Kapitel 4

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Es benötigte keine Worte, um klar zu machen, dass Layla und ich uns nicht kannten. Als Layla donnerstags einstieg, verschwendete sie keinen Blick an mich, sondern stolzierte gradewegs zu Marsha. Ich versuchte mich nicht davon verunsichern zu lassen, wenn Layla ein Geheimnis daraus machen wollte, sollte sie es tun.

   Auch wenn ich dem Drang widerstehen musste ihr nachzusehen, da Paul jeden Moment einsteigen würde, hoffte ich auf die Begegnung heute Nachmittag. Sie hatte gesagt, wir würden uns sehen.

   »Hey, Träumer.« Paul gab mir einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter und rutschte in den Sitz neben mir. Wenn das so weiterging würde ich Der kleine Hobbit nie durch bekommen.

   Etwas widerwillig steckte ich das Buch ein und sah meinen besten Freund an. »Du siehst echt mies aus, Paul.«

  »Vielen Dank.«, murmelte er und gähnte. »Das ist natürlich genau das, was jeder von seinem besten Freund hören möchte.«

   »Es sollte eine freundschaftliche Bemerkung sein, damit du weißt, worum du dich schnellstmöglich kümmern solltest.«, erwiderte ich und sah ihn von der Seite an. Paul grinste breit und strich sich die Haare aus den Augen. Er trug sie über die Stirn, seine Mutter beschwerte sich jedes Mal darüber.

   »Nächste Woche sind Ferien, kann es kaum erwarten wieder Zeit für mich zu haben.«

   »Dass ich das mal von dir höre.«, lachte ich und sah aus dem Fenster zu meiner Rechten.

   »Auch Streber dürfen sich eine Pause gönnen.«, erwiderte er grinsend und sah hinter sich. Marsha und Layla waren nicht zu sehen, trotzdem sagte er seine folgenden Worte leise. »Ich glaube aber, dass Miss Klugscheißerin wie der Teufel büffeln wird, um mich nach den Ferien wieder zu schlagen.«

   »Vielleicht musst du langsam einsehen, dass sie besser ist als du.«

   »Oh, nein.«, knurrte der dunkelhaarige Junge und drehte sich wieder nach vorne. Paul war Perfektionist. Er wollte der Beste sein in dem was er tat und jemand wie Marsha kam ihm da gewaltig in die Quere. »Ich werde diesen Wettstreit nicht verlieren.«

   »Vielleicht ist es für sie gar kein Wettstreit?«

   »Indirekt ist das ganze Leben ein Wettstreit um irgendetwas.« Er sah zu der Anzeige hoch, die unsere Haltestelle ankündigte. Ich konnte es kaum erwarten den unbequemen Sitz endlich los zu werden. »Und Marsha ist in meinen hineingeraten. Außerdem wäre das Leben doch viel langweiliger ohne angemessener Konkurrenz.«

Zu meinem Glück war Paul hochbegabter im Fach Chemie und somit zwei Mal die Woche länger in der Schule als ich. Als ich nachmittags in meinen Bus saß, war ich schon fast enttäuscht sie nicht darin anzutreffen. Ich war kein Befürworter fürs Schwänzen der Schule, doch ich sehnte mich so sehr nach Layla, einer völlig Fremden, dass es wehtat. Trotz aller Sorge, sie würde nicht kommen, stieg an der Haltestelle aus, von der ich gestern zum Lavendelfeld gegangen war und machte mich auf dem Weg zu den lilafarbigen Blüten. Der Himmel zeigte seit dem gestrigen Schauer gar keine einzige Wolke mehr auf. Der Boden unter meinen Füßen war trocken und ich könnte schwören, dass ich den Sand aufwirbeln könnte. Ich fand das Kreuz recht schnell, Layla lag nicht weit davon zwischen den Lavendelsträuchern. Ihre Augen hielt sie geschlossen, ich war mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt wach war. Sie sah fertig aus, fertig mit dem Leben, der Welt.

   Ich blinzelte in wendete meinen Blick von ihr ab. Jemanden beim Schlafen zuzusehen, sah ich nicht wirklich als normal an. Verlegen heftete ich meinen Blick auf das Kreuz und erstarrte an der Stelle.

   »Mir ist noch nie jemand begegnet, der so verlegen ist.« Ich sah wieder von dem Kreuz zu dem blonden Mädchen. Ihre Haare standen noch wirrer ab als sonst und sie hatte dunkle Augenringe unter den Augen. Ich schluckte.

Wo der Lavendel blühtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt