Kapitel 14

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»Was ist das?«

»Ein Freundebuch, naja, im Grunde bloß bessere Fragen als in einem Freundebuch.«

»Das ist doch bescheuert.«, stellte Layla fest und sah mich mit hoch gezogenen Augenbrauen an. Wir berührten uns noch immer nicht, nicht viel mehr als vorher. Sie saß im Schneidersitz gegenüber von mir, so nah, dass unsere Knie sich fast berührten.

»Wenn du sie nicht ausfüllen willst wirst du mir wohl so antworten müssen.« Sie senkte den Blick wieder in unser Büchlein und las mit gerunzelter Stirn.

»Ich bin Kroatin.« Ich grinste. »Jedenfalls sind meine Eltern es, ich bin hier auf die Welt gekommen.« Ihr Blick wanderte zu mir. »Ich spreche nicht wirklich gerne über mich.«

»Ich war nie raus hier.« Ihr Blick suchte meinen. Wir lächelten uns einander an.

»Ich auch nicht.« Laylas Lächeln war wunderschön. Sie sah ganz anders auch, sorgloser. Ich wollte sie immer so sorglos sehen.

»Wir sollten hier mal weg fahren.«, schlug ich vor. »Du darfst auch entscheiden wohin.«

Laylas Lächeln versteifte sich. »Ich werde nicht können.«

»Warum?«

»Du wolltest etwas über meine Familie wissen? Mein Vater kriegt es nicht auf die Reihe, mein Bruder sieht bereits tot aus und ich weiß, es wäre besser es auch zu sein.« Diese Ehrlichkeit schmerzte. Layla zitterte am ganzen Körper.

»Ich will nicht, dass du stirbst.«

»Ich höre Stimmen, die mir sagen, die Welt sei ohne mich besser dran. Dass es eh keinen Sinn macht hier zu leben, so zu leben.«

»Was ist mit deinem Bruder?«

Layla lachte kurz hysterisch auf und strich sich Tränen von den Wangen. »Es ist zu spät für uns alle. Calvin ist gestorben, vor Jahren schon, meine Mutter hat aufgegeben und alles was mir von ihr bleibt ist ein dummes Kreuz und ein Grabstein. Und in Toms Augen sehe ich, dass er weiß was los ist. Er ist schon verdorben.«

»Und was ist mit mir?« Ich hatte Angst vor dem, was sie sagen würde. Doch sie schwieg, eine lange Zeit bis schließlich der Damm brach und sie bitterlich anfing zu weinen.

Mein Herz zog sich zusammen, ich wusste nicht was ich tun sollte. Ob sie zurückweichen würde, wenn ich sie in den Arm nahm. Es wäre nicht das erste Mal, doch irgendetwas hatte Layla so unberechenbar gemacht, dass ich Angst hatte, danach zu fragen.

»Ich werde dich auch verderben, Simon.«, schluchzte sie. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie grausam es ist, mit mir zu tun zu haben.« Und in diesem Moment nahm sie mir die Entscheidung ab. Sie beugte sich vor, schloss ihre Arme um meinen Nacken und vergrub das Gesicht in meiner Halsbeuge.

»Meine Mutter behauptet, ich sei ziemlich zäh.«

»Meine sagte auch, ich sei tough, doch es hat mir nichts gebracht.«, widersprach Layla und rückte Näher. Sie saß auf meinem Schoß, keiner von uns wagte es, sich zu bewegen.

»Ich glaube aber nicht daran, dass du mich zerstören kannst.«, murmelte ich nach einer Weile. Sie hob den Kopf. Ihre Augen waren rot und die Wimperntusche verschmiert. Vorsichtig strich ich mit dem Daumen unter ihrem Auge entlang. Wimperntusche verfloss mit ihren Tränen und als ich die Hand von ihrem Gesicht nahm, zierte eine Mischung aus Tränen und schwarzen Stückchen der Schminke meinen Finger.

»Und wenn ich es doch kann?« Laylas Stimme zitterte und sie wischte sich nun selbst mit den Händen übers Gesicht. Sie verschmierte alles nur noch mehr, ich lachte leise in mich hinein. Es ließ die erdrückende Last die auf uns lag nicht verschwinden, doch Layla legte den Kopf schief und sah mich verwirrt an. So lange sie nicht wieder traurig aussah, war es mir egal welchen Gesichtsausdruck sie grade trug.

»Nichts.«, beantwortete ich ihre unausgesprochene Frage und schüttelte meinen Kopf. Ich hob meine Hände und legte sie sanft auf ihre Wangen um die verschmierte Schminke fort zu wischen. Layla saß still da, rührte sich nicht. Ihr Blick war fest auf mein Gesicht gerichtet. »Wieso guckst du mich so an?«

»Ich erinnere mich daran, dass du es bist.«

»Was wäre, wenn ich es nicht wäre?«

»Dann hätte ich Angst.«

Es entstand eine Stille zwischen uns während ich die Wimperntusche so gut wie möglich entfernte. Als ich damit fertig war, ließ ich meine Hände an ihren Wangen, mein kleiner Finger streifte ihren Hals. Wir müssten ziemlich bescheuert vom weiten ausgesehen haben, wie ich sie festhielt, wie sie mich ansah.

»Layla?«

»Hm?«

Ich schluckte, löste meine Hände von ihren Wangen und zupfte stattdessen an den Ärmeln ihres Pullovers. Die Erinnerungen an sie, das viele Blut und das Messer jagten mir einen eiskalten Schauer den Rücken hinab. »Wie oft hast du es getan? Also... Ich meine, damals als ich dich hier überrascht hatte, mit dem Messer.«

Sie runzelte die Stirn. »Ich habe es dir doch erklärt.«

»Nur wieso.«, widersprach ich. Sie seufzte leise und sah auf unsere Hände hinab. Ganz vorsichtig glitt sie mit ihren Fingern über meinen Handrücken und verschränkte unsere Hände miteinander.

»Zu oft.«

»Willst du sterben?«

Ihr Blick fing den meinen. »Ich liebe das Leben, Simon, du musst mir glauben, dass ich leben will.« Sie machte eine kleine Pause und atmete tief ein. »Ich will nur nicht so leben.«

»Und wenn ich verspreche, dich hier raus zu holen?«

Sie lächelte. Ganz leicht nur und so kurz, dass ich glaubte, es mir eingebildet zu haben. »Simon, du weißt doch gar nicht wie meine Vergangenheit aussieht. Ich weiß selbst nicht mal, ob sie mich nicht bis zum Rest meines Lebens verfolgen wird.«

»Erzähle sie mir.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich will dich nicht verlieren.«, widersprach sie.

»Steht es denn schon fest, dass ich gehen werde, sobald ich weiß, was dich quält?«

Langsam aber entschlossen nickte Layla. »Du wirst mich nicht mehr ansehen wollen.«

Ich beließ es dabei. Layla machte mir Angst, ich wollte wissen was sie bedrückte, wollte ihr helfen. Ich würde dem, der sie verletzte, auch eine reinhauen, wenn ich es für nötig halten würde. Aber Laylas Worte brannten sich in mein Gehirn.

Wir sahen wieder zu unseren Händen, es war das erste Mal, dass Layla mir wirklich so nahe war. Ich konnte ihren Hüftknochen an meinem Oberschenkel spüren, wollte mich aber nicht bewegen, aus Angst, sie würde dann von mir wegrücken.

Um mich nicht weiter auf den Schmerz zu konzentrieren, griff ich nach dem Buch und schlug die Seite mit den Fragen auf. »Was ist denn dein Lieblingsessen?« Meine Stimme klang heiser, irgendwie unbenutzt. Vorsichtig legte Layla ihren Kopf wieder an meiner Schulter ab, durch die Bewegung verschwand auch der drückende Schmerz in meinem Oberschenkel.

»Ich mag Nudeln. Nudeln sind wunderbar lecker und sie passen einfach zu allem.« Sie dachte einen Moment nach. »Es gibt so viele Nudelgerichte, dass sie einem einfach nicht langweilig werden können.«

Ich lachte leise. »Ich kann Nudeln nicht mal kochen.«

»Was kannst du denn?«

»Meine Fähigkeiten reichen grade mal aus, um dir ein getoastetes Käsesandwich machen zu können.« Sie lachte laut auf.

»Mein Bruder würde verhungern, wenn ich ständig nur Käsesandwiches machen würde.«

»Kochst du zu Hause?« Ich löste meine Hand aus ihrer um kleine Kreise auf ihre Handinnenfläche zu zeichnen.

»Mein Vater arbeitet den ganzen Tag und Tom ist grade mal elf, der kriegt nicht einmal ein getoastetes Käsesandwich hin.«


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