Ein gleichmäßiges Piepen war das erste, das ich wieder wahrnahm. Es war völlig Still, nur dieses Piepen.
Und Hunger. Ich öffnete die Augen und starrte an eine weiße Decke. Sie war viel zu hoch um mein Zimmer zu sein und Pauls Decke hatte Schrägen. Da die Identifizierung meines Aufenthalts nicht mit einem Blick zur Decke genügte, drehte ich meinen Kopf links. Ein Tischchen und darauf ein Glas und eine Vase mit Blumen standen neben dem Bett und das Piepen verursachte eine Maschine an der Wand. Krankenhaus.
»Simon?«, wisperte eine Stimme die mir mehr als bekannt war. Ich wollte mich aufrichten, doch Layla drückte mich zurück in die Kissen. »Es tut mir so leid, so schrecklich leid!« Über ihrer Augenbraue hatte sie eine Wunde, doch ansonsten schien es ihr gut zu gehen.
»Layla.«, krächzte ich und hustete. Sie nahm die Hände von mir und griff nach einem Wasserkrug, der hinter der Vase gestanden haben musste. Mit zitternden Fingern füllte sie mir das Glas auf, half mir in eine sitzende Position und reichte es mir schließlich. Ich genoss die kühle Flüssigkeit und schloss die Augen. Mein Schädel brummte und mein Gesicht fühlte sich warm und dick an. Layla beobachtete mich.
»Ich sollte deine Eltern holen, sie warten schon die ganze Zeit.«
»Wie spät ist es?«
Sie beugte durch die Glastür in den Flur hinaus. »Etwa fünfzehn Uhr.« Sie atmete zitternd ein und schluchzte. »Ich dacht... Ich dacht, er bringt dich um.«
»Alles gut.«, murmelte ich und lächelte sogar. Ich fühlte mich, als hätte ich mindestens zwei Tage nicht geschlafen.
»Ich hol deine Eltern.«, verkündete sie leise und rutschte von meinem Bett hinunter. Ich griff nach ihrer Hand, erwischte ihre Finger, konnte diese aber nicht halten. Layla drehte sich zu mir um und legte den Kopf schief.
»Kommst du wieder?«
»Ich werde nicht weggehen.«, versprach sie. Als ich darauf hin nickte, lächelte sie sanft und verließ das Zimmer. Die Tür ließ sie dabei offen, sodass ich ihre Stimme hören konnte. Layla tauchte wieder auf, eine verheulte Mutter und einen wütenden Vater im Schlepptau. Die beiden machten sich neben dem Bett breit und unschlüssig blieb Layla an der Wand gegen über des Bettes stehen.
»Schätzchen, wie geht es dir?«, fragte meine Mutter. Vater sagte nichts.
»Ganz gut, denke ich.« Mein Blick kreuzte den von Layla und mir einem Lächeln nickte sie zur Tür. Ich verstand und nickte kaum merkbar. Mit einem letzten Lächeln verschwand Layla schließlich aus dem Zimmer.
Während meine Eltern auf mich einredeten, kam eine Krankenschwester, brachte mir was zu Essen und schwirrte noch in dem Zimmer herum. Langsam stocherte ich in dem Kartoffelbrei herum und hörte meinen Eltern zu.
»Ich denke nicht, dass es sonderlich schlau wäre, weiterhin mit dem Mädchen in Kontakt zu bleiben.«, sagte Dad nun. Ich sah von meinem Teller auf und blickte ihm in die Augen.
»Was?«
»Überleg doch mal, Schätzchen.«, begann nun meine Mutter. »Wer weiß, was mit ihrem Vater passieren wird und wenn er auf freiem Fuß ist? Was tut er dann?«
»Er bringt sie vermutlich um, wenn sie alleine ist.«, antwortete ich ausdruckslos. »Es wäre alles umsonst gewesen, sie jetzt allein zu lassen.«
»Simon, es geht hier um mehr als eine Jugendliebe.«
»Könnt ihr aufhören? Wir können gerne zu Hause drüber sprechen, aber jetzt will ich essen.« Demonstrativ schob ich mir eine Gabel Brei in den Mund. »Ich hätte Layla gerne hier und wenn ihr weiterhin so reden möchtet, bevor wir zu Hause sind, könnt ihr gerne gehen.«
Mein Vater wollte widersprechen, doch Mutter schüttelte den Kopf und zog ihn zur Tür. »Wir warten draußen.« Keine Sekunde später tauchte auch Layla wieder auf. Sie hatte ihre Haare zu einem Zopf gebunden und als sie sich auf den Stuhl sinken ließ, bemerkte ich erstmals die dunkeln Augenringe.
»Du siehst müde aus.«, bemerkte ich. Desto länger ich sprach, desto fester klang meine Stimme. Ich ignorierte das Kratzen im Hals und schnitt mir unbeholfen etwas von dem Fleisch ab. Layla beobachtete meine Bewegungen und schloss schließlich die Augen.
»Das waren anstrengende Stunden, ich bin froh, dass du wieder bei Bewusstsein bist.«, murmelte sie. »Gleich will noch der Arzt kommen und mit dir sprechen.«
Ich nickte bloß und stellte den Teller auf den kleinen Tisch zu meiner linken. Ich streckte meine Hand aus und als sie ihre vorsichtig in meine legte zog ich sie mehr oder weniger aus das Bett. Wobei die Bezeichnung „ziehen" ziemlich daneben war, da sie meine Geste verstanden hatte und sich selbst zu mir gesetzt hatte. Ihre Hüfte drückte sich gegen meine und ich schloss die Augen. »Geht's dir wirklich gut?«, fragte sie leise und strich mit den Fingern über meine Hand. Ich genoss die Tatsache, dass sie nicht wegzuckte, dass sie einfach neben mir saß und da war.
»Wie geht's deinem Bruder?«, fragte ich sie, meine Augen noch immer fest geschlossen.
»Deine Eltern haben ihn zu euch mitgenommen. Er war bisschen geschockt, weil Rick noch nie jemanden Krankenhausreif geprügelt hatte, jedenfalls nicht vor seinen Augen, aber er übersteht es, wir hatten viel Übung.«
»Wo geht's dann hin?«
»Ich hoffe, dass er bei mir bleiben kann. Das wir eine kleine Wohnung kriegen, Unterstützung, ich könnte arbeiten gehen, für die Schule habe ich sowieso zu viele Fehlstunden.«
»Aber du bist intelligent.« Ich öffnete meine Augen.
»Intelligenz ist nicht alles, Simon.«
»Ich will dich nicht verlieren.«, gestand ich. Unsere Blicke trafen sich. Ihre braunen Augen sahen mich verwundert an.
»Trotz.... Obwohl... Auch wenn mein Vater so ein Mistkerl ist?«
»Ich habe nicht vor ihm noch einmal über den Weg zu laufen, aber das bedeutet nicht, dass ich dich nicht sehen will. Layla, ich brauche dich.«
Sie lachte. »Ich brauche eher dich als du mich.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, du machst dein Ding, egal wie schlecht die Karten sind, aber ohne dich verliere ich mich, ich werde wieder einer von den anderen, diese Masse die man einfach nicht bändigen kann.«
»Du bist ein Idiot, Simon.«
»Ich will nur das du bleibst.«
»Dann bleibe ich, so lange du mich ertragen kannst.«

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Wo der Lavendel blüht
Historia CortaSimon sah sich immer als normal an. Er hatte einen bescheuerten besten Freund, weitere Jungs die um ihn herumschwirrten, seine PlayStation und war Single. Im Grunde das Leben der meisten Jungs im Alter von siebzehn Jahren. Aber eins war an ihm beson...