11 ~ Gedanken

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Der Tag verlief, wie jeder andere auch. Luca spukte mir nicht mehr allzu sehr im Kopf herum, wofür ich sehr dankbar war.
Gerade saß ich in meiner letzten Unterrichtsstunde für heute. Mathe. Es war erstaunlich, zu welcher Leistung der menschliche Körper in der Lage war. Es war fünf Uhr nachmittags und noch immer war ich nicht müde, obwohl ich seit sieben Uhr auf den Beinen war und mich ordentlich ausgepowert hatte, in den Tanzstunden.
June hingegen war müde. Sie saß neben mir und sagte keinen Ton, was ungewöhnlich für sie war. Ihren Kopf hatte sie auf ihren Händen abgestützt und es kostete sie große Anstrengung, die Augen offen zu halten.
Ich musterte sie kurz.
»Das kommt davon, wenn man keinen Kaffee trinkt«, flüsterte ich ihr zu. Das war ein Getränk, welches wir haben durften. Ohne Zucker natürlich.
June streckte mir nur die Zunge raus, ehe sie wieder nach vorne zu Lydia sah, welche ihr Können an der Tafel unter Beweis stellte.
Nachdem sie die Aufgabe gemeistert hatte, ging sie zufrieden zurück zu ihrem Platz, während sie uns nur einen abfälligen Blick zuwarf. Dieses Mädchen war so verbissen, dass ich es kaum glauben konnte. Alles drehte sich um das Tanzen und darum, überall die beste zu sein. Sie sollte sich ein bisschen zurück nehmen und das Leben entspannter sehen. Der Erfolg kam dann schon, denn schlecht war die Teilzeitbarbie nicht.

Endlich erlöste uns die Glocke von unserem Schultag und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht froh darüber war, nun meinen Abend entspannt ausklingen zu lassen. Schnell stand ich auf und packte meine Sachen zusammen. June war wohl im Zeitlupenmodus. Langsam räumte sie ihre Bücher in den Rucksack. Ein paar Strähnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst, den sie sich nach dem Tanzunterricht geflochten hatte. Das Mädchen sah aus, als hätte sie seit drei Wochen kein Bett mehr gesehen.
»Ist alles okay?«, fragte ich, als wir den Klassenraum verließen. Vor uns schnatterte Lydia gerade mit ihrem Gefolge.
June seufzte. »Schon, aber ich bin heute einfach nur fertig. Fünf Tage die Woche so lange Schule zu haben macht einen eben fertig«, gab sie als Antwort. Ich musste ihr zustimmen. Das beanspruchte einen durchaus.
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zu unseren Zimmern, da wir uns da einig waren. Heute machten wir keinen Schritt mehr.
Mit einer Umarmung verabschiedete ich mich von meiner besten Freundin und ging dann in mein eigenes Reich, wo ich meinen Rucksack erstmal neben meinem Bett ablud.
Mit einem tiefen Seufzer ließ ich mich auf die weiche Matratze fallen. Das tat gut nach so einem anstrengenden Tag.
Irgendwann kämpfte ich mich dann doch wieder hoch und begab mich ins Bad, wo ich mir die Kleider vom Leib zerrte und unter die Dusche stieg. Das warme Wasser prasselte auf mich herab und lullte mich ein. Wenn ich im Stehen schlafen könnte, dann würde ich es wohl jetzt tun.
Ein plötzliches Klopfen riss mich jedoch wieder in die Realität zurück. Wer störte denn jetzt noch?
Ich stellte das Wasser ab, tastete nach meinem Handtuch und wickelte es mir um die Hüften. Dann ging ich zu meiner Zimmertür und öffnete sie.
Vor mir stand Barbie höchst persönlich. Sie hatte ihre Lippen wütend zusammen gepresst und ich fragte mich, was sie jetzt noch von mir wollte.
»Jetzt hör mal zu. Ich weiß, dass du dir viel darauf einbildest, dass jeder Lehrer dich lobt.«
Falsch, das tat ich nicht.
»Aber deshalb hast du noch lange keinen Grund dazu, mir mein Kostüm für die Aufführung zu zerschneiden. Ich weiß, wie sauer du warst, als sie die Hauptrolle doch June gegeben haben, wegen deinem Unfall. Tut es nicht weh, so neidisch zu sein?«, stichelte sie giftig.
Ich hatte sie nur angestarrt, mir ihre Predigt angehört, schüttelte nun aber den Kopf.
»Ja, ich war sauer, weil ich mich so darauf gefreut und hart dafür trainiert habe. Wärst du aber mit Sicherheit auch gewesen. Inzwischen gebe ich mich mit meiner Nebenrolle zufrieden. Warum sollte ich also dein blödes Kostüm zerschneiden?«
Lydia kniff ihre Augen zusammen und musterte mich. Sie glaubte mir nicht. Toll, ich hatte keine Lust mehr auf diese Diskussion. Viel lieber würde ich jetzt wieder unter der Dusche stehen.
»Du lügst. So wie du es immer tust. Du bist eine falsche Person, Silas. Dir kann man nicht trauen und ich werde beweisen, dass du deine scheiß dreckigen Hände im Spiel hast«, zischte sie.
»Mach das. War's das jetzt? Ich würde nämlich gern wieder duschen gehen«, gab ich gelangweilt zurück.
Das machte die Blonde aber nur noch wütender. Sie holte aus und gab mir eine Backpfeife, die mich erschrocken die Luft einziehen ließ. Ich spürte das scharfe Prickeln an der Stelle, wo ihre Hand auf meine Haut getroffen hatte und starrte sie fassungslos an.
»Hör auf dich wie ein Arschloch zu verhalten. Hör auf, anderen die Träume kaputt zu machen«, sprach sie und zum Ende hörte sich ihre Stimme schon fast weinerlich an. Dann wandte Lydia sich einfach um und stapfte schniefend davon.
Leicht schüttelte ich den Kopf und schloss die Tür wieder. Dieses Mädchen hatte sie doch wirklich nicht mehr alle. Was sollte ich mit ihrem blöden Kostüm? Das wird schon eine ihrer „tollen" Freundinnen gewesen sein, aber was rastete sie gleich so aus? Da sah man wieder, unter welch großen Druck wir hier alle stehen. Eine Kleinigkeit und man ging in die Luft, wie ein Pulverfass.
Schweigend widmete ich mich aber nun wieder meiner heiß ersehnten Dusche und im Anschluss trug ich noch meine Salbe gegen die ganzen Blasen auf. Sorgfältig klebte ich die Pflaster auf meine geschundenen Füße und legte mich dann in mein Bett.
Endlich Feierabend und das hatte ich mir heute verdient. Ich schaltete den Fernseher ein, um noch irgendeine Serie zum einschlafen zu schauen und lehnte mich entspannt zurück. Was Luca wohl gerade tat?
Verdammt, da war er wieder. Wenn es leiser wurde, wurden die Gedanken an ihn wieder laut. Dieser Junge sollte aus meinem Kopf verschwinden, doch das ging nicht, wenn er immer wieder plötzlich irgendwo auftauchte mit seinem Lächeln.
Mit einem leisen Knurren machte ich den Fernseher aus, so als wäre dieser Schuld daran, dass ich wieder an den geheimnisvollen Schlägertypen denken musste. Ich schloss die Augen, um zu schlafen, doch das klappte erst nach einigen Stunden, die ich mit grübeln verbrachte. Ganz toll!

The Heartbeat DanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt