Und dann trat er aus den Schatten der Baumriesen in das Licht der Taschenlampe, und von der ersten Sekunde, da mein Blick den seinen traf, war ich wie hypnotisiert. Es war, wie wenn man beim Durchblättern einer Zeitung das Foto eines Schauspielers oder Models sieht und staunend innehält. Wie erstarrt, mit offenem Mund, stand ich vor ihm und war unfähig meinen Blick von ihm abzuwenden, so fasziniert war ich von seiner Ausstrahlung. Vergessen waren meine Erschöpfung, die Schmerzen und der Ort, an dem wir uns befanden.
Er war ungefähr zwanzig – nicht älter. Seine aschblonden, kinnlangen Haare umschmeichelten in sanften Wellen sein perfekt geschnittenes Gesicht. Er hatte ein kantiges, aber nicht zu ausgeprägtes Kinn, hohe, ausdrucksstarke Wangenknochen und eine schmale gerade Nase. Es sah aus, als würde seine blasse Haut das diffuse Licht der Taschenlampe zurückwerfen. Sein T-Shirt schmiegte sich eng an seine Brustmuskeln und lies erahnen, wie durchtrainiert sein Körper war. Es dauerte eine Weile, bis ich bemerkte, wie ich ihn anstarrte, dann senkte ich verschämt den Blick und klappte meinen Mund zu.
„Ich hab euch rufen gehört", sagte er ernst mit einer dunklen, rauchigen Stimme, die ein Vibrieren in mir auszulösen schien.
Dakota neben mir hatte aufgehört mit Schluchzen und sah den Fremden musternd an. Ob es ihr ähnlich ging wie mir? War ihr auch aufgefallen, wie gut aussehend er war? Noch nie war mir ein Mann begegnet, der mir schon beim ersten Zusammentreffen Herzklopfen bescherte. Und dabei hatte ich dem männlichen Geschlecht doch abgeschworen, immerhin wollte ich nicht so enden, wie meine Mutter. Immer von einer in die nächste Beziehung jagend, sobald sie spürte, dass die Sache ernst wurde und sie dabei war, ihr Herz zu verschenken.
Tucker war der Erste, der seine Sprache wiederfand. „Wir haben uns verlaufen", war alles, was er raus brachte. Zugegeben, nicht sehr geistreich. Aber zumindest erklärte das unsere Situation auf den Punkt genau.
„Aha", sagte der junge Unbekannte. Er feixte über das ganze Gesicht. Mit seinen Augen musterte er uns. Für Sekunden ruhte sein Blick interessiert auf mir, dann setzte er ein schiefes Grinsen auf und wendete sich wieder Tucker zu.
„Wie unhöflich von mir. Ich bin William. William Beaufort."
William Beaufort hallte seine Stimme in meinem Kopf nach. Wie britisch, dachte ich.
„Josie. Dakota. Tucker", zeigte Tucker mit einer lässigen Handbewegung. „Wir müssen zurück nach Vallington, haben aber keine Ahnung, wo wir hier sind."
„Vallington. Hmm", machte William. „Wie kommt ihr dann hier her? Ihr befindet euch weit entfernt der üblichen Touristenwanderwege." Ja, auch sein Akzent und die etwas versnobte Aussprache erschien mit britisch. Mit gerunzelter Stirn und vorwurfsvollem Blick schien er auf eine Erklärung zu bestehen .
Tucker fasste kurz zusammen, was passiert war und erwähnte aber mit keiner Silbe unsere Entdeckung. Vielleicht hatte er sie längst wieder vergessen, oder er verschwieg diesen Teil unseres Ausfluges in die Unterwelt des Yosemite Nationalparks mit Absicht.
William wirkte nachdenklich, fast als müsste er erst überlegen, ob er uns helfen sollte. Nach kurzem Zögern aber, meinte er wohl, es doch mit uns versuchen zu können. „Ich muss auch nach Vallington", sagte er knapp.
Tucker sah uns fragend an, als müsste er erst unser Einverständnis einholen.
Ich nickte einfach.
William hatte sich schon zum Gehen abgewandt.
„Okay. Eh-mm ... Danke, oder so", brachte Tucker etwas nervös hervor.
Ich hatte das Gefühl, Tucker war etwas unbehaglich zumute. Keine Ahnung, ob das an Williams überwältigender Wirkung lag, die er ganz offensichtlich auf uns Mädchen hatte, oder daran, dass wir unser Schicksal einem Fremden anvertrauten. Vielleicht zweifelte er, ob wir William vertrauen konnten?
Für mich stellte sich diese Frage keine Sekunde. Vom Augenblick in dem William aus dem Wald herausgetreten war, war sämtliche Anspannung von mir abgefallen, als wüsste etwas tief in mir, dass ich mich sicher bei ihm fühlen konnte.
William lief recht zügig vor uns her durch den Wald, ohne weiter auf uns zu achten. Wir hatten Mühe mit ihm Schritt zu halten. Besser ich hatte Mühe, meine Nachtsicht war noch nie die beste und ich musste mich sehr stark konzentrieren, nicht zu stürzen, und bei dem Tempo, das William vorlegte, war das alles andere als einfach.
Nach einer Weile ignorierte ich das merkwürdige Gefühl, dass er ein Problem damit hatte, uns in seiner Nähe zu wissen und dachte nicht mehr darüber nach, warum er sich dann überhaupt dazu entschlossen hatte, uns zu helfen.
„William Beaufort. Das klingt ... „ Noch bevor ich meinen Satz beenden konnte, antwortete er schon: „Britisch. Ich komme aus London."
Aha, wusste ich es doch, aber was ich eigentlich dachte, war; alt, nicht aus dieser Zeit.
William bewegte sich gerade zu geschmeidig durch das Dickicht, obwohl es so dunkel war, das man unmöglich sehen konnte, was sich vor uns befand. Ich vermutete, dass er so was öfters machte, in der Dunkelheit durch den Wald spazieren, oder nennen wir es doch besser rennen. Nicht ein einziges Mal kam er ins Stolpern. Ich hingegen stolperte über jede Wurzel, die meinen Weg kreuzte, und hatte Mühe nicht der Länge nach hinzuschlagen.
Ich lief direkt hinter ihm und mein Blick bohrte sich in seinen Rücken, in der Hoffnung, so besser abschätzen zu können, was sich vor mir befand. Seine blasse Haut war gut sichtbar in der Dunkelheit und half mir dabei, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Leider half sie mir nicht dabei, sein Tempo noch viel länger durchzuhalten. Schnaubend blieb ich eine Sekunde stehen und hielt mir die stechende Seite.
Er wandte sich zu mir um und verlangsamte seinen Schritt. Wahrscheinlich hatte er endlich begriffen, dass nicht jeder bei totaler Finsternis zu einem Marathon durch den Wald fähig war. Von seinem Blick getroffen, achtete ich eine Sekunde nicht auf meine Füße und verfing mich in einer Wurzel, die ein Stück aus der Erde ragte. Ich stolperte, breitete die Hände nach vorne aus, bereit meinen Sturz damit abzufangen. Doch bevor ich auf den Boden aufschlagen konnte, fing William mich mit beiden Händen auf.
Schockiert starrte ich ihn an. Welch ein Reaktionsvermögen schoss es mir durch den Kopf. Die Scham trieb mir die Röte ins Gesicht. Er stellte mich wieder auf meine Beine und wandte sich mit einem Kichern von mir ab.
Er lachte? Beleidigt rümpfte ich die Nase. Es konnte sich ja nicht jeder so behände durch die Dunkelheit bewegen. Ich schnaubte und stakste etwas angesäuert hinter ihm her durch die Nacht.
Nur wenig später konnten wir schon die ersten Lichter durch das dichte Blattwerk wahrnehmen. Dann durchbrachen wir das Blätterdach und traten hinaus auf die unbefestigte Straße nach Vallington. Die, die ich gestern mit meiner Mutter und dem Pick Up gefahren war, als wir nach Vallington kamen. Die, die mich ins Exil geführt hatte.
Nach circa fünfhundert Metern auf der Straße blieb William abrupt vor einem Haus stehen. „So, da wären wir. Ich nehme mal an, den Rest des Weges schafft ihr allein." Seine Stimme klang belustigt, fast als würde er sich über unsere Situation amüsieren.
Mir war die Sache ohnehin peinlich und seine Reaktion uns gegenüber, machte das Ganze nicht einfacher für mich, also lief ich mal wieder rot an. Eine Eigenschaft, die ich hasste. Und das Schlimme daran, dass einem schon die kleinste Ungeschicklichkeit die Hitze ins Gesicht trieb, war, dass man sich dafür schämte, dass man rot wurde und das führte dazu, dass man nur noch mehr glühte. So, wie bei mir jetzt.
Blitzartig, so als hätte er meine plötzlich aufsteigende Scham gespürt, huschte Williams Blick zu mir. Mit einem Grinsen im Gesicht drehte er sich um und ging auf das Haus zu, vor dem wir gerade stehen geblieben waren. Ohne sich noch einmal nach uns umzusehen, verschwand er im Inneren. Ich hätte schwören können, er kicherte noch immer, als er das Haus betrat.
Es war ein riesiges weißes Haus, fast schon ein Palast. Zwei große Fenster, die oben rund zuliefen, zierten die Vorderfront des Hauses. Die Fensterscheiben waren aus buntem Glas, ähnlich wie in der Kirche, nur erzählten diese hier keine Geschichte. Fast hätte man denken können, das Haus wäre einmal eine Kapelle gewesen. Ein Dach, das viel steiler war, als bei den anderen Häusern hier in Vallington, vermehrte noch diesen Eindruck. Es passte zu Williams Namen – alt und irgendwie feudal.
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Vampirblut
Fantasi»Plötzlich war der Mann, den ich liebte, eine Bestie und ich die Einzige, die ihn aufhalten konnte.« Josie hat sich selbst noch nie als Teil der indianischen Legenden ihrer Großmutter gesehen. Daran ändern auch die Albträume nichts, die die Siebzehn...