10 ~ Süße Jungs

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Mit eiligen Schritten ging ich zurück zum Tanzsaal. Was war das denn? Da kam dieser wildfremde Junge einfach hier her und redete irgendwas von Dankbarkeit daher, dabei hatte er vor seinen Freunden nicht einmal den Mut, dazu zu stehen, dass er mich kannte. Gut, vielleicht war das auch besser, denn Dexter sollte mich nicht unbedingt wieder erkennen. Nochmal Krankenhaus war mir dann doch zu viel.
Ich zog schwungvoll die Glastür zum Trainingssaal auf. Alle Räumen waren komplett aus Glas. Das hieß, dass man vom Gang aus in jeden Saal hinsehen konnte. Mich störte das nicht. Wenn ich tanzte, blendete ich ohnehin die komplette Umgebung aus.
Neugierig sahen mich die anderen an. Klar, sie gingen wohl davon aus, das ich jetzt wahrscheinlich meine Sachen zusammen packte und mich zurück in mein Zimmer begab, da ich Ärger bekommen hatte. Sie waren beinahe enttäuscht, als ich mich wieder an die Stange stellte und weiter mit den Übungen machte, bei denen ich zuvor unterbrochen wurde.
June stand hinter mir. Ich spürte, wie sich ihr Blick in meinen Rücken brannte. Sie wollte wissen, was passiert war. Kurz sah ich über meine Schulter zu ihr nach hinten. Später, wollte ich ihr mit meinem Blick sagen. Später in der Pause würde ich ihr alles erzählen, da ich wusste, dass sie ohnehin keine Ruhe geben würde, bevor sie nicht die ganze Geschichte kannte. Was dies betraf, war sie meiner Mutter sehr ähnlich.
»Silas, du bist der nächste. Ich hoffe doch sehr, dass es nichts schlimmes war«, richtete Mrs Jeffreys die Worte nun an mich. Stumm schüttelte ich nur den Kopf und trat selbstbewusst nach vorne, während die anderen sich abwandten. Einige drehten sich sogar mit dem Rücken zu mir, so als könnten sie es nicht ertragen, zu sehen, dass jemand besser war, als sie.
Als die sanftem Geigenklänge einsetzten, war ich wie in einer anderen Welt. So wie immer, wenn ich dem Tanzen meine Zeit schenkte. Schwerelos flog ich durch den Raum und hoffte, dass man mir meinen Unfall nicht mehr ansah. Ich wollte keine Sonderbehandlung mehr. Gut, die Hauptrolle hatte ich dadurch verloren, doch das änderte nichts daran, dass ich es konnte und es wollte.
Ich drehte mich. Einmal. Zweimal. Dreimal. Man mochte meinen, mir würde schwindelig werden, doch das war nicht der Fall. Wir Tänzer waren trainiert worden, hatten unseren Kreislauf im Griff, da wir auch die Lehre unseres Körpers studiert hatten. Wir alle wussten, wie viel wir von was brauchten und das war gut so.
Viel zu schnell war die Musik aus. Ich verharrte in meiner Endpose, den rechten Arme nach oben in die Luft gestreckt und den linken hielt ich elegant auf der Höhe meines Bauches. Die Beine waren überkreuzt, wovon das Linke nur mit den Zehenspitzen den Boden berührte.
»Sehr gut. Euch allen fehlt es oft an Körperspannung. Nehmt euch hier an Silas ein Beispiel«, lobte die Lehrerin mich und auch wenn Lob hier an dieser Schule das größte Geschenk war, so war es mir fast schon ein wenig peinlich. Natürlich wusste ich, dass ich gut war, aber ich wollte den anderen nicht noch mehr Grund dafür geben, mich zu hassen.
June empfing mich mit einem Lächeln, als ich zurück zur Stange ging. Sie reckte beide Daumen nach oben und grinste so breit, als hätte sie gerade eben das Lob kassiert.
Der Unterricht war nach ein paar Tipps von Mrs Jeffreys zu Ende. Eilig tummelten sich die Schülerinnen hinten beim Regal. Sie zerrten ihre Taschen aus dem Fach und liefen dann aus dem Saal. Wahrscheinlich um dem gewissen Flair hier zu entfliehen. Ich hingegen schlenderte entspannt nach hinten und holte meine Tasche heraus, bevor ich mich auf den Boden setzte und meine Spitzenschuhe auszog, um sie im Anschluss in die Seitentasche zu stopfen.
June kam sofort zu mir und setzte sich neben mich. Verstohlen sah sie zu Mrs Jeffreys, als sie den Saal verließ und erhob dann ihre Stimme.
»Und? Was war nun vorhin. Erzähl schon. Das will ich schon die ganze Zeit wissen.«
Ich musste schmunzeln.
»Ach nichts«, sagte ich nur, wohlwissend, dass June das rasend machte. Wir ärgerten uns gerne.
»Sag schon«, drängte sie mich. Ihre großen, haselnussbraunen Augen hatte sie weit aufgerissen, während sie an meinen Lippen hing und nur darauf wartete, bis ich endlich die Gnade hatte, ihr die Wahrheit zu sagen.
»Okay, da war so ein Typ. Der eine von der Party«, fing ich an.
»Ah, dein Exfreund?«
Stimmt, ich hatte sie ja angelogen, was das betraf.
»Nein...ich hab gelogen. Das ist nicht mein Exfreund. In Wahrheit gehört er zu der Gruppe, die mich zusammen geschlagen hat, aber er wollte mir nichts tun. Er hat sich entschuldigt und dann bin ich raus und hab gesehen, wie der Anführer ihn geschlagen hat. Ich bin dazwischen gegangen und dafür wollte er sich heute bedanken. Mehr war nicht. Eigentlich totale Zeitverschwendung. Ich war richtig sauer, deswegen«, erklärte ich.
June hatte aufmerksam zugehört und nickte langsam.
»Aber sauer wäre ich nicht gewesen. Es ist doch süß, wenn er extra hier her kommt, nur um sich zu entschuldigen«, lächelte sie und wackelte mit den Augenbrauen.
Das war typisch sie. Sie sah in allem und jedem eine große Liebesgeschichte.
»June, er ist nicht süß. Er hat mich zusammen geschlagen«, legte ich die Fakten nochmal dar und ignorierte das warme Kribbeln, wenn ich an sein Lächeln dachte. Ich durfte diesen Jungen nicht lieben. Er war nicht gut für mich. Schon gar nicht, wenn er mit diesen Typen abhing, nicht die Kraft hatte, sich von ihnen zu lösen und nicht zu mir stehen konnte oder wollte. Nein, das brauchte ich nicht und Liebe hatte ohnehin keinen Platz. Ich musste mich auf das Tanzen konzentrieren.
June verdrehte nur die Augen. »Du bist immer so biestig, wenn es um Jungs geht. Bleib mal ein bisschen lockerer, dann bleiben die süßen Typen auch lieber«, meinte sie.
Ich verkniff es mir, nochmal zu betonen, dass ich keine Beziehung wollte. Wir standen auf und verließen ebenfalls den Saal. Außer uns war niemand mehr hier. Die anderen waren alle schon was essen gegangen oder machten einen Spaziergang. Eine Stunde hatten wir nun frei, bevor wir bei Costa Hip Hop hatten. Bis dahin konnten wir zwei uns die Zeit vertreiben und June überredete mich dazu, mit ihr ein Eis essen zu gehen. Welch eine Sünde in der Ballettwelt, dachte ich nur sarkastisch.

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