6. Als ich sah

23 6 0
                                    

»Wartet auf mich!« Das waren die Worte, die uns alle anhielten ließen. »Wartet auf mich!« Das waren die Worte, die dich wütend machten. »Wartet doch auf mich!«

Im ersten Moment waren wir alle zu verwirrt, um zu verstehen. Du warst der erste, der die Worte wiederfand, du warst der erste, der verstand, was gerade geschah. Ich dachte, das wäre einfach so gewesen, du hättest einfach so diese Kraft gehabt, ich dachte, es liegt an deiner Schnelligkeit.

Aber das stimmt nicht, nicht wahr? Du hast geahnt, dass er kommen würde. Du hast es gewusst, irgendwie. Es hat dich nicht überrascht.

Nicht genug.

Aber ich war zu geblendet, um das zu sehen. Ich hätte es bemerken müssen. Aber ich habe es nicht.

»Eichenpfote?« Deine Stimme war leise. Leise und bedrohlich, mit einem schneidenden Ton, so schneidend, dass ich im ersten Moment nicht hörte, dass du es warst, der da sprach. Aber warst das überhaupt noch du - der Kater, den ich kannte? Oder war es der Kater, von dem ich dachte, ihn zu kennen? »Was machst du hier?«, hast du gefaucht, du oder der andere Gerstenfeder. »Was fällt dir eigentlich ein, hier-«

»Ich muss mitkommen«, meinte Eichenpfote und reckte die Brust, auch wenn ich sah, dass sein Schwanz ängstlich hin und her schlug. »Das hat mir der SternenClan gesagt«, fügte er etwas leiser hinzu, etwas zitternder.

»Seit wann schickt der SternenClan Schüler auf eine Reise? Habt ihr keine Krieger, die das machen können?« Nachtseele schüttelte den Kopf. »Können wir weiter? Die Tage sind kurz.«

»Nicht mit diesem Jungen da.« Du hast die Krallen ausgefahren und nach dem kleinen Schüler geschnappt, nicht, um ihn zu erwischen, aber, um ihm Angst einzujagen. Und das allein war erschreckend genug. »Er ist nicht richtig hier! Wir bringen ihn in Gefahr. Und er uns.« Und was war dir in diesem Moment wichtiger?

»Der SternenClan hat gesagt, dass ich euch begleiten soll«, wimmerte Eichenpfote. »Ich - ich muss mitkommen.«

»Ach ja, und wieso?«

»Das - das weiß ich nicht-«

»Eben! Du hast hier nichts verloren! Geh' zurück in die Kinderstube, da warst du besser aufgehoben.« Du hast mit dem Schwanz geschnippt und dich abgewandt. Ich sehe es noch genau vor mir.

Denn das war der Moment, in dem ich eingriff.

»Lass ihn doch mitkommen, wenn er unbedingt will. Wenn wir ihn jetzt zurückschicken, dreht er sowieso auf halbem Weg um und folgt uns wieder.« Ich neigte den Kopf. »Und dann bringt er sich noch viel mehr in Gefahr als jetzt.«

Du hieltest inne. Was dachtest du in diesem Moment? Das, was du hättest sagen sollen - oder etwas ganz anderes? Wieso hast du damals nicht einfach gesagt, was geschehen war, wieso hast du nicht einfach die Wahrheit gesagt? Wieso warst du in diesem Moment nicht mutig genug, um die Worte auszusprechen, die schon so lange Zeit hätten ausgesprochen werden müssen?

»Von mir aus«, sagtest du stattdessen, »Aber es ist nicht meine schuld, wenn ihm etwas passiert. Ich habe ihn vorgewarnt.«

Wieso verstand ich damals nicht, was ich sah?

Oh, wieso musste ich nur so blind sein? Wieso war ich nicht misstrauisch und habe nachgedacht? Ich hätte darauf kommen können, selbst, oder ich hätte jemanden fragen können, ich hätte irgendetwas tun können, irgendetwas, als mich nur stumm zu wundern, stumm zu hoffen, dass es nur ein Tag war, nur das, was du gesagt hattest?

Wieso war ich nur so blind, dass ich nicht sah, wer du warst? Wieso war ich nur so blind, dass ich glaubte, ich könnte dir trauen, wieso war ich so naiv, dass ich deinen Worten glaubte?

Wieso habe ich dir nur so sehr vertraut, dass ich das, was gegen dich sprach, einfach nicht sehen wollte?

Weil du mir wichtig warst, Gerstenfeder. Du warst der gewesen, dem ich vertraute, nicht ich selbst. Du warst der gewesen, dem ich alles erzählt hätte, dem ich alles geglaubt hätte, dem ich mein Leben gegeben hätte, wenn er mich darum gebeten hätte. Du warst der, der mir so viel bedeutete wie meine Eltern, mehr noch, so viel wie ein Freund, ein wahrer Freund. Du warst der gewesen, zu dem ich nachts als Junges gelaufen war, wenn ich Alpträume hatte. Du warst der gewesen, dem ich erzählt hatte, wenn es mir schlecht ging, als Schüler, und du warst der, der alles über mich wusste, der, dem ich alles anvertraute, weil ich ihm vertraute. Du warst dieser eine. Du, nicht jemand anders.

Aber ich wünschte, es wäre jemand anders gewesen.

WarriorCats - Als ich glaubteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt