Kapitel 15

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» Wie läuft's mit deiner Freundin?«, fragte Paul als wir morgens im Bus saßen.

»Sie ist nicht meine Freundin.«

Paul bedachte mich mit seinem wissenden Blick. »Alter, du hast die Schule für sie geschwänzt.« Er lachte. »Und deine Mutter sagte, sie war bei euch zum Essen. Mega süß und niedlich soll sie sein.«

»Du bist verdammt nervig.«

»Erzähl mal.«, forderte er und lehnte sich zurück. Mit geschlossenen Augen wartete er darauf, dass ich zu sprechen begann.

»Sie ist anders.«, begann ich. »So wirklich anders und launisch.«

»Sie hat dich voll im Griff, Simon.«

»Layla ist... Sie ist so, vorsichtig. Manchmal habe ich Angst, sie würde einfach davon laufen.«

»Du bist so dicht, Junge.«

»Ich will nicht, dass sie wegläuft, im Grunde würde ich sie gerne jeden Abend zum Essen bei uns einladen.«

»Hörst du dir selbst noch zu?«

»Ich würde gern mit ihr weg fahren.«

»Verdammt die muss gut sein.« Er öffnete die Augen und musterte mich. »Meiner Diagnose nach, bist du nicht mehr ganz dicht. Es hat dich voll erwischt.«

»Hat es nicht.«

»Du verhältst dich wie ein kleines Kind, wenn du widersprichst.«

»Halt die Klappe, Paul.«

»Sehen wir uns heute endlich wieder oder bist du mit der Prinzessin unterwegs?«

Ich zögerte einen Moment lang. Layla war nicht in den Bus gestiegen und selbst wenn sie am Feld sein sollte, wäre sie hier gewesen, wenn sie mich hätte sehen wollen. »Gern.«, antwortete ich schließlich und lehnte den Kopf an die kühle Fensterscheibe des Busses.

Paul und ich hatten uns seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Es wäre gelogen, wenn ich sagte, es täte mir leid, doch ich war ein schrecklicher bester Freund - auch dieses Treffen würde ich gegen einen Nachmittag mit Layla eintauschen. Doch Layla war nicht da, ich konnte kein Treffen mit ihr ausmachen.

Nach der Schule tauchte Layla immer noch nicht auf. Meine Lehrerin erinnerte mich daran, dass ich noch nachweisen sollte, dass ich krank gewesen sei, als ich mit Layla zusammen die Schule schwänzte. Layla saß auch dann nicht im Bus und mein Magen zog sich zusammen, ich wollte aussteigen und auf dem Feld nach ihr suchen, doch stattdessen schloss ich bloß die Augen als wir unsere Haltestelle erreichten. Paul musterte mich.

»Machst du dir Sorgen?«

»Ich wüsste nur gern ob alles in Ordnung ist.«

»Das ist „sich Sorgen machen".«

»Dann ja.«

»Was sollte denn schon schlimmes passiert sein? Sie ist wohl einfach zu Hause geblieben, weswegen auch immer. Morgen siehst du sie bestimmt wieder.«, versicherte Paul mir. Ich nickte träge und erinnerte mich an unser letztes Treffen am Feld. Sie auf meinem Schoß. Dass Layla an Depressionen litt, verriet ich Paul nicht, es wäre, als würde ich ihr Geheimnis verraten. Als würde ich sie verraten.

»Ich habe ganz vergessen zu fragen, - «, wechselte ich das Thema. » - wie die Zusammenarbeit mit Marsha war.«

»Die Braut ist schrecklich.«

»Das beantwortet meine Frage nicht.«

»Sie ist wie das Biest, nur eben andersherum. Von außen total bezaubernd und sobald sie den Mund aufmacht, scheißt sie mich so zusammen, dass ich verdammt noch mal Schiss vor ihr bekomme.«

»Klingt nach Spaß.«, lachte ich.

»Für sie und dich vielleicht, für mich war es alles andere als spaßig.«

»Habt ihr den Preis gewonnen?«

»Natürlich.«, schnaubte Paul entrüstet über meine Frage. »Aber sie hat bei ihrer Rede dann behauptet, ich sei der schlimmste Partner auf Erden und sie sei ohne mich besser dran gewesen, verlogene Hexe.«

»Manchmal glaube ich du dichtest in deine Erzählungen zu viel mit ein, was eigentlich gar nicht geschah, Marsha sieht super nett aus.«

»Sie ist das Biest. Eine noch biestigere Version des Biestes.«, bestand Paul und verschränkte die Arme.

»Ich glaube dir ja, du Irrer.«, lachte ich und sah wieder aus dem Fenster.

»Hör auf dir Gedanken zu machen.«, verlangte mein bester Freund.

Doch Layla war am nächsten Morgen ebenfalls nicht da. Ihre Abwesenheit lastete schwer auf mir und ich fragte mich, ob ich jetzt oder erst nach der Schule zum Lavendelfeld gehen sollte.

Der Grund, wieso ich letztendlich den Unterricht über mich ergehen ließ, war Paul, der mich neugierig musterte. Sein „Es ist schon alles gut."-Mantra verlor von Sekunde zu Sekunde immer mehr seiner Wirkung und in den letzten beiden Stunden war ich schon so weit, dass ich ihm für jedes weitere Wort eine reinhauen wollte. Der Tag zog sich so unerträglich in die Länge, wie wenn man für die neuste Episoden seiner Lieblingsserie warten musste. Nur dass ich die Sekunden zählte, bis ich das Lavendelfeld erreicht hatte. Die Sekunden, bis ich Layla wieder sehen würde.

Als die Schulklingel das Ende des Unterrichts ankündigte, sprang ich auf und verließ als erster den Raum. »Bis morgen, Paul!«, rief ich über meine Schulter und stürmte aus dem Gebäude. Meine Eile war total überflüssig, da ich sowieso auf den nächsten Bus nach Hause warten musste.

Nicht nach Hause... Zum Feld.

Layla Westhold, ich habe mir solche Sorgen gemacht, das würde ich ihr sagen. Ganz vorwurfsvoll. Vielleicht würde sie daraufhin sogar Lächeln. Vielleicht, ganz vielleicht.

Ich stieg mit einem Grinsen in den Bus und genauso zufrieden stieg ich später dann auch wieder aus. Der Gedanke, Layla wieder sehen zu können, stimmte mich fröhlich. Nichts konnte mir diese Laune verderben.

Ich wollte sie in die Arme schließen, sie küssen, auch wenn sie vermutlich zurück weichen würde, ich wollte es so sehr. Ich verbrachte den gesamten Weg ohne Kopfhörer, lauschte den Klängen um mich herum, versuchte die Schönheit heraus zu hören, von der sie immer sprach. Layla fand die ganze Natur wunderschön, die Vögel, das Raubtier. Layla empfand den Tod als schön, das machte mir Angst, es wirkte schon beinahe naiv.

»Die Nahrungskette ist bewundernswert. Weißt du was noch bewundernswert ist? Der Mensch hält sich für den König, jemand, der unsterblich ist. Unsere Spezies wird sich wirklich wundern, wenn jemand besseres auftaucht.«

»Wir stehen an der Nahrungskette ganz oben.«, hatte ich ihr damals geantwortet. Sie hatte lachend bloß den Kopf geschüttelt.

»Den Menschen fehlen Schranken, ihnen fehlt ein Ungeheuer.«

»Wir haben unsere eigenen Ängste, Layla.«

»Der Wurm hat den Vogel, der Vogel die Katze, die Katze den Hund, der Hund uns. Aber wer hat uns, Simon? Wer lässt uns realisieren, dass wir kein Recht auf alles haben.«

»Die Natur.«

Ihr Lächeln war so wunderschön, dass ich geglaubt hatte, mich in ihm zu verlieren. »Eine wundervolle Antwort.« Layla war verliebt in ihr Umfeld, sie liebe die Bäume, das Rascheln der Blätter. Sie liebte es mit den Fingern über die Blüten des Lavendels zu streichen. Layla sprach gerne über Dinge, die niemand wirklich verstehen konnte.

In Gedanken versunken, erreichte ich das Feld. Doch das blonde Mädchen darin fehlte.

Hier ist irgendwo 'ne Mücke. Hilfe
P.S.: WdLb ist fast zu ende :3

Wo der Lavendel blühtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt