Kapitel 13

2.7K 407 17
                                    

Es herrschte lange Stille zwischen uns. Keiner von uns sagte etwas, bis wir im Bus saßen.

»Das war schön.« Ich nahm meine eigene Stimme kaum wahr, es schien mir eher ein Gedanke zu sein, als das ich es ausgesprochen hatte. Doch als ich zu Layla sah, lächelte sie schüchtern und eine unheimlich große Last fiel mir von den Schultern. Layla sagte nichts, doch sie lehnte sich vor um nach meinem Rucksack zu greifen und zog das Notizheft heraus. Ich hatte einen Stift zwischen die Seiten geklemmt. Sie blätterte langsam durch die Seiten. Vorbei an ihren Zeichnungen, ihren Worten.

Stille umgibt uns, lässt uns klar denken. Wenn wir ganz still sind, hören wir, was um uns herum passiert. Ich stelle mir das Universum still vor, es ist das mächtigste was wir kennen und es ist eine Ruhe, die alles umgibt.

Layla sagte nichts, während sie über Stille schrieb. Nach ihrem Text reichte sie mir den Stift und lehnte ihren Kopf an meine Schulter. Ihr Haar kitzelte mich an der Wange, doch ich genoss ihre Nähe. Als ich den Stift zwischen meinen Fingern drehte, wurde ich nervös. Sie fasste Dinge in Worte, über die andere nicht einmal einen Gedanken verschwenden. Als ich den Stift aufs Papier setzte, wurde meine Schrift noch krakeliger als sonst.

Viele haben Angst vor der Stille, vor dem Nichts.

Sie kicherte leise und nahm mir den Stift ab.

Aber da ist nicht Nichts. Schließ deine Augen, Simon, sei ruhig, da ist so viel um uns herum. Sie kriegen nicht einmal mit, was um sie herum geschieht, sie sind zu laut.

Ich gehorchte. Versuchte vollkommen still da zu sitzen und so leise wie möglich zu atmen. Im hinteren Teil des Busses lachte jemand. Jemand anderes bekam eine Nachricht, das Handy piepste noch zwei weitere Male auf. Zwei Mädchen ganz vorne im Bus sprachen über einen heißen Mitschüler, ein Pärchen in unserer Nähe sagte sich, dass es sich liebt.

Ich öffnete meine Augen wieder und sah sie an. Zuerst wollte ich etwas sagen, doch dann entschied ich mich dagegen und nahm stattdessen wieder den Stift an mich. Layla strich mit dem Finger über den Stoff meines Shirts und für einen Moment vergas ich, was ich ihr schreiben wollte. Ich hielt die Luft an und wartete, hoffte, sie würde nicht aufhören. Layla wirkte bei allem was sie tat so zögerlich. Ich dachte an den Tag zurück, als sie mich gezeichnet hatte, vielleicht doch nicht bei allem, während sie gezeichnet hatte, wirkte sie so frei.

Es ist laut. Um uns herum ist es so laut.

Sie verzog das Gesicht zu einem Lächeln und löste ihre Finger von dem Stoff meines T-Shirts. Einen Moment lang verfluchte ich mich dafür, ihr jetzt schon geantwortet zu haben, doch Layla schrieb keine Antwort. Sie setzte sich auf und flüsterte mir ins Ohr: »Aber wir sind Still und das ist ebenfalls schön.«

Layla zuckte zusammen, als ich meine Hand auf ihre legte, doch sie zog sie nicht weg. Gebannt starrten wir beide auf unsere Hände, während ich mit meinen Fingern über ihre fuhr. Sie hatte recht, zwischen uns herrschte eine angenehme Stille und die Welt um uns herum, verlor langsam den Verstand.

Als wir ausstiegen, ließen wir uns wieder los. Fast wirkte es, als hätte uns das Leben wieder in die Realität gedrängt, die Ruhe war fort. Vor unserer Einfahrt blieb Layla unschlüssig stehen. Ich drehte mich zu ihr um. »Alles okay?«, fragte ich sie und ging wieder zu ihr zurück. Layla beobachtete das Haus meiner Eltern, ihr Blick glitt über die Blumen meiner Mutter zu dem Werkschuppen meines Vaters, in dem er mit mir an einem Schiffsmodell gearbeitet hatte.

»Ich wurde noch nie zum Essen eingeladen.«, murmelte Layla leise. Sie mied meinen Blick und starrte zu dem Haus. Ich wollte nach ihrer Hand greifen, doch ihre Körperhaltung fesselte mich an die Stelle, an der ich grade stand.

»Ich habe davor auch noch nie ein Mädchen zum Essen eingeladen.«, sagte ich darauf und schluckte schwer. Laylas Blick huschte kurz zu meinem Gesicht ehe sie tief einatmete und den Blick auf den Boden zwischen uns richtete.

»Bereit?«

»Ich sollte wohl jetzt etwas total süßes Antworten oder?«

»Nein, die Frage war ernstgemeint.« Wir sahen uns in die Augen. Layla antwortete nicht, doch wenigstens hielt sie meinem Blick stand.

»Hey ihr beiden!« Dads Stimme ließ uns zusammen fahren. Er kam grade aus dem Schuppen heraus, aus der Entfernung sahen seine Haare fast weiß von den Holzspähen aus. Layla verkrampfte sich ruckartig und verlagerte ihr Gewicht nervös von einem Bein auf das andere. »Kommt ihr gleich rein?« Dad schritt durch den Garten und stieg langsam die Stufen zu unserem Haus hinauf.

»Einen Moment noch, Dad.«, sagte ich so gelassen wie möglich. Dad musterte uns skeptisch und zuckte dann mit den Schultern.

»Das Essen steht schon auf dem Tisch, beeilt euch bitte.«, sagte er noch und drückte die Haustür auf. Als er im Haus verschwand, ließ er die Tür für uns offen.

»Meinen Dad kanntest du ja schon.«, sagte ich wieder an Layla gerichtet

»Du siehst ihm ähnlich.«, murmelte sie und machte einen Schritt in meine Richtung. Vorsichtig strich ich mit meiner Hand über ihre Schulter zu ihrem Rücken. Layla schloss die Augen und sah zu Boden, sie entwand sich der Berührung und ich zog meine Hand zurück.

»Ich will dir nichts tun, ich werde dir auch nie etwas an tun.«

»Ich weiß, Simon.« Ihre Stimme zitterte leicht, doch als sie wieder aufsah, hatte sie einen gefassten Ausdruck im Gesicht. »Ich weiß es. Es ist nur unheimlich schwer, zu begreifen, dass nicht jeder auf dieser Welt böses tun will.«

Ich wollte wissen, wer ihr Böses angetan hatte, ich wollte ihr helfen. Doch ich fand meine Stimme nicht wieder, nicht für dieses Thema. Ich wollte sie nicht bedrängen, Layla war so zerbrechlich. »Wenn du nicht rein willst, gehen wir noch ein bisschen spazieren.«, schlug ich vor und lächelte.

Sie sah zu mir auf und lächelte ebenfalls. »Alles gut, Simon. Es ist nur sehr Neu für mich.« Wir lächelten uns beide an, ein wahres Lächeln, welches mir das Herz erwärmte. Dann gingen wir stumm durch den Vorgarten, stiegen die Stufen hinauf und ich hielt ihr die Tür auf.

Mum hätte letztendlich Spaghetti Bolognese gemacht, etwas leichtes, was wohl jeder mochte. Sie schien begeistert von Layla zu sein. »Ich habe schon so viel von dir gehört, Liebes!« Das war natürlich gelogen, außer dem was Dad ihr erzählt hatte, wusste sie nichts von dem blonden Mädchen, welches nervös neben mir stand. Layla lächelte verkrampft und schüttelte meiner Mutter die Hand. »Meinen Mann kennst du ja bereits.« Layla schüttelte auch Dad die Hand.

»Schön dich endlich Mal richtig kennen zu lernen.«, behauptete Dad.

»Setzt euch doch.«, sagte Mum. Layla schien völlig überrumpelt mit der Situation, gehorchte allerdings sofort. Ich setzte mich neben sie und grinste ihr zu. Sie nahm tief Luft und griff unterm Tisch nach meiner Hand. Ihre Finger verschränkten sich mit meinen.

Wo der Lavendel blühtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt