Kapitel 1

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MILLY

Mit einem erleichterten Seufzen sprang ich aus dem Zug und schulterte meinen Rucksack. Endlich war es geschafft! Ich war in der Innenstadt von Chicago! Ich war frei! Ich atmete tief durch und sah mich um. Es hatte zwar nur eine halbe Stunde gedauert, um mit dem Zug vom Haus meines Vaters Benny bis in die Innenstadt zu kommen, aber es hatte sich wie eine halbe Ewigkeit angefühlt. Aber jetzt war ich ja endlich da und konnte endlich zu meinem großen Bruder Kelly ziehen. Er war Lieutenant bei der Rüstgruppe 3 auf der Wache 51 und obwohl er dort schon jahrelang arbeitete, hatte ich ihn noch nie besucht. Das war seltsam, denn eigentlich interessierte mich die Arbeit auf der Feuerwache, wenn ich ehrlich war. Benny hatte auch sein ganzes Leben lang bei der Feuerwehr als Captain gearbeitet, aber er hatte mich immer von seinem Beruf fern gehalten - na ja, eigentlich von allem, was ihn anging. Wirklich gekümmert hatte er sich nie um mich und ich war eigentlich so gut wie immer auf mich allein gestellt gewesen. Mom war schon seit über fünfzehn Jahren wieder in ihrem Heimatort und besuchte mich nur zu Weihnachten oder an meinem Geburtstag und Kelly kam auch nur selten vorbei, da er eine Menge zu tun hatte. Aber jetzt war ich achtzehn und konnte tun und lassen, was immer ich wollte. Und mit dem Auszug aus Bennys Haus würde ich anfangen. Ich hatte keine Lust mehr auf ihn und jetzt würde ich erstmal nach Kelly sehen. Ich hatte mir den Weg zur Wache gut eingeprägt und setzte mich nun ohne zu zögern in Bewegung, um zum Bus zu laufen. Ich war wirklich gespannt darauf, Kellys Kollegen kennenzulernen. Es war eiskalt draußen, schließlich war es Winter, und der Schnee lag beinahe einen halben Meter hoch auf dem Gehweg. Mich störte die Kälte allerdings nicht, schließlich mochte ich den Schnee und den Winter. Besonders Weihnachten mochte ich gerne, auch, wenn dieses Fest bereits vorbei war. Ich stieg in den nächsten Bus ein, der in die richtige Richtung fuhr und ließ mich auf einen freien Platz fallen. Ich strich mir eine meiner blonden Strähnen zurück und sah neugierig aus dem Fenster. Ich konnte es kaum erwarten, endlich anzukommen! Ich hoffte, dass Kelly überhaupt da war und nicht auf einem Einsatz war! Aber selbst wenn doch, dann würde ich eben auf ihn warten. Das war ja auch kein Problem.
Eine viertel Stunde später stieg ich aus dem Bus aus und sah gegenüber bereits das rote Backsteinhaus, in dem sich die Feuerwehr befand. Die Toren der riesigen Einfahrt waren geschlossen, da es mittlerweile angefangen hatte zu schneien und man wohl verhindern wollte, dass es kalt in der Halle wurde oder Schnee hineingeweht wurde. Die Einfahrt davor war blitzeblank gefegt, aber das würde mit Sicherheit nicht lange so bleiben. Dafür schneite es schließlich viel zu heftig. Ich überquerte die Straße und ging auf eine kleine Stahltür neben der Einfahrt zu. Ich öffnete sie und seufzte erleichtert, als ich die warme Heizungsluft spürte. Wenige Meter vor mir saßen zwei Männer an einem Tisch und schienen Karten zu spielen. Einer der beiden wirkte sehr groß und hatte eine Glatze, der andere hatte einen kleinen Schnurrbart und sah so aus, als würden er oder seine Familie aus einem lateinamerikanischen Land kommen. Er trug ein Tuch, das um seinen Kopf gebunden war, doch als die Tür zufiel, sah er zu mir auf.
"Hi. Kann ich dir helfen?", fragte er höflich nach, worauf ich auf die beiden Männer zuging.
"Das hoffe ich doch. Ich bin Milly Severide, Kelly Severides Schwester. Ist er zufälligerweise da?", erwiderte ich, worauf die beiden Männer aufstanden und zu mir kamen.
"Du bist Milly? Severide meinte schon, dass du uns heute besuchen kommst. Ich bin Joe Cruz und das ist Capp, wir arbeiten für deinen Bruder. Setz dich, ich sehe mal, ob ich Severide irgendwo auftreiben kann", sagte der Mann, der wohl Cruz hieß. Er verschwand durch eine Tür im Inneren der Wache, während Capp mich bat, mich zu ihm an den Tisch zu setzen.
"Du bist also Severides kleine Schwester? Ich arbeite jetzt schon seit fast zehn Jahren für ihn und bis vor einigen Tagen wusste ich nicht mal, dass er überhaupt eine Schwester hat!", fragte er neugierig nach, ich lachte. Das passte zu Kelly.
"Wundert mich nicht, nichts für Ungut. So war er früher auch schon", antwortete ich. "Aber ja, ich bin seine kleine Schwester. Oder wie Kelly mich früher genannt hat, als er noch bei Benny gewohnt hat: Die nervige Kleine mit dem Atomkraftwerk im Hintern." Er lachte, als die Tür auch schon wieder aufging und Cruz mit Kelly reinkam. Ich lächelte meinen großen Bruder an und stand auf, um ihn zu umarmen. Er erwiderte meine Umarmung.
"Hey, da bist du ja Schwesterherz! Ich hatte dich erst später erwartet und wollte dich eigentlich mit dem Rüstwagen abholen!", meinte er.
"Tja, da war ich wohl mal wieder schneller", neckte ich ihn und ließ ihn langsam wieder los. "Ich hoffe, dass du auf Einsätzen schneller bist." Er lachte und schlug mir gegen die Schulter.
"Sehr witzig, Schwesterchen. Aber jetzt komm, ich stelle dir erstmal alle vor. Capp und Cruz kennst du ja schon", meinte er, ich nickte.
"Ja, Mister Cruz hat...", begann ich, doch wurde unterbrochen.
"Cruz reicht, du kannst uns alle hier duzen", sagte Cruz und lächelte mich an. Ich erwiderte sein Lächeln.
"Danke, das ist nett", meinte ich, während Kelly mir eine Hand auf die Schulter legte.
"Dann komm, ich stelle dir noch den Rest vor. Im Moment sind so gut wie alle drin und essen, aber sie werden sich freuen, dich endlich kennen zu lernen", sagte er und schob mich da auch schon auf die große Tür zu, die in die Wache führte. Wir kamen in einen großen, gemütlichen Raum, in dem eine Küche, ein großer Esstisch, eine Couch und ein Fernseher untergebracht waren. So heimisch hatte ich mir die Wache gar nicht vorgestellt, aber sie gefiel mir sofort. Eine ganze Menge Leute saßen im Raum verteilt und redeten aufgeregt miteinander, doch drehten sich dann zu uns um. Vom Alter sowie vom Geschlecht her war alles vertreten und ich musste unwillkürlich lächeln. Das würde ein toller Aufenthalt werden, das spürte ich jetzt schon.

Chicago Fire - Der Weg der Milly Severide Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt