Ich hielt den Atem an während der Busfahrer die Türen öffnete und die draußen wartenden Leute hinein ließ. Den Der kleine Hobbit hatte ich schon längst vergessen und ich suchte jedes Gesicht nach ihrer Unscheinbarkeit ab. Die klaren Augen, die hellen Haare. Als sie beim Schließen der Türen noch immer nirgends zu entdecken war, wollte ich die Hoffnung grade aufgeben, als ich blonde Haare zu meiner Rechten vorbei fliegen sah. Der Busfahrer öffnete die Türen wieder und gleich darauf schlüpfte die Trägerin der blonden Mähne mit geröteten Wangen ins Innere des Busses.
Es konnte doch nicht sein, dass sie morgens in meinem Bus mit fuhr. War sie Neu in der Gegend? Würde sie auf meine Schule gehen? Oder hatte ich sie bis heute nie bemerkt, weil ich viel zu versessen darin war bedeutende Werke einzusaugen? Vielleicht hätte ich sie auch heute nicht bemerkt, wenn sie nicht am Vorabend so laut Musik gehört hätte.
»Layla!« Ich drehte mich nicht grade unauffällig in die Richtung der Stimme. Das blonde Mädchen, Layla, setzte sich wieder in Bewegung und ging auf den Ursprung des Rufes zu. Ohne zu zögern ließ sie sich auf den Platz neben dem dunkelhäutigen Mädchen fallen und die beiden begannen sofort miteinander zu reden. Layla erweckte nicht den Eindruck als sei sie eine Neue Schülerin.
Und sie schien auch nicht auf meine Schule zu gehen. Etwas niedergeschlagen drehte ich mich wieder nach vorne und sah auf das Buch in meinen Händen. Die Afroamerikanerin hieß Marsha und hatte letztes Schuljahr einen Chemie-Wettbewerb gewonnen, bei dem alle drei Schulen dieser Gegend mitgewirkt hatten. Wenn sie Marsha kannte, ging sie sicherlich auf dieselbe Schule wie das Chemie-Genie und das wiederum bedeute für Jungs wie mich, dass wir sie vergessen sollten.
Entweder man biss die Zähne zusammen und sprach das Mädchen an oder man schwieg für immer. Das pflegte jedenfalls Paul immer zu sagen. Mein bester Freund, der sich sowieso für den größten Frauenheld hielt, weil er die längste Beziehung in unserem Freundeskreis geführt hatte. Und dieser besagte Idiot würde in den nächsten zwei Stationen dazu steigen, sich vermutlich erkundigen was es neues gab und falls ich ihm von dem blonden Mädchen, Layla, erzählen sollte, würde er mich vor ihren Augen blamieren. Darin war Paul ein Meister. Ich schämte mich jetzt schon für meinen besten Freund, dabei hatte ich weder entschieden ob ich ihm von Layla erzählen wollte oder nicht einfach so tun könnte, als sei nichts.
Allerdings hatte er sogar herausgefunden, dass ich sein Geografie-Buch verloren hatte und das hatte ich ihm beim besten Willen nicht erzählen wollen. Paul war Menschenkenner, daran bestanden keine Zweifel, aber ein Frauenheld? Oh, nein. Das war keiner von uns beiden.
»Simon!« Das Grauen konnte beginnen. Mit den Gedanken noch ganz bei dem Mädchen griff ich nach meinen Rucksack und rutschte mit samt meiner Sachen ans Fenster ran, sodass er neben mir Platz hatte. Paul ließ seinen Rucksack von seiner Schulter rutschen und ließ sich auf den Sitz neben mir fallen. Ich schielte zu Layla hinüber, diese schien sich jedenfalls nicht mit uns zu beschäftigen. »Wie geht's dir?«, fragte mein bester Freund während ich noch darüber sinnierte, ob ich mich freuen sollte oder nicht. Paul gab mir einen Stoß mit seinem Ellenbogen und verzog das Gesicht vor Schmerz.
»Jetzt definitiv schlechter.«
»Meine Aura wird dich schon glücklicher stimmen.«, behauptete er und grinste. Paul war Wissenschaftler. Jedenfalls würde er mal einer werden, es lag ihm einfach Frösche zu sezieren und anderen Leuten den Glauben auszutreiben. Wenn Paul von Auren oder Engeln und Göttern sprach, konnte er es nur sarkastisch meinen. Ich kam damit klar, da ich selbst ziemlich wenig von einer „höheren Macht" hielt, aber es gab genug Leute die Paul dafür erdolchen würden.
Jedenfalls würden sie es tun, wenn sie nicht so viel Angst vor der Hölle hätten.
»Wie war's gestern?«, fragte ich und verstaute Der kleine Hobbit in meinem Rucksack. Der Sitz begann langsam unangenehm zu drücken und ich versuchte mein Gewicht von der einen Seite zur anderen zu verlagern. Diese vierzig Minuten Fahrt waren einfach fürchterlich.
»Die blöde Kuh musste natürlich - « Ich unterbrach ihn und legte den Fingern an die Lippen eher ich mit meinem Daumen hinter uns zeigte. Paul wäre natürlich nicht Paul wenn er sich nicht sofort umdrehen würde und ich wollte im Erdboden versinken als er Marsha einen militärischen Gruß gab. Als wären sein idiotisches Grinsen, die Hand an der Schläfe und die Tatsache, dass Marsha und er sich nicht ausstehen konnten nicht schon genug, musste Paul natürlich noch einen oben drauf legen. »Guten Tag, Miss Klugscheißerin!« Ich drehte mich wieder nach vorne und widerstand dem Drang, den Sitz runterzurutschen und am besten noch im Erdboden zu versinken.
»Musst du jedes Mal so übertreiben?«, fragte ich ihn als er sich wieder aufrecht hinsetzte.
»Tut mir leid, ich vergesse jedes Mal, dass weiblicher Kontakt deine Haut zum ätzen bringt.«
Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster. »Es ist echt peinlich, wenn du beschließt dich gleich mit Marsha zu prügeln.«
»Stehst du etwa auf die Besserwisserin?« Er wirkte etwas gekränkt, doch gleich darauf begann er leise zu lachen. »Ich werde eurer „Romeo und Julia" - Liebe nicht im Weg stehen, versprochen.«
»Nein, nicht Marsha.«
»Die kleine, blonde?« Ich sog scharf Luft ein und lehne meine Stirn an den Sitz vor mir.
»Tu mir den gefallen und wechsele das Thema, Paul.«, bat ich, wagte es allerdings nicht ihn anzusehen.
»Du wirst erwachsen!« Er quiekte begeistert und griff mir an die Wange um sie so zu kneifen, wie meine Großtante es immer bei uns beiden tat. »Sein wann läuft da schon was?« Ich stöhnte genervt auf und richtete mich wieder auf.
»Kannst du aufhören dich wie eine dreizehnjährige zu benehmen?«, fragte ich und musste grinsen.
»Das sind nur meine tiefsten Gefühle zu dir.«, behauptete er und richtete sich langsam auf. Der Bus wurde langsamer und fuhr an die Bushaltestelle ran.
»Wird' bitte wieder normal.«, flehte ich und gab ihm einen leichten Stoß. Paul stolperte aus dem Bus, fing sich allerdings bevor er stürzen konnte und sah mich grimmig an.
»Du bist so undankbar, Simon Cornwell.« Paul schüttelte den Kopf und richtete seinen Rucksack. »Ich dachte, deine Eltern haben sich mehr Mühe mit deiner Erziehung gegeben.«
»Du bist der Grund, für meine schlechte Taten.«
»Jetzt dramatisiere hier nicht alles.«, entgegnete Paul und blinzelte der Sonne entgegen. Er legte sich eine Hand über die Augen. »Ich wundere mich jedes Mal aufs Neue, dass wir nicht zu Staub zerfallen.«
»Und ich wundere mich, wieso wir überhaupt Freunde sind.«
»Weil du ohne mich nicht Leben kannst?«, schlug Paul vor während wir eine Straße überquerten. Die Sonne schien unerbittlich auf uns hinab und ich hatte das Gefühl in diesen drei Minuten Fußweg schmelzen zu müssen.
»Wenn du früher schon so ein Großkotz gewesen wärst, würde ich dich nicht mögen.«
»Aber von mir zu behaupten, ich benehme mich wie eine dreizehnjährige.«, entgegnete Paul und zog sein Handy aus der Tasche. »Ist es nicht erstaunlich, dass wir im Grunde jeden Morgen dasselbe erleben?«
Nein, es war nicht wie jeden anderen Morgen auch. Seit gestern hatte sich etwas drastisch geändert. Es würde nie wieder so werden wie früher und es würde auch nicht mehr gleich bleiben. Jetzt war sie da und ich hatte keine Ahnung, wie ich jemals mit ihr ins Gespräch kommen könnte.
»Man muss eben mehr in seinem Leben tun als zur Schule zu fahren.«, erwiderte ich nur darauf.
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Wo der Lavendel blüht
Historia CortaSimon sah sich immer als normal an. Er hatte einen bescheuerten besten Freund, weitere Jungs die um ihn herumschwirrten, seine PlayStation und war Single. Im Grunde das Leben der meisten Jungs im Alter von siebzehn Jahren. Aber eins war an ihm beson...