Als wir vor dem Haus meiner Großeltern ankamen, hatte sich dort schon eine Gruppe Menschen versammelt, die aufgeregt durcheinander redeten und Landkarten studierten. Als sie uns bemerkten, verstummte die Menge ganz plötzlich und alle blickten neugierig auf uns.
Mit Erleichterung in ihren Gesichtern liefen Dakotas Eltern auf ihre Tochter zu. „Wir wollten euch gerade suchen gehen", riefen sie.
Meine Großeltern kamen auf mich zugelaufen und sie wirkten eher angespannt, als erleichtert. Wahrscheinlich hatte meine Mutter sie mit ihrer hysterischen Art in den Wahnsinn getrieben. Diese stapfte hochrot vor Wut hinter ihnen her und schnaubte wie ein Rhinozeros. Ich ignorierte meine wild fuchtelnde Mutter und ließ mich von meinen Großeltern in ihre Arme ziehen. Ich war froh, dass ich das noch konnte. Eine Zeit lang hatte ich dort unten in der Dunkelheit meine Zweifel daran gehabt, sie noch einmal wiedersehen zu dürfen.
Tucker hatte die üble Aufgabe übernommen allen zu erzählen, was passiert war. Das ersparte mir die Peinlichkeit, vor all den Fremden hier eine Rede halten zu müssen. Dankbar folgte ich seinen Erzählungen und nickte nur hin und wieder mal zustimmend. Die ganze Zeit lag sein Arm schützend um Dakotas Taille. Unnötigerweise ließ er nicht die Tatsache aus, dass ich mir den Kopf angeschlagen hatte. Und er erzählte von unserem engelsgleichen Retter, was von den älteren Bewohnern von Vallington aber geflissentlich überhört wurde. Ich hatte das sehr wohl bemerkt, war aber zu müde, um weiter über dieses Ignorieren nachzudenken.
An Schlafen gehen war leider nicht zu denken. Meine Mutter schleppte mich unter meinen Protesten, in die kleine Klinik von Vallington. Wir fuhren mit dem Pick Up und das laute Dröhnen des Motors verursachte ein Rauschen in meinen Ohren.
„Wie konntet ihr so dumm sein, vom Weg abzugehen? Ich hätte etwas mehr von dir erwartet? Weißt du eigentlich, was für Sorgen wir uns gemacht haben? Man sollte da draußen nicht mehr rumlaufen, wenn es dunkel wird." Ihre Schimpftirade hielt die ganze Fahrt bis zur Klinik an, während wir auf den Arzt warteten, während ich untersucht wurde und auf dem Rückweg zum Haus meiner Großeltern auch.
Ich hätte mich zu gerne mit ihr gestritten, war aber körperlich nicht mehr dazu in der Lage. Ich war erschöpft wollte einfach nur noch in mein Bett. Die gute Nachricht war, dass ich zwar eine leichte Gehirnerschütterung erlitten hatte, aber wieder nach Hause durfte, unter der Auflage mich in den nächsten Tagen etwas zu schonen. Also machte ich meine Mutter freundlicherweise – und absolut gar nicht, weil mich ihr Geschimpfe sonst an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht hätte – darauf aufmerksam, dass der Arzt mir Schonung verordnet hatte, was sie sogleich zum Schweigen verdammte.
Zu Hause angekommen war mein erster Weg mein Badezimmer. Herrlich prickelte das heiße Wasser aus der Dusche auf meiner Haut. Mit jeder Sekunde unter dem Wasserstrahl entspannte sich mein Körper mehr und mehr von den Strapazen der vergangenen Stunden. Minutenlang stand ich regungslos unter dem wärmenden Wasser und genoss, wie mein Körper langsam wiederbelebt wurde.
Vor meinen geschlossenen Augen sah ich immer und immer wieder den Augenblick, als William aus den Schatten der Bäume trat und ich ihn zum ersten Mal erblickte. Diese hohen Wangenknochen, das markante Kinn und die süßen Grübchen, die sich in seinen Wangen bildeten, wenn er lächelte. Ich schüttelte den Kopf und ärgerte mich darüber, dass es nur einen einzigen Jungen brauchte, um alle mir selbst auferlegten Schutzmaßnahmen in den Wind zu schießen. Nur ein Blick auf diesen Fremden hatte gereicht, um in meinem Magen ein Flattern hervorzurufen.
In dieser Nacht quälten mich Albträume von der Mine. Ich sah mich ziellos durch die Gänge irren und immer wieder landete ich vor der silbernen Scheibe, deren hässliche Fratzen mich schallend auslachten. Die Schlange reckte sich mir entgegen, als wollte sie ihre riesigen spitzen Zähne in mich schlagen. Die steinernen Wände der Mine stürzten über mich herein, und drohten mich zu verschlingen. Aus den Gängen hallte dämonisches Lachen zu mir und drang in meinen Kopf ein, wo es sich vor meinem geistigen Auge in eine Fratze des Grauens verwandelte. Ich rannte und rannte und konnte den Ausgang doch nicht finden.
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Vampirblut
Fantasy»Plötzlich war der Mann, den ich liebte, eine Bestie und ich die Einzige, die ihn aufhalten konnte.« Josie hat sich selbst noch nie als Teil der indianischen Legenden ihrer Großmutter gesehen. Daran ändern auch die Albträume nichts, die die Siebzehn...