5. Als ich nicht wusste, wieso

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Ich habe vor dieser Reise noch nie unser Territorium verlassen, und das wusstest du. Du wusstest es, aber du hast Nachtseele nichts gesagt, hast einfach gefragt, ob wir uns kurz auf den Hügel dort stellen und eine kurze Pause machen können.

»Wenn ihr die unbedingt braucht«, fauchte sie nur und schnaubte. »MondClan-Katzen«, hatte sie noch hinzugefügt.

Und dann standen wir dort, auf einem kleinen Hügel am Rande meiner Welt und sahen uns das an, was immer mein zuhause gewesen war. So weit war ich noch nie gegangen, so weit wie an diesem Tag war ich noch nie gekommen, hier draußen wuchsen keine Kräuter, die nicht auch im Tal zu finden waren, und hier draußen gab es keine Beute, die es nicht auch im Tal gegeben hätte.

»Du musst keine Angst haben«, hast du gesagt.

»Ich weiß«, habe ich gesagt. »Aber ich habe sie trotzdem.«

Und du hast gelacht und mich angestupst, ohne etwas zu sagen, und dich abgewandt.

»Ist etwas, Gerstenfeder?«, fragte ich.

Aber du wolltest nicht antworten. »Wir sollten weiter. Nachtseele wird schon ganz unruhig. Du weißt ja, sie ist ganz ... anders ... wenn sie ... wenn sie angespannt ist. Das willst du nicht«, du hast gelacht, aber ich hörte, dass es nicht dein Lachen war, dein Lachen war anders, wenn du lachst, dann lacht die ganze Welt und die Sterne und der Mond und die Sonne, aber jetzt fühlte es sich an wie ein leeres Echo zwischen den Felsen.

»Gerstenfeder«, sagte ich leise. »Ich-«

Du wolltest mich nicht ausreden lassen. »Waldherz, wir sollten los. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Das Licht ist kostbar, wir müssen weiter.« Du sprangst weg, bliebst kurz stehen und sahst über deine Schulter, sahst mich an, ohne mich wirklich zu sehen. »Jetzt.«

»Einen Moment noch. Ich - ich brauche noch einen Moment.«

Du hast genickt und warst weg.

Aber ich blieb. Ich erinnere mich noch genau an das Bild, das ich sah - das Tal, von Bergen zu beiden Seiten umrahmt, die Wolken, die um die Felsen schlichen wie Nebel auf einer Wiese, den Fluss, der die Landschaft teilte, mit seinem klaren, grauen Wasser, das immer und immer weiter strömte, ohne je anzuhalten, ohne je zu verstummen. Die Bäume, die ihre Zweige gen Himmel streckten, die Vögel, die sanft zwitschernd über den Welten flogen, die Fische, die durch das Wasser zischten und der Wind, der über die Landschaft strich. Unter meinen Pfoten - weiches Gras, kleine Halme, tanzend in den sanften Brisen der Berge, in meiner Nase die zehntausend Gerüche und Düfte der Ferne.

Ich erinnere mich noch genau an das Bild, das ich sah, damals, an diesem Tag. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich den kleinen Schatten am Ufer des Flusses sah, wie ich die Ohren spitzte und die Luft prüfte, und ich erinnere mich daran, wie ich deine Pfotenschritte hörte, ganz nah, wie ich dich spürte, deine Wärme und wie ich deinen Geruch schmeckte, ich erinnere mich noch daran, wie all das die Gedanken an den kleinen Schatten verdrängten, wie all das die Gedanken an die Möglichkeiten und an das Vielleicht verdrängte, ich erinnere mich noch daran, wie all das eine Hoffnung in mir weckte.

Eine wichtige Hoffnung, die ich nie hätte haben sollen. Die Hoffnung, dass alles so bleiben könnte wie bisher. Denn ich spürte, dass du gingst. Mit jedem Herzschlag warst du einen Schritt weiter weg. Ich spürte, dass du immer und immer weiter weg gingst und ich dich irgendwann nicht mehr finden würde.

Ich wusste, dass die Zeit zu Ende ging. Unsere Zeit. Die alte Zeit.

Aber ich wollte es nicht wahr haben. Und so sah ich nicht. Sah so vieles nicht. Ich sah nicht, was ich hätte sehen sollen.

Ich sah nicht, dass du nicht erst jetzt gingst. Sondern schon seit langer, langer Zeit weg warst.

»Tut mir leid, wegen eben«, sagtest du. »Ich wollte nicht so garstig sein. Es ist nur, ich habe das Lager seit langem nicht mehr verlassen, und das ist ziemlich komisch für mich. Ja, auch für deinen alten Mentor. Schau' nicht so. Ich bin auch nur eine Katze.« Und du hast gelächelt und mich angestupst, so wie immer. »Komm. Es bringt nichts, hier zu sitzen und sich das anzuschauen, was hinter dir liegt. Vor uns ist genug, das wir meistern müssen.«

Und in diesem Moment machte ich einen Fehler. Einen großen Fehler.

Ich glaubte dir.

WarriorCats - Als ich glaubteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt