1 Woche später

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Begeistert klatsche ich in die Hände. „Also, wo gehen wir heute was trinken?"
Val sieht mich verwundert an und runzelt die Stirn. „Sicher?"
„Aber sowas von", beteuere ich. „Ich habe Lust, mich zu betrinken und vielleicht sogar zu tanzen."
„André, es ist Mittwoch."
„Perfekt", freue ich mich. „Irgendwo ist sicher sowas wie eine After Work Happy Hour. Spätestens um zwanzig Uhr hab ich einen sitzen."
Val mustert mich eindringlich und seufzt. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, André."

„Aber ich weiß es und darum kommst du mit. Warum rufst du nicht diesen ... wie hieß er doch gleich? Jimmy? Ruf doch den an", schlage ich vor.
„Spinnst du? Das war voll der Freak!", beschwert sie sich.
„Oh ... na gut, dann suchen wir dir was Neues", entgegne ich fröhlich und gehe zu den Behandlungsräumen, bevor sie sich weitere Ausreden einfallen lassen kann.

•••

„Wie wäre es mit dem da?", lalle ich ein paar Stunden später in einer Bar in der Nähe der Praxis.

Okay, vielleicht waren die beiden Long Island Ice Tea sehr schnell leer, aber ich war durstig. Warum Val immer noch bei ihrem ersten Drink ist, ist mir schleierhaft.

„André, der ist mit seiner Frau da", brummt sie und zerrt an meinem Arm, damit ich den Typen an der Bar nicht länger anstarre.
Ich grinse sie verschwörerisch an. „Ich lenke sie für dich ab."
„André, lass es bitte!", zischt sie genervt.

„Du liebe Zeit, Miss Brown", lache ich. „Wir sind heute aber nicht in Feierlaune."
„Nein, André", seufzt sie. „Und du auch nicht."
„Ich?", überlege ich und hebe mein Glas, um seinen Inhalt zu inspizieren. Noch ein Drittel? Das schaffe ich in einem Zug. „Doch, ich bin in bester Feierlaune. Ich hole mir gleich noch einen Drink und du, meine Liebe, solltest mal schleunigst aufholen."

Val nimmt mir mein Glas weg und stellt es an den anderen Rand des Tisches, damit ich nicht dran komme. „André, hör auf damit! Das ist doch nicht der richtige Weg!"
„Weg?", frage ich und strecke meinen Arm nach dem Glas aus. „Nein, wir gehen doch noch lange nicht."
„Nein, André", seufzt sie und nimmt mein Gesicht in ihre Hände. „Was du hier tust, das meine ich. Sich sinnlos zu betrinken, hilft dir doch nicht."

Ich schlucke schwer und entziehe mich ihrem ernsten Blick, um mich stattdessen meinem Drink zu widmen, den ich mir herbei angle. „Ich finde, das hilft mir gerade außerordentlich gut." In einem Zug leere ich mein Glas, blicke sie herausfordernd an und mache mich auf den Weg zur Bar.

Was denkt sie sich? Natürlich hilft es mir nicht, mich zu betrinken. Aber mich nicht zu betrinken, hilft mir ebenso wenig. Und trinken Leute nicht um zu vergessen? Ich will zumindest probieren, ob ich das auch kann. Aber wenn meine Freundin mich ständig daran erinnern muss, warum ich mich überhaupt betrinken will, fällt das mit dem Vergessen schwer.

Mein Kopf brummt etwas von meinen wirren Gedanken.
„André", zischt Val plötzlich hinter mir und greift meine Hand.
„Was ist denn jetzt schon wieder?", frage ich genervt und drehe mich zu ihr um.
Hektisch schaut sie sich um. „Komm, es ist Zeit zu gehen."
„Was?", überrascht blicke ich auf meine Armbanduhr. „Nein, Happy Hour geht noch fünfzehn Minuten. Da schaffe ich noch mindestens zwei Drinks."
Val zerrt nun nervös an meinem Arm. „Nein, wir gehen jetzt."

„Was ist los?", lache ich. „Wirst du verfolgt? Warte, ist dieser Freak hier? Wie hieß er? Johnny? Nein, Jimmy, oder? Oh, den muss ich mir ansehen!"
Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und suche die Bar nach jemandem ab, den ich gar nicht kenne. Aber irgendein Typ, der meine Freundin anstarrt, wird mir ja–

Oh!

Blaue Augen, schwarze Wuschelhaare.

Und so euphorisch ich eben war, so schnell holt mich die Welle der Traurigkeit wieder ein. Mein Brustkorb zieht sich ruckartig zusammen und sämtliche Luft entweicht meinen Lungen. Ich weiche ruckartig seinem Blick aus und starre auf den Boden.

„Mist!", flucht Val. Offenbar wollte sie deshalb so schnell gehen. Sie zerrt wieder an meinem Arm und dieses Mal lasse ich mich widerstandslos von ihr mitziehen.

Ich muss hier raus, ich kann nicht atmen. Alles ist so eng und laut und stickig und ich kann nicht atmen.

Als wir an der Tür sind, drehe ich mich noch einmal um und sehe ihn weiterhin an dem Stehtisch, wo ich ihn gerade entdeckt habe. Er unterhält sich mit den Leuten, die dabei stehen und lächelt sogar ein wenig, als ein blonder Typ einen Witz zu reißen scheint. Kein Eindruck von der Traurigkeit, die mich seit einer Woche zu dominieren scheint und kein weiterer Blick zu mir.

Wieder zieht Val an meinem Arm und ich folge ihr nach draußen. „André", sagt sie flehend. „Bitte sag doch was."
„Du hast recht", presse ich hervor. „Ich sollte gehen."
Und bevor sie noch etwas sagen kann, drehe ich mich um und beginne, nach Hause zu rennen.

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