11. Als ich begann zu verstehen

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»Du hättest Eichenpfote helfen sollen«, sagte ich.

Und wir schwiegen.

»Du hättest ihm helfen sollen, nicht Nachtseele. Du«, sagte ich, »Nicht Nachtseele, sondern du. Du warst viel näher an ihm als sie.«

Und wir schwiegen.

»Wenn du ihm geholfen hättest, dann hätte sie sich nicht in Gefahr gebracht und wir wären jetzt nicht hier«, sagte ich.

Und du sahst mich an und wir schwiegen.

»Wieso bist du überhaupt hier? Du hast doch gar keine Botschaft vom SternenClan bekommen.« Ich sträubte das Fell, kniff die Augen zusammen und musterte dich und übersah alles, was wichtig gewesen wäre. Ich senkte die Stimme, sah betreten auf meine Pfoten. »Wieso wolltest du mitkommen? Unser Clan braucht dich zuhause, nicht hier.«

Aber du hast nicht geantwortet und in dem Moment wich ich zurück.

Schweigen.

»Du meinst, wir sollten dem SternenClan nicht trauen?«, fing ich das Thema von zuvor wieder auf, als wäre es ein Beutestück, das man ablegen und wieder aufnehmen kann, wie man will.

Vielleicht ist es das. Nur dass ich vergaß, dass dieses Beutestück noch nicht tot war.

»Ja.« Und du wandtest dich ab. Und wir schwiegen wieder. Beide.

Ich drehte mich weg, starrte in den Himmel. Die Sonne würde untergehen, bald, aber Nachtseele war nirgends zu sehen, nirgends zu hören, auch nicht zu riechen, sie war weg, weit, weit weg, zusammen mit Eichenpfote unerreichbar weit weg, so unerreichbar.

Alles war so weit weg. So unendlich weit weg. Und ich saß hier und kannte nichts von all dem hier, nichts - ich war allein, vollkommen allein in einem fremden Territorium, das noch keine Clankatze gesehen hatte, jemals, und ich war absolut allein mit einer Katze, die etwas vor mir verbarg, das ich nicht verstand, das ich nicht verstehen konnte, das ich nicht einmal wissen wollte und nicht einmal das wusste ich genau.

Ich war allein. Zum ersten mal in meinem Leben war ich allein.

Weißt du, wenn man noch in seinem Nest liegt, umgeben von allen anderen, in Sicherheit, dort, wo man schon immer war und wo man alles kennt - wenn man zuhause ist, dann kann man sich nicht vorstellen, wie es ist, allein zu sein. Wenn man zuhause ist, denkt man, man könnte auch gut irgendwo sein, man würde damit zurecht kommen, man würde es schaffen; wenn man zuhause ist, glaubt man, es wäre schon nicht so schlimm.

Warst du schon einmal allein gewesen? Von allen verlassen? In einer Welt, die du nicht kennst, weit weg von allem, was dir bekannt ist, irgendwo in einer Welt, in der du dich auf nichts verlassen kannst, weil dir buchstäblich der Boden unter den Pfoten weggerissen werden kann bei einem einzigen Fehltritt? Warst du schon einmal allein, vor dieser Reise?

»Was, wenn Nachtseele und Eichenpfote-?«, fragte ich leise.

Im Augenwinkel sah ich, dass du mich beobachtest.

Aber ich drehte mich nicht um.

»Sie sind noch hier. Sie sind in der Nähe. Sie können uns nur nicht riechen, dafür ist der Staub noch zu dicht.« Deine Stimme war kaum mehr als ein Hauchen. So voller Trauer. Trauer wieso? Ich konnte es nicht sagen. »Heute wird es nicht mehr nützen, uns zu suchen. Sie werden es morgen noch einmal versuchen. Du solltest jetzt schlafen.«

»Ich kann nicht schlafen.«

Du sahst weg, hast angesetzt, etwas zu sagen - und schwiegst.

»Vielleicht sagt der SternenClan mir etwas«, sagte ich und nickte.

»Ja, vielleicht.«

Stille.

»Gerstenfeder?«

Schweigen.

Ich weiß nicht, wieso ich mir ausgerechnet jetzt diese Frage stellte. Ich weiß nicht, wieso ich ausgerechnet jetzt überhaupt eine Frage stellte, ich weiß nicht einmal, ob ich es in diesem Moment wissen wollte.

Aber ich glaube, es war genau der richtige Moment für genau diese eine Frage.

»Von wem bekommst du die Prophezeiungen, die dir der SternenClan schickt?« Ich sah sie von der Seite an.

Aber du hast nicht geantwortet. Das heißt, du hast nichts gesagt - geantwortet hast du. Nur in einer anderen Sprache, in einer Sprache ohne Worte, in einer Sprache, die ich nicht erwartet hätte, nicht von dir.

Du hast geweint.

WarriorCats - Als ich glaubteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt