Sechsundvierzigstes Kapitel

876 93 143
                                    

Sechsundvierzigstes Kapitel
In dem Lily frustriert ist

Lily schlief nicht besonders gut in dieser Nacht. Wollte sie wirklich eine Beziehung führen, in der ihr Partner sich vielleicht noch in jemand anderen verliebte? War es egoistisch, sich zu wünschen, ihn für sich allein zu haben? 

Was auf keinen Fall in Frage kam, war ihn zu bitten, auf andere Beziehungen zu verzichten. Sie wollte ja auch nicht, dass er mit ihr zusammen war unter der Bedingung, dass sie sich einmal in der Woche zusammenriss und ihn doch küsste oder so. Sicher, er hatte es angeboten, aber nein, das würde sie nicht von ihm verlangen. 

Jetzt musste sie also entscheiden, ob sie eine Beziehung mit ihm führen wollte und ihm diese Freiheit lassen konnte, ohne zu einer eifersüchtigen Freundin zu werden - oder ob sie ihn aufgab und hoffte, irgendwann noch einmal jemanden zu treffen, der es schaffte, sich so in ihr Herz zu schleichen. 

Lilys Problemlösemethoden von Mary fragen, Buch lesen und Spazieren gehen (ersetzt durch sich eine Nacht schlaflos im Bett hin und her wälzen) schieden alle recht schnell aus. Sie hatte wirklich, ernsthaft überlegt, tatsächlich mit Mary zu reden. Aber dann müsste sie Mary zuerst einmal erklären, was genau zwischen ihr und James gerade war und mit welchen Voraussetzungen sie beide kamen. Das wäre erstens nicht fair gegenüber James, der ihr nicht ausdrücklich erlaubt hatte, jemand anderem von seinen doch eher ungewöhnlichen Ideen zu erzählen und zweitens müsste sie selbst dann Mary erklären, wie sie zu Beziehungen stand. Denn Marys allererste Antwort wäre vermutlich "ist ja prima, dann kannst du auch mit anderen Leuten ausgehen und das Leben genießen", was...nicht wirklich hilfreich wäre. 

Also griff wieder einmal Lilys letzter Ausweg: eine Weile stehen lassen - und sie gab sich am Montag alle Mühe, dem Unterricht zu folgen. Es klappte...mäßig. Wie meistens, wenn sie müde war, zog sich Lily nach Schulschluss in die Bibliothek zurück, mit dem Ziel idealerweise mit niemandem mehr reden zu müssen, bis es eine Uhrzeit wurde, zu der es gesellschaftlich akzeptiert war, schlafen zu gehen. 

Dieser Plan ging exakt siebzehn Minuten auf - dann näherten sich aufgeregte Schritte und jemand zog ihr gegenüber den Stuhl heraus und setzte sich. Lily versuchte, vom reinen Geruch der Person herauszufinden, um wen es sich handelte, um den Kopf nicht von ihren auf dem Verwandlungsbuch verschränkten Armen nehmen zu müssen, scheiterte aber, ganz wie erwartet. Dann war es also weder Mary noch James, wie wenig hilfreich.

Mit einem unzufriedenen Grummeln drehte sie den Kopf und blinzelte nach oben. Ihr gegenüber saß Remus, mit einem dicken Grinsen im Gesicht, welches ein wenig in sich zusammenfiel, als er ihren Mörderblick bemerkte (das war nichts Persönliches, Lily konnte einfach niemanden leiden, wenn sie müde war). 

"Alles ok?", fragte er ein wenig besorgt. Sie grunzte etwas Unverständliches und hob dann seufzend den Kopf vom Tisch. 

"Schlecht geschlafen", brummte sie. Er nickte wissend. 

"Scheint irgendwie die Nacht dafür gewesen zu sein", meinte er mitfühlend. "James hat sich auch die ganze Zeit hin und her gewälzt." 

Lily wusste nicht wirklich, was sie darauf sagen sollte, also schwieg sie. 

"Aber du bist offenbar besser drauf als ich", merkte sie dann an, woraufhin sein Grinsen wieder zurückkam. 

Er lehnte sich verschwörerisch ein Stück nach vorn. 

"Ich war bei einem Treffen", berichtete er. "Von dieser Gruppe. Und es war großartig!"

Lily schmunzelte und ein wenig ihrer schlechten Laune verschwand, als sie sah, wie ehrlich seine Begeisterung war. 

"Es war super", fuhr er fort. "Wir waren nicht super viele, ich glaube acht oder neun, aber die Stimmung war echt gut und es gab Kekse und wir haben geredet, über alles mögliche, aber auch über...das." Er lächelte verlegen. 

Ein Problem nach dem anderenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt