5 Monate zuvor

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„Also", fragt Val neugierig, als ich mal wieder verträumt in meine Kaffeetasse starre. „Was läuft da mit dir und diesem Patienten?"
Ich schrecke hoch und zucke mit den Schultern.

Seit Masons und meinem ersten Kuss sind inzwischen zwei Wochen vergangen. In der Sitzung haben wir eigentlich nur herumgeknutscht und erst kurz vor Schluss konnte ich mich widerwillig von ihm lösen und zumindest seinen Nacken noch massieren.

Letzte Woche war es ganz ähnlich, dieses Mal hatte er tatsächlich zwei Flaschen von irgendsoeinem Craftbeer mitgebracht. Ich habe unbeholfen gelächelt und das Zeug heruntergewürgt, obwohl ich Bier gar nicht mag. Auf meinen Vorschlag, noch in eine Bar zu gehen, hat er gar nicht reagiert und so habe ich das Thema nicht wieder aufgenommen. Auch diese Sitzung ging für Knutscherei drauf.

Es ist nicht so, dass ich es nicht genossen habe, aber es war eben nur das und das möchte ich nicht. Ich will nicht das kleine Geheimnis von irgendjemandem sein.
Nicht mal von Mason.

Also seufze ich und starre niedergeschlagen in meine Kaffeetasse, denn heute ist sein letzter Termin für die Physiotherapie. „Nichts läuft da, schätze ich."
„Das macht auf mich aber einen anderen Eindruck, André", widerspricht meine Kollegin und Freundin.

Entschlossen stehe ich auf und bringe meine Tasse in unsere kleine Küche. „Heute ist sein letzter Termin bei mir und das war es dann."
Val lacht laut auf. „Das glaubst du doch selbst nicht. Hast du mal gesehen, wie der Mann dich ansieht?"
„Danke, Val", fauche ich. „Das bringt mir aber rein zufällig gar nichts, wenn er nur hierherkommt, um mit mir rumzumachen. Ich bin zu alt für solchen Scheiß."

Val lächelt mich wissend an und nickt verständnisvoll. „Du magst ihn."
Ich rolle genervt mit den Augen. So weit war ich mit meiner Erkenntnis auch schon. Aber ich habe nicht vor, mir das Herz für eine kleine Affäre brechen zu lassen.

Genau in diesem Moment öffnet sich die Praxistür und Mason kommt herein. „Hi", begrüßt er Val und mich und mir entgeht nicht, dass sein Lächeln noch breiter wird, als er mich ansieht.
„Dann lasse ich euch zwei mal allein", flötet Val, streichelt mir über die Schulter und verkrümelt sich in die Küche.

„Geh schon mal in die drei", brumme ich Mason an. „Bin gleich da."
Sein Lächeln lässt etwas nach und stattdessen sieht er mich verwirrt an, folgt jedoch meiner Anweisung und geht zu den Behandlungsräumen.

Ich starre auf meinen Terminkalender und bin wütend. Auf Val, weil sie mich auf das Offensichtliche hingewiesen hat und auf mich, weil ich gerade so dumm bin, mich hoffnungslos in einen Patienten zu verlieben, der nicht mehr als eine Affäre möchte.

Ich atme tief durch und ermahne mich, dass heute sein letzter Termin ist. Ich muss nur noch heute überstehen und dann sehe ich ihn nie wieder. Mein Brustkorb zieht sich bei dem Gedanken schmerzhaft zusammen, aber ich sage mir selbst, dass es besser so ist.

Als ich in den Behandlungsraum komme, sitzt Mason auf der Liege und hat sich nicht wie sonst üblich schon ausgezogen. Ich schließe die Tür etwas lauter, um mich bemerkbar zu machen und er zuckt bei dem Geräusch zusammen. „Sorry", murmle ich. „Ich wollte dich nicht erschrecken."
„Schon okay", erwidert er leise und sieht aus dem Fenster.

Ich stelle mich hinter ihn und lege meine Hände an seinen Nacken. Keine Anweisung, dass er sich ausziehen soll. Es ist besser, er bleibt angezogen. Und es ist auch besser, wenn ich heute nur seinen Nacken behandle und ihn nicht ansehen muss.

Langsam beginne ich, seine verspannten Muskeln zu massieren und versuche, das Zittern meiner Hände unter Kontrolle zu bekommen. Keiner von uns spricht ein Wort und die Stille droht mich förmlich zu ersticken. Unauffällig blicke ich auf die Uhr und sehe, dass gerade einmal fünf Minuten vergangen sind.
Das wird eine lange Stunde, fürchte ich.

„Heute ist mein letzter Termin", durchbricht er auf einmal das Schweigen.
„Ja", erwidere ich distanziert. „Ich hoffe, es hat geholfen und du empfiehlst uns weiter."
Wieder schweigt er und ich beiße mir schmerzhaft auf die Lippe. Noch fünfzig Minuten. Ich widme mich seinen Schultern. Der Stoff seines T-Shirts erschwert mir die Arbeit, ich rutsche ständig weg, aber ich werde ihn nicht bitten, sich auszuziehen.

„Darf ich trotzdem noch vorbeikommen?", fragt Mason kaum hörbar und ich habe das Gefühl, er hätte mir gerade eine Ohrfeige verpasst.
Ist ihm bewusst, wie beleidigend sich das für mich anfühlt? Vermutlich nicht.
„Ohne Rezept leider nicht", knurre ich und lasse meine Bewegungen an seinen Schultern unwillkürlich härter werden. Er stöhnt schmerzerfüllt auf und packt meine Hand.

Erschrocken ziehe ich sie weg. „Entschuldige, ich ... ich wollte dir nicht wehtun."
Ruckartig dreht Mason sich auf der Liege um und blickt mich traurig an. „Ich dir auch nicht, André", sagt er leise. „Hab ich irgendwas falsch gemacht?"

Betreten weiche ich seinem Blick aus und beschäftige mich, wie immer, wenn ich nervös bin, mit den Handtüchern im Regal. „Nein", lüge ich. „Ich hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen. Es tut mir leid, das war extrem unprofessionell von mir."
„Ich bin froh, dass du so unprofessionell warst", gibt er zu und ich kneife meine Augen zusammen.
„Hör bitte auf, okay?", bitte ich ihn. „Es war ganz nett, aber es hätte nicht passieren dürfen."

„Ganz nett?", wiederholt Mason auf einmal hinter mir und ich spüre seinen Atem in meinem Nacken. Mich überkommt ein warmer Schauer, doch ich widerstehe dem Drang, mich zu ihm umzudrehen.
„Ich bin kein Typ für heimliche Affären." Ich kralle meine Finger in das Handtuch, das ich gerade halte.

„Ich hatte gehofft, das mit uns wird mehr als nur eine Affäre", flüstert Mason und ich reiße überrascht meine Augen auf. „Ich mag dich, André. Sehr sogar. Und ich würde dich furchtbar gern wiedersehen, auch ohne Massagen und den ganzen Kram."

Nun drehe ich mich doch um und blicke in seine flehenden, blauen Augen. „Du magst mich?", piepst meine Stimme. Mason nickt und nimmt vorsichtig meine Hand. „Es ist alles etwas kompliziert bei mir, aber ... ich wäre wirklich gern mit dir zusammen, André."

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