9 ~ Verwarnung?

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Mrs Jeffreys sah uns alle nochmal prüfend an, bevor sie die Musik anschaltete und June zu nickte, welche zu tanzen begann. Alle anderen wärmten sich noch weiter auf und konzentrierten sich nicht weiter auf ihre Konkurrentin. Egoismus war hier leider kein Fremdwort. Beim Tanzen dachte jeder nur an sich, doch ich ließ mir den kleinen Auftritt meiner besten Freundin nicht entgehen. Gebannt sah ich zu, wie das braunhaarige Mädchen federleicht über den Boden schwebte. Sie war gut, nahezu perfekt, denn wenn der Zuschauer Ballett für einfach hielt, machte man alles richtig.
Nebenbei dehnte ich meine Beine, setzte mich schließlich auf den Boden und betrachtete June weiterhin, wie ihre Arme elegant durch die Luft flogen und eine Pirouette einleiteten.
Plötzlich tauchte der Assistent des Direktors auf. Er hieß Easton John, aber alle nannten ihm Easy. Eilig lief er auf die Lehrerin zu, die ihren Kopf zu ihm herunter beugte, June jedoch nicht eine einzige Sekunde aus den Augen ließ.
»Kopf gerade«, gab sie an das Mädchen weiter, die den Befehl sofort ausführte. Dann hörte Jeffreys weiter zu und nickte kurz. Der Assistent verschwand wieder und die Musik stoppte abrupt, so dass June einige Sekunden ohne Ton weiter tanzte, wie bei einem Stummfilm.
Der Blick der Frau richtete sich geradewegs auf mich und ich schluckte schwer.
»Du sollst vor das Sekretariat kommen«, sprach sie und mir wurde heiß und kalt zugleich. Hatte ich was falsch gemacht? Okay, das war vielleicht nicht richtig, sich diese Frage zu stellen. Gestern hatten wir gerade erst gegen die Ausgangssperre verstoßen und damals, als ich zusammen geschlagen wurde, konnte ich froh sein, dass sie mir nicht auch noch eine Strafe aufgedrückt hatten. Da hatte ich die Ausgangsregel nämlich auch nicht beachtet.
Die richtige Frage lautete also eher: Wurden wir gesehen?
Mit einem knappen Nicken stand ich auf und trippelte mit meinen Spitzenschuhen nach draußen. Die Blicke der anderen bohrten sich in meinen Rücken. Ich wusste, dass ich die gleiche Ratlosigkeit in ihren Augen finden würde, wie ich sie gerade spürte.
Eilig lief ich durch den langen Flur bis zur Treppe am Ende. Die hellen Wände schienen mich zu beobachten, schienen mich zu verspotten.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich die braune, mächtige Holztür zum Sekretariat endlich erspähte. Plötzlich fühlte ich mich schrecklich klein. Es konnte durchaus sein, dass ich eine Verwarnung bekam. Verdammt, warum hatte ich mich bloß auf diese blöde Party eingelassen? Im Endeffekt hab ich mich dort ohnehin nur geärgert.
Plötzlich fiel mir eine Gestalt auf, die vor der Tür stand, wie ein stummer Wächter, ein Zeuge, welcher gleich sehen würde, wie ich zur Schnecke gemacht wurde.
Es war wohl ein Junge. Er hatte einem schwarzen Kapuzenpulli an, wofür ich ihn beneidete. Ich würde mich nämlich gerade auch gern hinter einer Kapuze verstecken.
Dazu trug er eine Jenas, die ziemlich abgetragen aussah. Er wirkte so fehl am Platz, neben all den goldenen Verzierungen überall.
Tief atmete ich durch, bevor ich näher kam. Der Junge wandte sich mir zu und ich schluckte schwer, als ich ihn erkannte.
»Was hast du hier zu suchen?«, platzte es sofort aus mir heraus. Ich starrte ihn an. Verfolgte er mich etwa? Woher wusste er überhaupt, dass ich hier zur Schule ging?
»Ich wollte dich sprechen, um mich zu bedanken. Also dafür, dass du mir auf der Party helfen wolltest«, sagte er und ich verschränkte die Arme vor der Brust.
»Zu diesem Zeitpunkt hast du so gewirkt, als würdest du mich überhaupt nicht kennen. Von Dankbarkeit war da keine Spur.«
Der Junge drehte sich nun ganz zu mir und nahm seine Kapuze ab. Sofort leuchteten mir wieder diese Blauen Augen entgegen, die kaum echt sein konnten, so sehr stachen sie aus dem Gesicht hervor.
»Ich kenne dich ja auch nicht.«
Punkt für ihn. Wir kannten uns wirklich nicht. Ich wusste nicht einmal seinen Namen.
Verärgert, weil er recht hatte, seufzte ich auf und nickte leicht.
»Gut. Warst du der Grund, warum ich hier her kommen sollte?« Falls dies so war, konnte ich nicht glauben, dass er meine Zeit so sehr verschwendete.
Der Fremde nickte und lehnte sich an die Wand mit einer Lässigkeit, die mich tatsächlich kurz sprachlos machte.
»Ich wollte mich auch dafür entschuldigen. Dexter ist nur etwas schwierig und wenn er herausfindet, dass wir schonmal miteinander was zu tun hatten, dann rastet er aus. Kontakt zu anderen ist verboten. Es gibt nur unsere Clique. Sonst besteht die Gefahr, Geheimnisse auszuplaudern«, versuchte mir der fremde Junge sein Verhalten zu erklären, doch ich schnaubte nur.
»Hörst du dich überhaupt selber reden? Das klingt total dämlich. Sorry, wenn ich das jetzt so sage, aber du hast mir noch nicht einmal deinen Namen verraten und tust so, als würdest du es ernst meinen. Ich habe keine Zeit für deine Spielchen. Such dir wen anders«, kam es von mir.
Der Junge biss die Zähne zusammen. Das konnte ich sehen, denn sein Kiefer bewegte sich ganz leicht.
»Luca.«
Ich runzelte die Stirn und blickte ihn fragend an.
»Luca. Ich heiße Luca und du?«
»Silas. Kann ich jetzt gehen? Ich darf nicht so viel verpassen und woher wusstest du überhaupt, dass ich hier bin?«
Luca schmunzelte nur. »Naja, es gibt nicht so viele hier, die sich Spitzenschuhe kaufen und es für private Zwecke brauchen. Also bin ich hier her gefahren. Die einzige Tanzschule hier im Land«, erklärte er sich und ich musste zugeben, dass es wohl wirklich nicht besonders schwer war, Tänzer hier in der Umgebung zu finden.
Kurz sah ich zu Boden. Normalerweise war ich nicht so unfreundlich. Vor allem nicht zu Fremden. Ich hatte stets ein Lächeln im Gesicht und begrüßte meist jeden, der mir über den Weg lief, doch dieser Junge machte mir angst.
Nicht, weil ich angst hatte, dass er mich wieder zusammen schlug. Nein, das Gefühl, welches ich in seiner Gegenwart spürte war gefährlich. Dieses warme Prickeln, wenn ich darüber nachdachte, welcher Blauton seine Augenfarbe wohl am bestem beschrieb, war nicht gut. Ich wollte eklig zu ihm sein, damit er das Weite suchte, doch stattdessen stand er hier, mitten in der International School of Dance, verriet mir seinen Namen, als wäre es das größte Geheimnis und lächelte dabei so unverschämt attraktiv, dass ich ihn hätte schlagen können.
Tief atmete ich durch, um gegen die Hitze in meinem Inneren anzukommen.
»War's das? Ich hab noch zu tun«, betonte ich erneut und Luca neigte den Kopf ein wenig zur Seite.
»Ich hoffe nicht, dass es das war, aber los. Geh schon«, meinte er ruhig.
Mechanisch drehte ich mich um und stöckelte viel zu steif von ihm weg, ohne auch nur noch ein Wort zu sagen.

The Heartbeat DanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt