5 Monate und 3 Wochen zuvor

1.4K 275 70
                                    

„Man müsste meinen, du weißt inzwischen, was zu tun ist." Ich grinse, als Mason wieder unbeholfen auf der Behandlungsliege sitzt und noch immer sein T-Shirt trägt.
Er hebt seine Augenbrauen. „Oh ... wieder das Shirt?"
Ich nicke. „Und die Hose."
„Was?"
„Die Hose."
„Aber–"
„Ging es dir nach der Behandlung besser, Mason?", frage ich.

Er überlegt nicht lang, sondern nickt sofort. „Ich hatte am nächsten Tag auch keine Kopfschmerzen."
„Kopfschmerzen? So, so", sage ich tadelnd und verschränke die Arme vor meiner Brust. „Warum erzählst du mir nichts davon?"
„Äh ... du hast nicht gefragt?", erwidert er zögerlich.
Ich seufze theatralisch und hole wie letzte Woche eine Handtuchrolle aus dem Regal. „Dann frage ich heute wohl besser alles ab, damit du mir nicht noch mehr vorenthältst."

Während er sein Shirt und seine Hose auszieht, suche ich auch noch eine warme Wolldecke aus einem der Schränke und bedeute ihm dann, sich auf dem Bauch auf die Liege zu legen. Nachdem er sich positioniert hat, lege ich die Decke über seine Beine und begebe mich zum Kopfende.

Wieder scheint er nicht zu wissen, wohin mit seinen Armen und wieder streife ich sanft darüber und lege sie neben seinem Körper ab. Meine Hände fahren langsam über seine Haut, massieren seinen Nacken und seine Schultern und ich genieße heimlich das Gefühl von seiner weichen Haut.
„Also, Mason", beginne ich. „Seit wann hast du die Kopfschmerzen?"
Er stöhnt leise auf, weil ich gerade einen besonders verspannten Punkt in seinem Nacken treffe und ich schließe wohlig meine Augen bei diesem Geräusch.
„Seit etwa vier Wochen", seufzt er.

„Hmm." Ich widme mich nun vorsichtig seinen Kiefergelenken. „Und hat sich irgendetwas verändert in dieser Zeit? Neue Freundin? Neuer Job? Stress?"
„Neuer Job", brummt er und gibt ein leises „Ahh" von sich.
„Okay, umdrehen", verlange ich und er folgt meiner Anweisung. Ich ziehe die Wolldecke von seinen Beinen, winkle seine Knie etwas an und beginne, seine Unterschenkel zu massieren.

Seine dunklen Augenbrauen ziehen sich zusammen. „Was haben meine Beine mit meinem Kiefer zu tun?"
„Du hast eine Grundanspannung, die sich auf deinen gesamten Körper auswirkt, Mason", erkläre ich mit ruhiger Stimme. „Die müssen wir erst einmal lösen. Hat deine Freundin etwas gesagt, dass du unruhiger schläfst? Eventuell mit den Zähnen knirschst?"
„Ich ... ich habe keine Freundin", murmelt er leise und lässt mich mühelos sein Bein etwas weiter anwinkeln, damit ich besser an seine Wade komme.

„Okay." Ich freue mich innerlich, gebe aber weiterhin vor, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. „Dann dein Freund?"
Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie seine Wangen wieder diesen pinkfarbenen Ton annehmen.
„Auch keinen Freund", flüstert er verlegen.
Oh, Single und wenn jemand da wäre, wohl eher ein Freund. Ich schicke ein stilles Dankgebet ans Universum und befasse mich mit seinem anderen Bein.

„Vielleicht versuchst du zunächst mal ein flacheres Kopfkissen", schlage ich vor. „Oftmals rühren Verspannungen im Nacken von einer zu steilen Schlafposition her."
„Hm." Er atmet tief durch. Ich arbeite mich langsam über seine Knie nach oben zu seinen Oberschenkeln und auf einmal reißt mein Patient seine Augen auf. Ich spüre seine plötzliche Anspannung und durch den Stoff seiner dunkelblauen Boxershorts kann ich sie auch sehen.

Diskret ziehe ich die Wolldecke wieder nach oben bis zu seinem Bauchnabel und gehe zurück zum Kopfende der Liege. Seine Augen sehen mich für einen Moment dankbar an, doch sofort wendet er den Blick beschämt wieder von mir ab.
„Entspannen", flüstere ich und fahre mit meinen Fingerspitzen über seine Augenlider, damit er sie schließt. Langsam und sanft streichle ich über sein schönes Gesicht, nehme jedes Detail in mich auf und versuche gleichzeitig, ihm die dringend benötigte Entspannung zu geben.

Eine Stunde später bin ich auch mit Masons Armen fertig und als ich aufschaue, sehe ich, dass er eingeschlafen ist. Ein größeres Kompliment kann man für eine Massage wohl kaum bekommen. Vorsichtig streiche ich über seinen Oberkörper, bewundere seine schöne Brust und stelle mir vor, wie seine Brustwarzen, die so einladend auf mich wirken, sich wohl zwischen meinen Lippen anfühlen. Und ehe ich weiß, was ich tue, umkreist meine Fingerkuppe eben eine der pinkfarbenen Knospen.

Augenblicklich öffnen sich Masons Augen und mustern mich träge. Blitzschnell ziehe ich meine Hand zurück und lächle verlegen. „Vielleicht sollte ich erst fragen, ob du vielleicht mal was trinken gehen möchtest", flüstere ich und bereue meine Bitte, als er seinen Blick senkt.

Ich stehe auf und gehe eilig zur Tür des Behandlungszimmers. „Wir ... sind dann auch fertig. Ich warte schon mal vorn", sage ich höflich distanziert und haste ins kleine Badezimmer, um mir die Hände zu waschen. Am Tresen beschäftige ich mich mit unnötigen Zettel-Sortier-Arbeiten, bis mein Patient sich angezogen hat.

Wie konnte ich nur so unprofessionell sein? Bislang habe ich grundsätzlich Distanz zwischen meinen Patienten und mir gewahrt, das ist wichtig in meinem Beruf. Und jetzt befummle ich ungefragt einen schlafenden Mann? Und schlage ihm noch ein Date vor, als er mich dabei ertappt? Wie tief kann man nur sinken, André?

„Sorry, dass ich eingeschlafen bin", murmelt Mason mit belegter Stimme und zieht sich gerade seine Jacke über.
„Das zeigt, wie entspannt Sie waren, Mr. Donovan", antworte ich distanziert. „Ich hoffe, die Kopfschmerzen bleiben auch diese Woche weg."
Er mustert mich stirnrunzelnd, sagt aber nichts.
Ich blättere im Terminbuch. „Bleibt es bei dem Termin nächste Woche?"

„Ja, eventuell wird es sogar etwas früher. Wäre das okay, André?", erwidert er und ich zwinge mir ein Lächeln auf.
„Kein Problem, Mr. Donovan." Ich weiche seinem prüfenden Blick aus. „Bis nächste Woche."
Ohne ein weiteres Wort verlässt er die Praxis und ich lasse mich auf meinen Stuhl hinter dem Tresen sinken. Noch nie habe ich mich so unwohl gefühlt. Was ist nur in mich gefahren? Vielleicht ist es besser, ich bitte Val, diesen Patienten zu übernehmen.

Auf einmal geht die Tür erneut auf und Mason steckt seinen Kopf hindurch.
„K-Kann ich auch was zu trinken mitbringen?", fragt er schüchtern und ich brauche einen Moment bis ich begreife, was er meint. „Also ... für hinterher? Wenn du magst?"
Ich kann nur grinsen und nicken und ihm verträumt nachschauen, als er ebenfalls schief lächelt und die Tür wieder hinter sich zuzieht.

Rückblende | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt