Kapitel 10

282 8 0
                                    

OTIS

Milly blieb über Nacht auf der Wache. Sie war erst sehr spät von ihrem Spaziergang zurück gekommen und hatte kein Wort mehr über diesen Avery verloren. Ich wusste immer noch nicht, wer er war, aber Milly schien auch nicht darüber reden zu wollen, also beließ ich es dabei. Nachdem sie fast komplett durchgefroren in die Wache gekommen war, hatte sie sich auf das freie Bett neben meinem gelegt. Ich konnte ohnehin nicht schlafen, versuchte aber so zu tun, weil ich Milly unauffällig beobachtete. Sie warf sich unruhig unter der Decke hin und her und seufzte schließlich gereizt. Sie setzte sich auf, rieb sich die Augen und warf die Decke beiseite.
"Milly? Ist alles in Ordnung?", fragte ich nach und setzte mich ebenfalls auf, worauf sie mich ansah.
"Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken", sagte sie und strich sich eine ihrer blonden Strähnen zurück.
"Hast du nicht, ich war noch wach", wandte ich schnell ein. "Geht's dir nicht gut? Du siehst... besorgt aus." Sie nickte schnell.
"Na klar, es ist alles in Ordnung. Ich kann nur nicht richtig schlafen, das ist alles. Ich gehe nur noch mal ein bisschen an die frische Luft und trinke einen Tee", beruhigte sie mich schnell und stand auf. Ich stand ebenfalls auf.
"Ich begleite dich, ich kann nämlich auch nicht schlafen", erwiderte ich.
"Sicher?", fragte sie unsicher nach, ich nickte.
"Klar. Außerdem hätte ich auch Lust auf einen Tee", antwortete ich ihr, also gingen wir zusammen in die Küche, wo Milly zwei Tassen für uns aus einem der Schränke nahm. "Wo warst du vorhin eigentlich? Wir haben uns alle tierische Sorgen gemacht! Dawson und Brett sind sogar die nähere Umgebung nach dir abgefahren!" Sie sah mich an und zog die Augenbrauen hoch, während sie etwas heißes Wasser aufsetzte und ich die Teebeutel aus dem Schrank holte.
"Ach ja? Tut mir leid, ich war einfach nur spazieren", erwiderte sie und zuckte die Schultern.
"Nur spazieren? Du warst stundenlang weg!", hakte ich noch einmal nach.
"Na ja, ich habe eben über eine ganze Menge nachgedacht, ist nicht so wild. Es geht mir ja gut und es ist auch nichts passiert, du musst dir keine Sorgen machen, wirklich nicht", beruhigte sie mich schnell und nahm mir einen der Teebeutel ab. "Und solltest du nicht lieber noch ein bisschen Schlaf bekommen, falls ein Einsatz reinkommt? Ich will nicht dafür verantwortlich sein, wenn du total übermüdet auf einen Einsatz gehst und möglicherweise verletzt wirst!"
"Bist du nicht, ich bin öfters nachts wach", beeilte ich mich zu sagen. Solange Milly in meiner Nähe war, würde ich generell nicht schlafen können, aber das musste ich ihr ja nicht sagen. Das war definitiv nicht der beste Zeitpunkt dafür.
"Na gut, in Ordnung", willigte Milly ein und zuckte die Schultern, bevor sie uns zwei Tassen mit heißem Wasser eingoss. Wir tunkten unsere Teebeutel ins heiße Wasser, bevor wir uns damit an den Tisch setzten. Milly drehte währenddessen unschlüssig ihre Tasse in den Händen und starrte nachdenklich auf das Holz.
"Worüber denkst du nach?", fragte ich und musterte sie. Sie sah mich an und schüttelte dann den Kopf, während sie ein unschuldiges Lächeln aufsetzte, das auf gar keinen Fall ehrlich war.
"Ach, über Nichts", wehrte sie schnell ab.
"Nichts? Für nichts siehst du aber ziemlich betrübt aus! Ist es wegen Avery?", fragte ich neugierig nach, sie seufzte.
"Du gibst wohl nie auf, was? Aber ja, es ist wegen Avery. Ich werde aber nicht mit dir darüber sprechen, ja?", erwiderte sie, ich nickte und biss mir auf die Lippe. Ich hatte sie nicht wütend machen wollen.
"Ja, schon gut, tut mir leid. Ich bin nur sehr besorgt. Liegt wohl in der Natur eines Feuerwehrmannes, anderen helfen zu wollen und sich Sorgen zu machen", beeilte ich mich zu sagen, worauf sie lachen musste.
"Ja, das kann sehr gut sein", stimmte sie mir zu und strich sich eine ihrer Strähnen zurück. "Wollen wir unseren Tee draußen trinken? Ich beobachte nachts so gerne die Sterne - und wenn wir keine sehen, dann beobachten wir eben den Schnee." Ich nickte und stand auf.
"Gerne, lass uns ans Tor gehen", stimmte ich zu und ging dann mit Milly hinaus in die Halle. Ich öffnete das Tor und zusammen lehnten wir uns an einen der Pfeiler der Einfahrt. Schweigend tranken wir unseren Tee und beobachteten gemeinsam die Sterne, die immer mal wieder hinter einzelnen Wolken verschwanden, nur, um gleich wieder hell aufzuleuchten. Es hatte aufgehört zu schneien, aber der Schnee lag trotzdem noch recht hoch an den Seiten der Einfahrt. Wahrscheinlich würde ich den später wieder wegfegen müssen, das blieb ja eigentlich immer an mir hängen. Na ja, mit etwas Glück hatte Milly ja Lust mir zu helfen. Dann müsste ich es wenigstens nicht alleine in dieser Eiseskälte machen. Schweigend sahen wir also den Sternen zu und nippten währenddessen ab und zu mal an unseren Tees.
"Da ist sie ja." Milly zuckte erschrocken zusammen und ließ beinahe ihre Tasse fallen. Ich sah auf und bemerkte einen Jungen in Millys Alter, der braune Haare hatte, die unter seiner Mütze hervorfielen. Milly machte einen erschrockenen Schritt zurück, und man musste wirklich kein Genie sein, um zu kapieren, dass das wohl dieser Avery war. Ich stellte meine Tasse zur Seite und schob Milly sofort beschützend hinter mich.
"Verschwinde", fuhr ich ihn an, worauf er die Augenbrauen hochzog und einige Meter vor uns stehen blieb.
"Sagt wer? Ich kann zu Milly gehen, wann immer ich will!", knurrte er gereizt und sah Milly an. Seine Augen wirkten irgendwie... tot, und beinahe schon schwarz. Ich konnte gut verstehen, dass Milly Angst vor ihm hatte, dieser Typ war wirklich seltsam und irgendwie Furcht einflößend.
"Ich sage das. Also hau ab", fauchte ich, während Milly ängstlich nach meiner Hand griff und sie drückte.
"Keine sehr nette Art, einen Gast in der Feuerwache zu begrüßen", knurrte er. "Milly, komm her. Wir müssen reden - sofort."
"Sie redet jetzt nicht mit dir, also verschwinde! Wenn du kein akutes medizinisches oder feuertechnisches Problem hast, dann verschwinde endlich!", widersprach ich ihm hart. "Wir müssen wieder rein, du bleibst hier draußen!" Damit zog ich Milly in die Wache und schloss das Tor hinter uns, damit Avery uns nicht folgen konnte. Ich sah Milly an, die immer noch unter Schock zu stehen schien. "Milly, war das Avery? Wieso ist er hier? Was will er von dir?"
"Ich..." Sie sah unsicher auf den Boden, bevor sie einen Schluck von ihrem Tee nahm und dann tief durchatmete. "Ich gehe ins Bett." Bevor ich etwas sagen konnte, stellte sie ihre Tasse ab und lief zurück in den Schlafraum. Was sollte das denn? Wieso sagte sie mir nicht, was los war? Ich wollte ihr doch nur helfen!

Chicago Fire - Der Weg der Milly Severide Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt