|Last Scene|

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Die letzte Szene. Emotionslos sah ich auf den scheinbar leblosen Körper vor mir herunter. Das blutverschmierte Gesicht mit den zarten Zügen, langen Wimpern und glasigen, offenen Augen dem Spalt in der Decke über uns zugewandt. Durch diesen hindurch schien das Licht des Vollmondes hell auf uns herunter.

Symbolisch gesehen war sie der gefallene Engel und ich, im Halbschatten der dunklen Halle, der Teufel. Angesichts ihres bisherigen Auftretens schien diese Tatsache allerdings vertauscht worden zu sein. Im Augenwinkel sah ich die Kamera, die sich langsam von uns entfernte.

,,Cut!" Der wütende Ruf des Regisseurs ließ die düstere Atmosphäre abebben. ,,Enya, wie oft noch? Dein Blick soll wütend werden und du musst Sarah mit dem Fuß zur Seite drehen."

Ich wandte meinen Blick dem großgewachsenem Mann zu, der aufgebracht neben der Kamera wild gestikulierte. ,,Aber es macht doch überhaupt keinen Sinn-", setzte ich ruhig an und wurde sogleich unterbrochen. ,,Es ist irrelevant, was du für sinnvoll hältst. Du hast das Skript, halt dich dran."

Sarah Parker, die Schauspielerin auf die ich noch bis vor wenigen Sekunden heruntergesehen hatte, ließ sich von einem der Statisten aufhelfen. Beide, eingeschlossen dem Regisseur, versuchten nicht einmal, ihre Missgunst mir gegenüber zu verbergen. Ich hatte mich definitiv für das falsche Angebot entschieden.

Es war nicht so, dass ich mich nicht an das Skript hielt. Aber aufgrundessen, dass Sarah Parker die Tochter des Regisseurs war, konnte sie es sich leisten alles im Film zu ändern, was sie wollte. Ganz gleich, wie kurzfristig oder sinnlos diese Änderung war. Wie diejenige, dass ich in der letzten Szene nicht mehr nur auf sie herab sah.

Es lag an mir, ich war das Problem. Das hatte ich seit dem Moment gewusst, in dem ich das kleine Set im Herzen der Kleinstadt erreicht hatte, die zwei Stunden von meinem Haus entfernt war.

Zuvor hatte ich mir während der Autofahrt noch Mut zugesprochen und mir gesagt, dass ich das hinkriegen würde. Doch nun, nur einen Tag nach dem Umzug, wusste ich dass ich falsch lag. Sie vertrauten den Gerüchten und den Skandalen und wiegten sich in der Unterstützung der Leute, die mich hassten.

Ich war nicht loyal, geschweige denn vertrauenswürdig. Immerhin ließ ich vor einem Jahr meine beste Freundin im Stich, indem ich nicht auf ihrer Beerdigung erschien.

Ich war schamlos und kalt. Immerhin hatte ich bis zuletzt versucht, alles geheim zu halten.

Ich war manipulativ. Immerhin hatte Tom Hiddleston mich ebenso vor der Öffentlichkeit in Schutz genommen wie Scarlett Johannson, Chris Hemsworth und auch die meisten von dem 'Enemies and Lovers'-Set in verschiedenen Interviews.

,,Alles auf Anfang." Stumm seufzte ich, schloss meine Augen für einen Moment und stellte mich wieder auf Position. Die Kameras und das Licht wurden erneut ausgerichtet, das Make-Up von Sarah ausgebessert. Es wurde wieder still und wir warteten auf das Signal des Regisseurs. ,,3, 2, 1."

Das gleiche Spiel, diesmal ein anderes Ende. Mein Blick verdüsterte sich nach wenigen Sekunden, in der die Kamera auf mein Gesicht gerichtet war und ich spiegelte die Verachtung wieder, die mir die Brünette bisher gleichermaßen entgegengebracht hatte.

Langsam, jedoch sicher hob ich einen Fuß und schob diesen erst ein Stück unter den bewegungslosen Körper von Sarah, bevor ich mein Gewicht verlagerte und ihren Körper mit meinem Fuß in die Seitenlage schob. Sie machte keine Anstalten, unbemerkt mitzuhelfen.

,,Au! Bist du verrückt geworden?" Ihr plötzlicher Aufschrei erschreckte mich und alarmierte alle um uns herum. Es brauchte kein Cut, um die Kameras und uns zu stoppen.

Ich ging ein paar Schritte zurück, verwirrt über das Geschehen. Sarah richtete sich auf, scheinbar ohne Schmerzen. Dann, als der Regisseur und die Statisten bei uns waren und sich um Sarah stellten und knieten, funkelte sie mich jedoch an und fasste sich an die Seite, dort wo mein Fuß noch vor wenigen Sekunden war. ,,Sie hat mich nicht auf die Seite gedreht, sie hat mich getreten. Mit Absicht!" Ich öffnete meinen Mund, um mich zu verteidigen. ,,Das ist nicht wahr! Ich-"

Der Regisseur drehte sich zu mir und baute sich vor mir auf, sodass ich verstummte. Ich war nicht klein und so überragte er mich nur um wenige Zentimeter. Dennoch war es offensichtlich, auf wessen Seite er stand. ,,Möchtest du damit sagen, dass meine Tochter eine Lügnerin ist?"

Ich sah ihm direkt in die Augen und wandte den Blick auch nicht ab. Wieso sollte ich auch? Ich hatte nichts Unrechtes getan und erst Recht hatte ich Sarah nicht, trotz meiner Genervtheit und Anspannung, getreten. "Ja, genau das möchte ich damit sagen.", erwiderte ich also langsam und mit fester Stimme. Beim Sprechen hob ich mein Kinn.

,,Raus." Angewidert und gereizt bei diesem Wort des Regisseurs, biss ich mir auf die Innenseite meiner Wange. Es sollte mich freuen. Es war die letzte Szene und von einer Abschiedsfeier wäre ich ohnehin ausgeschlossen gewesen.

Dennoch wollte ich so nicht das Set verlassen, geschweige denn meinen Rückzug aus dem Schauspielerdasein beginnen. Etwas anderes blieb mir jedoch nicht übrig. Also drehte ich mich unter den Blicken der Leute um - nahm mein Skript und verließ mit hallenden Schritten das Set. Fuck.

Ich stieß eine kleine Wolke, bestehend aus meinem warmen Atem, aus. Der Schnee am Boden knarzte, bis ich mein Auto erreichte. Sobald ich einstieg und den Motor startete, rief ich über die Anlage gleichzeitig Aurelia an. Lieber sollte sie das Geschehene von mir erfahren, als von diesem Regisseur und seiner Tochter. Es klingelte drei Mal, bevor sie den Anruf annahm.

,,Enya, gut dass ich dich erreiche." Diese Tonlage hörte sich nicht gut an, weshalb ich sie unterbrach. ,,Die kleine Ratte von Tochter des Regisseurs hat das nächste Gerücht in die Welt gesetzt." Ich fuhr mit zusammengezogenen Augenbrauen von dem Parkplatz und auf die Hauptstraße. Für wenige Momente blieb es still auf der anderen Seite der Leitung, abgesehen von schnellem Tastaturtippen. ,,Dass du sie getreten hättest und-"

Aurelia machte eine Pause. Ein weiteres, ungutes Zeichen. ,,Ihre Rippe jetzt geprellt sei." Tonlos formte mein Mund die Worte ,Was zur Hölle'. ,,So war das nicht!", versuchte ich mich zu verteidigen. Ich hatte sie nicht einmal getreten! Aurelia seufzte. ,,Ich glaube dir, Enya."

Ich brummte genervt und hielt vor einer roten Ampel. ,,Dann bist du momentan wohl eine der wenigen Unglücklichen." Sobald die Ampel wieder ihre Farbe wechselte, fuhr ich weiter und bog sogleich auf die Bundesstraße. ,,Hör zu, dein Shooting für ,Enemies and Lovers' für morgen wurde abgesagt. Sie wollen die Gerüchte erst abklingen lassen." Verräter, allesamt. Mehr konnte man dazu nicht sagen.

,,In Ordnung. Schöne Feiertage." Mit einem Knopfdruck legte ich auf. Sogleich startete sich die Musik selbst und zu den Klängen von Aimed to Kill begann ich, mir meinen Weg durch das Schneechaos von England zu bahnen.

Enemies and Lovers | Tom Hiddleston FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt