möchte nicht erneut ausfallen. Eine kleine Nebenrolle ist in Ordnung. Vielen Dank, dass ich dabei sein darf«, sagte ich und neigte leicht den Kopf, um meine Dankensworte noch zu unterstreichen.
Mrs Jeffreys lächelte nur leicht und nickte.
»Nichts zu danken. Du hättest natürlich die Hauptrolle behalten, aber du musst dich erholen und die Schritte wären zu anspruchsvoll«, erklärte sie ihre Entscheidung.
Natürlich waren die Schritte anspruchsvoll. Es war immerhin die Hauptrolle. Wieder nickte ich nur und trat einen Schritt Richtung Treppe.
»Wie Sie richtig gesagt haben, muss ich mich erholen. Ich werde jetzt auf mein Zimmer gehen und mich hinlegen«, sagte ich und lächelte die beiden Frauen sanft an. Dann lief ich nach oben und war froh, in meinem Zimmer zu sein. Was ein furchtbarer Tag. Ja, ich war aus dem Krankenhaus draußen, aber ich hatte das verloren, auf das ich mich nun so gefreut hatte. Die Hauptrolle.

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