13. Als ich nicht verstand

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Eigentlich war es ein Wunder, dass ich es überlebte, aber ich glaube, das habe ich dir zu verdanken, Gerstenfeder. Dir, weil du mich nicht gleich hast springen lassen, dir, weil du mit mir zusammen gewartet hast, dir, weil du mich überhaupt erst vor der Lawine gerettet hast. Mein Leben habe ich dir zu verdanken, Gerstenfeder. Habe ich dir das schon einmal gesagt? Es fiel mir in diesem Moment auf, in diesem Moment, als ich die Erde unter meinen Pfoten spürte, das Gras unter meinen Tatzen und den lauten Wind in meinem Fell. Dass ich lebe, verdanke ich dir.

»Wo ist Eichenpfote?« waren deine ersten Worte, als wir den Weißen Wall erklimmt hatten. Nicht mehr, nicht weniger, nur »Wo ist Eichenpfote?«.

Und wir wussten es nicht.

»Eichenpfote? Eichenpfote!« Nachtseele sah sich um. »Ich habe ihn Kräuter suchen geschickt, er sollte längst wieder zurück sein...« Angst in ihrer Stimme. Aber ich war zu erschöpft, um sie zu bemerken. »Eichenpfote!«

Bellen.

Dann, absolutes Schweigen.

Gestank schlug uns entgegen.

»Füchse.« Du hast das Fell gesträubt. »Und Eichenpfote.« Du wolltest mich packen. »Renn zu dem Baum dort und klettere hoch. Siehst du ihn? Den Baum dort. Du schaffst das. Lauf!«

Und ich lief. Lief und lief und lief immer und immer und immer schneller, stolperte, ich fiel, rappelte mich auf, lief und lief und lief weiter, immer schneller, immer schneller, meine Muskeln schmerzten, der Baum war so weit weg, so unendlich weit weg, bis dorthin würde ich es niemals schaffen, ich ... ich...

Eichenpfote sprang an mir vorbei, in einem einzigen Satz war er auf dem untersten Ast, mit dem zweiten Sprung einen höher, drei Sprünge weiter sah er auf die Erde hinab und schrie mir etwas zu, aber ich ... ich...

»Lauf!« Du schriest mich an. »Jetzt lauf!«

Kläffen. Bellen. Fauchen. Wuffen. Kreischen. Aber ich ... ich...

Nachtseele sprang an mir vorbei. In einem einzigen Satz war sie auf dem untersten Ast, mit dem zweiten Sprung einen höher, drei Sprünge weiter sah sie auf die Erde hinab und schrie mir etwas zu, aber ich ... ich...

»Gerstenfeder!« Ich wirbelte herum und - schlug dem Fuchs in die Flanke, der dich am Genick gepackt hatte. »VERDAMMTER FUCHS, LASS MEINEN FREUND LOS!« Ich drosch auf ihn ein, meine Krallen zerfetzten sein Fell, er jaulte auf, ließ dich fallen, wollte mich angreifen, aber ich schlug ihm nur auf die Nase, schnappte nach seinem Ohr, zielte auf seine Augen, so viel Wut, so viel Angst, so viel Hass in mir, ich fiel ihn kreischend an, zerkratzte ihm das Gesicht, als eine Fuchsschnauze nach meinem Hals-

Ein heller Schatten stieß den Fuchs weg, schleuderte sich ihm entgegen wie schon zuvor, doch diesmal war er nicht, ein zweiter, dunklerer Schatten folgte ihm, ich folgte ihm, doppelte Krallen, doppelte Zähne stellten sich ihm entgegen. Ich verpasste ihm einen Schlag an den Hals, das rote Monster wich zurück, quiekend, winselnd, und rannte davon, der kleine Fuchs, ein junger, kleiner Fuchs, rannte jaulend zurück, in den Wald, um nie wieder zu kommen. Ein kleiner, heller Schatten folgte ihm, ganz in der Ferne, kaum zu sehen war er, kaum mehr als ein winziger, weiß-brauner Punkt am Rande des Schattens. Er sah mir entgegen, ich fühlte es, er neigte den Kopf, zuckte mit den Ohren, dieser kleine, weiße Punkt, und verschwand im Schatten.

Und ich starrte ihm nach.

»Bist du verrückt?!« Du schriest mich an. »Du hättest sterben können! Du bist verletzt und kämpfst gegen einen Fuchs! Mit einem einzigen Biss hätte er dich getötet! Und dann? Was hättest du davon gehabt?! Du kannst doch nicht einfach einen Fuchs angreifen, wenn du so schon kaum stehen kannst! Was bist du nur für ein Mäusehirn!«

Aber ich sah dir nur in die Augen und blinzelte. »Er hätte dich genauso gut töten können.«

»Natürlich! Und das rechtfertigt diese dämliche Handlung? Das ist doch etwas anderes! Du bist noch jung, du hast noch dein ganzes Leben-«

»Aber ich brauche dich, Gerstenfeder.«

Und wir starrten uns entgegen. Bis du den Blick abwandtest und dich weggedreht hast. Du sagtest nichts mehr, kein einziges Wort mehr dazu, als hättest du Angst, etwas zu sagen. Als wüsstest du nicht, was du sagen sollst.

Doch ich weiß, dass du es wusstest. Ich wusste, was du sagen wolltest, und was du gesagt hättest.

Aber du hattest Angst.

Du brauchst mich nicht, Waldherz‹, wolltest du sagen. ›Du brauchst mich nicht. Das bildest du dir nur ein. Du bist stärker, als du denkst, und ich bin schwächer, als du denkst. Du brauchst mich nicht. Ich brauche dich.‹

Doch du sagtest nichts. Du hast dich nur weggedreht und geschwiegen.

»Ich weiß, wohin wir gehen müssen.« Es waren nicht meine Worte, die meine Stimme sprach und doch kamen sie aus meinem Mund - seltsam hörte es sich an, seltsam und fremd und ich wusste nichts und gleichzeitig wusste ich es, das, was eine Rolle spielte, und das war genug. »Wir sollen dorthin.«

»In den Wald? Aber dort doch der Fuchs...!« Eichenpfote wimmerte leise. »Waldherz, stimmt das?«

Doch Waldherz wusste es auch nicht. Wusste es nur und ging heran und niemand widersprach ihm.

WarriorCats - Als ich glaubteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt