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Noch jetzt, während ich an der Bushaltestelle stand, mit meinen Kopfhörern auf den Ohren und Händen in den Taschen, dachte ich über meinen kleinen Auftritt in Bio nach.
Es war, als hätten alle meine mühsam aufgebauten Halterungen, Mauern, die ich zur Kontrolle in meinem Kopf gebaut hatte, Abriss-Tag gespielt.
Mein Fokus war durcheinander geraten, was mich bei den anderen aufmerksam gemacht hatte. Der gleiche Fokus, mit dem ich bis grade noch die Narben meiner Umgebung ausblenden hatte können und der mich jetzt schon wieder im Stich ließ. 
Ein Florian hatte sich mit Nils geprügelt. Anne-Marie hatte sich vor 2 Jahren versucht das Leben zu nehmen und Jala hatte nach der Trennung von Wecko, zwei Monate in einer tiefen Trauer gesessen.

Mein Bus kam und ich ging langsam an den Bordstein. Immer darauf bedacht nicht noch näher an die Leute anzutreten als nötig. Warum hatte ich mich heute eh für Busfahren entschieden? Laufen wäre so viel einfacher gewesen! Mein innerer Schweinehund rief mir etwas zu, was meine Faulheit mäßig unterstütze. Jetzt war es eh zu spät. Zuhause wurde ich mir ein-
"Wah- tut.. Äh tut mir leid"
"Passt schon." Murmelte der Junge mit dem ich zusammen gestoßen war.
Warte- das war doch dieser Emilio gewesen? Wie um mich zu überzeugen schaute ich ihn nochmal an.
Oder jedenfalls dorthin, wo er eben noch gestanden hatte. Denn er war weg.
Der hatte es ja mal eilig gehabt!
Vor mir stieg gerade die Letzte in den Bus. und bevor ich hier noch länger seltsam in die Gegend starrte und gar mein Bus verpasste, stieg ich schnell ein.

Ausgestiegen, machte ich mich weiter auf den Weg nach Hause. Ich genoss die Ruhe nach diesem Tag und entschied mich daher heute mal gegen meine Kopfhörer. Ich schlenderte gemütlich den Weg entlang und sah mir einige der Häuser an. Und noch nach 16 Jahren fielen mir immer wieder, "neue" Sachen auf. Obwohl es so banale Dinge, wie leicht unterschiedliche Wandfarben eines Hauses, was daher zu kommen schien, dass die eine Hälfte (des früheren Doppelhauses) später in der gleichen oder jedenfalls ähnlichen Farbe gestrichen werden sollte, einem Briefkasten mit einem Verschnörkelten Einwurfsschlitz (was ganz nebenbei ja mal nicht das schlauste war) oder einfach ein so kleines Fenster am Dachgiebel war, dass es einem nicht wirklich auffiel, faszinierte mich irgendwie. Ich bog um die Ecke und stand nun in der wohl verlassensten Straße unseres Städtchen. Schon immer eine seltsame Straße, sie hatte einfach so was an sich so, so was leeres. Vorbei, an ihren dunklen Fassaden, die nach einem Häuserbrand vor etwa 1 1/2 Jahren nun noch trostloser Aussahen.
Mein Tag wurde noch besser, als ich aus dem Gleichgewicht kam und fast hingeflogen wäre. Ich stützte mich aber rechtzeitig mit meiner Hand ab. Kurz überkam mich ein Schwindelgefühl doch nach wenigen Sekunden flachte es schon wieder ab. Heute wär wohl der perfekte Tag für einen heißen Tee und eine Wärmflasche, obwohl ich eigentlich kein Tee-Fan war.
Beim Aufstehen stützte ich mich an einer mit geschwungenen, mit Ornamenten verzierten Mülltonne ab.
Langsam ging ich wieder los. Die nächste Straße war wieder belebt. Heute sogar extrem. Aber bei dem schönen Wetter, kein Wunder das alle rausgingen und die Sonnenstunden genossen. Beim nächsten Schritt zuckte ich zusammen und ein kalter Schauer überlief meinen Rücken.
Schmerz erfüllte mich. Zerstörte Häuser, Schutt, hilflos.
Annelise starb in meinen Armen! Meine Tochter! Ich hätte mehr Ausdauer haben müssen um meinen Traum zu erfüllen jetzt sitz ich hier fest... Bomben, zerstörte Häuser, schreie. Vielleicht auch einer von mir? Ein Sturz und es ist aus mit Eishockey. Michael?! Michael!! Schrille Schreie durchborten mich. Leere Augen.

"Rune? Alles in Ordnung Schätzchen?"
Ich spürte Hände an meinen Schultern. Die Bilder wurden immer weniger die Wut und Trauer, verwandelten sich in Ausgeglichenheit und jetzt erst bemerkte ich wie ich mich zusammengekrümmt hatte.
"Alles ist gut. Möchtest du ein Glas Wasser?"
Langsam hob ich nun meinen Kopf und sah zur Stimme.
Es war Lore Silverling. Eine nette Frau, wohnte hier in der Straße und hatte zwei Söhne. Xander ( geb. Alexander, fand den Namen aber spießig und nannte sich "Zander" nur das x blieb)
war in meinem Alter, sein großer Bruder Tristan studierte allerdings schon.
"Ok wir holen dir jetzt erstmal ein Glas Wasser und du setzt dich hin."
Sie zog mich mit sich, ohne dass ich Zeit gehabt hätte zu protestieren. Aber ein Glas Wasser, würde mir gerade echt gut tun.
Dir Haustür hatte noch offen gestanden, sowie die Mülltonnen. Anscheinend war sie gerade am Müll rausbringen gewesen, als sie mich gesehen hatte.
Sie befüllte ein Glas mit Wasser und gab es mir. Ich saß nun auf einem Stuhl in Lore's Küche. Es ist der bequemste Stuhl, auf dem ich je saß. Jedenfalls kam es mir gerade so vor. Michael - der Name in dem Chaos von verschiedenen Wunden verschiedener Leute, dass all den Menschen um mich herum gehört haben musste war der gleiche Name den Lores Mann trug. Er war früh gestorben, sodass ich ihn nie kennengelernt hatte. War es also ihr wunde gewesen? Aber warum spürte ich sie jetzt nicht mehr?
"Was ist denn los?"
Lore hatte sich mir gegenüber gesetzt.
"Weiß nicht, mir war grade nur etwas unwohl. Danke für das Wasser!" Sofort nahm ich einen großen Schluck.
"Hmmm. Wenn das öfters passiert solltest du vielleicht einmal einen Artzttermin machen."
Sie sah mich so liebevoll an, das war eine Sache die ich an ihr schon immer bewundert hatte.
Da ich nicht wusste, was ich sagen sollte, nickte ich nur und lehnte mich noch etwas mehr an dem Stuhl an. Die Gefühle von eben waren verschwunden. Ein paar Wunden waren wieder aufgetaucht, aber sie waren lange nicht so stark und bedrückend wie die vorigen. Sie waren fast schon neutral. Ich sah beispielsweise die Bilder von zerstörten Häusern, Bomben und auch die Schreie die von einem/er ehemaligen Soldat*in stammen mussten. Eben waren viele Menschen auf der Straße gewesen und die Wunden so erdrückend, jetzt spürte ich die Schreie nicht, ich wusste bloß das sie da waren... seltsam.

Ich sah wie Lore ihren Mund öffnete um etwas zu sagen, als wir Geräusche aus dem Flur hörten. Jemand schien gekommen zu sein. Wahrscheinlich Xander - Wie auf mein Kommando betrat Xander den Raum und stoppte, als er mich sah.
"Hey?"
"Hi"
Ich biss mir leicht auf die Lippen. Er musste es komisch finden mich hier zu sehen. Immerhin waren wir kaum noch befreundet und sein Haus? Das hatte ich schon seit Jahren nicht mehr betreten.  Umso mehr freute es mich, dass ich mich hier immer noch so wohl fühlte, wie als 9 jährige.
"Was machst denn du hier?"
"Ähm ich..."
In dem Moment betrat noch jemand den Raum. Emilio. Er beäugte mich und schien sich über meine Anwesenheit zu wundern.
Ganz bestimmt würde ich jetzt nicht sagen, joa bin fast zusammengeklappt und trink jetzt mit deiner Mutter ein kleines Glasschem Wasser. Das hatte er ja nicht zu wissen. Sie. Sie hatten es ja nicht zu wisssen.
"Ich habe Rune draußen gesehen und sie zu einer kleinen Erfrischung eingeladen. Sie war ja so lang nicht mehr hier." Bei den Worten sah sie Xander ernst an. Aber ich war ihr trotzdem dankbar. Sehr.
"Hallo Emilio!"
"Hi!"
"Ich hol noch ein paar Kekse, wollt ihr euch nicht zu uns gesellen?"
Xander setzte zu einer Verneinung an, aber ich tat so als hätte ich gar nicht gemerkt, das er angefangen hatte zu Sprechen.
"Ich glaub ich muss dann auch mal." Ich erhob mich etwas zu schnell, sodass ich nun schwarze Punkte vor meinen Augen tanzen sah. Überspielte es aber und wandte mich Lore zu.
"Nochmal danke Lore, für das Wasser."
Lore lächelte mir zu und ich ging los.
Ich musste an Xander und Emilio vorbei, durch die schmale Tür. Dabei streifte meine Schulter ausversehen Emilios. Wir sahen uns kurz in die Augen, bis ich mich wieder nach vorne drehte und ging.

Just like me  ~ An Enemies to Lovers romantasyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt