Kapitel 7

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Es waren gute drei Wochen vergangen, seit ich das erste Mal in dem Lavendelfeld zusammen mit Layla gelegen hatte und ich genoss die frische Luft und die Ruhe immer mehr. Noch nie hatte ich so viel Zeit draußen verbracht, wie in diesen drei Wochen.

»Wovor hast du am meisten Angst, Layla?« Ihre Namen auszusprechen war noch immer so ungewohnt. So schön wie er sich anfühlte. Ich drehte meinen Kopf in ihre Richtung und das trockene Gras knackste gequält unter der Bewegung. Ihr Kopf war zum Himmel gerichtet, die Augen geschlossen.

Sie sah mich nicht an als sie antwortete: »Ich habe Angst davor angstzuhaben.«

»Angst vor der Angst?«, hackte ich nach.

»Ich habe Angst davor wegen der Angst einfach nichts tun kann. Das ich wie gelähmt da stehen würde, ohne mich bewegen zu können. Ich habe Angst davor, dass mich die Angst unfähig macht.«

»Glaubst du denn, dass hier in dieser Gegend jemals etwas tief erschütterndes passiert?«, fragte ich sie. Meine Frage war sogar ernst gemeint und, wie ich fand, sogar berechtigt. Hier in der Gegend passierte nichts, in siebzehn Jahren hatte ich nur zwei Diebstähle mitbekommen und beide davon waren unbewaffnet und von Jugendlichen durchgeführt worden. Doch in Laylas Blick lag ein tieferer Schmerz. Sie wollte lächeln, doch es misslang ihr gewaltig und ich verspürte den Drang sie einfach in den Arm zu nehmen. Ihr das Haar hinters Ohr zu streichen und mit ihr zusammen, aneinander gekuschelt, hier in diesem Feld liegen. Ihre Geschichte hören.

»Nicht alles Übel kommt ans Licht, Simon.« Ich schauderte als sie meinen Namen aussprach. Sie klang wütend, niedergeschlagen. Ich hatte das Gefühl, dass in ihren Augen jedes erdenkliche negative Gefühl brodelte und ihr Gesicht wirkte so blass in dem Sonnenlicht. Ich schluckte.

»Willst du drüber reden?«

»Du bist nicht jemand der nachhackt oder?«

»Aber auch nicht jemand der tatenlos zusieht.« Sie strich sich das Haar hinters Ohr und lächelte zaghaft.

»Du bist der erste, der mit mir so viel Zeit verbringt.« Sie machte eine kurze Pause, lächelte und richtete ihren Blick auf eine zierliche weiße Blume. Sie streckte ihre linke Hand aus um nach den Blüten zu greifen und pflückte eine. »Wusstest du, dass man sie Wiesenschaumkraut nennt? Ein ziemlich abstoßender Name, für etwas so wunderschönes, findest du nicht?«

Ich drehte mich nun komplett auf meine linke Seite und musterte ihr Gesicht. Wieso war mir nie aufgefallen, wie traurig sie wirkte? Oder war sie nur heute so drauf? »Du lenkst oft vom eigentlichen Thema ab.«, bemerkte ich und ihr Blick löste sich von der zarten Blume und ihre braunen Augen trafen meine.

»Du bist recht neugierig.«, erwiderte sie bloß darauf.

»Es hat noch nie jemandem geschadet neugierig zu sein.«

Layla stieß ein kurzes Lachen aus. »Und die ganzen Verstorbenen aus den Filmen?«, fragte sie darauf hin und zog die Augenbrauen skeptisch nach oben.

»Konzentrieren wir uns auf die Realität.«, forderte ich und sie grinste, ließ die Blume fallen und rückte etwas näher heran.

»Du entfliehst dieser Realität doch genauso gerne wie ich. Ich sehe es an deinem Blick, ich bemerke es an deiner Haltung, wenn du ein Buch liest.« Ich konnte mich nicht von ihrem Gesicht losreißen. Wir waren uns noch nie so nahe gewesen. Im Grunde war ich noch nie so nahe an einem Mädchen gewesen. Bis auf Elsbeth Dallas, die Jahrgangbeste auf einer Party vor fast einem Jahr. Aber es war nicht wie mit Elsbeth die nach Alkohol gerochen hatte, alles um uns herum duftete bloß nach Lavendel, dem scheinbar immer grünem Gras und ihrer Trauer. »Ich sehe es dir an, Simon. Du kommst hier her, um vor ihr zu fliehen. Du bist genauso besessen von diesem Ort wie ich.«

Wo der Lavendel blühtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt