Das Taschenbuch schien mich hinunter zu ziehen. Obwohl es definitiv so viel wie ein normales Heft dieser Größe wog, hatte ich das Gefühl einen riesigen Stein in meinem Rucksack zu tragen.
Ich hatte Mühe dabei, in den Bus zu steigen und mich auf meinen üblichen Platz im Bus nieder zu lassen. Am Nachmittag würde ich sie nicht mehr sehen, aber Paul war noch immer krank und Marsha hatte ich noch nie an einem Mittwochmorgen gesehen. Ich zog den Reißverschluss meines Rucksackes gleich nachdem der Bus losfuhr auf und steckte die Hand hinein um nach dem Notizheft zu tasten. Meine Finger ergriffen es und ich strich nachdenklich über den Einband. Welches Geheimnis hütete es? Wer war Layla Westhold?
Ich hatte das Heft bereits zur Hälfte hinausgezogen als der Bus an ihrer Haltestelle hielt. Doch meine Augen fanden ihr Ziel nicht. Sie war nicht da. Mit einem Schlucken zog ich das Heft ganz raus und schlug die erste Seite auf. Wir treffen uns, wo der Lavendel blüht.
Ich starrte lange auf diese sieben Wörter. Es könnte alles und doch nichts bedeuten. Wer war Layla Westhold? Ich blätterte auf die nächste Seite und blickte die Zeichnung an. Sie war talentiert, dass konnte man nicht bestreiten. Die Lavendelblühten waren in einem leichten Lila gezeichnet während sich der Rest mit dem Grau eines Bleistiftes begnügen musste. Das Kreuz wirkte so fehl am Platz, dass ich es nicht wagte es länger anzusehen. Auf dem Kreuz prangte ein leeres Namenschild und mein Herzschlag beschleunigte sich ungewollt. Wessen Grab war es? Gab es jenes Kreuz bereits oder ist es bloß ein Albtraum.
Ich blätterte trotz schlechtem Gewissen weiter, doch die folgende Seite war leer. Auch die nächsten Seiten blieben weiß. Ich sah mir wieder den einen Satz an. Wir treffen uns, wo der Lavendel blüht. Das Lavendelfeld. Da müsste irgendwo ein Kreuz stehen, sonst hätte sie es nicht gezeichnet.
Ich hatte noch nie die Schule geschwänzt, war immer ein vorbildlicher Schüler gewesen, der vielleicht etwas zu faul war. Ich hatte seit zwei Jahren nicht mal einen Fehltag gehabt. Doch als der Bus an der Haltestelle hielt, an der Layla gestern eingestiegen war, stieg ich aus, noch bevor ich mir überlegen konnte, was ich eigentlich tat. Ein Fehltag für Layla Westhold, von der ich nicht einmal wusste, ob ich sie an dem lilafarbenen Feld überhaupt antreffen würde.
Eigentlich konnte ich mich nicht einmal erinnern wie man zu dem Feld kam. Alles was ich wusste, war dass es in der Nähe der Station war, doch das Dorf war wesentlich größer als das, in dem ich lebte und ich stand mehrere Minuten ziellos an einer Kreuzung. Ich musste durch einen kurzen Wald gehen, doch in welche Richtung sollte ich mich wenden? Das Notizbuch hielt ich noch immer aufgeschlagen in meinen Händen. Vielleicht hatte sie mir ja noch einen Hinweis da gelassen? Ich inspizierte den Satz, doch außer den sieben Worten, fand ich keinen anderen Hinweis. Auch das Bild blieb so unscheinbar war es war. Layla konnte doch nicht davon ausgegangen sein, dass ich das Feld auf eigene Faust finden würde.
Ich ließ mich auf die Bank neben der Busstation nieder und betrachtete ihre Zeichnung. Lila Blüten. Graue Stängel und Blätter.
Und das graue Kreuz inmitten der Blüten des Lavendels. Komm schon, sie musste noch irgendwo ein Hinweis dagelassen haben. Alles woran ich mich erinnern konnte, war, dass meine Mutter mich durch einen kleinen Wald geführt hatte, als sie sich mehrere Sträucher mit nach Hause genommen hatte. Sie blühten seit einer halben Ewigkeit in unserem Garten.
Erst beim näheren Hinsehen erkannte ich das „O" auf der rechten Seite des Kreuzes. Osten war Rechts. Ich sah mich um. Mein Vater hatte mir beigebracht, mich an Moss zu orientieren, doch, ich hatte noch meine Zweifel. Ich müsste die Straßenseite wechseln, durch den Vorort und schließlich durch einen Wald. Ich war komplett bescheuert, dass ich wirklich vorhatte mich auf die Suche nach dem Kreuz zwischen dem Lavendel zu machen.
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Wo der Lavendel blüht
Short StorySimon sah sich immer als normal an. Er hatte einen bescheuerten besten Freund, weitere Jungs die um ihn herumschwirrten, seine PlayStation und war Single. Im Grunde das Leben der meisten Jungs im Alter von siebzehn Jahren. Aber eins war an ihm beson...