Kapitel 6

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Leider musste ich aus schulischen Gründen das Telefonat mit Lisa um ein paar Tage verschieben. Die Lehrer mussten uns natürlich gleich in der ersten Woche mit Tests quälen. Nun war es Freitag, und seitdem ich es beschlossen hatte war ich den anderen aus dem Weg gegangen. Ann hatte versucht einfach so weiterzumachen, nachdem sie mich so offensichtlich angelogen hatte, doch das konnte und wollte ich nicht zulassen. Mit ganz normalen Themen wollte sie von der Situation ablenken aber ich war weggegangen. Erstaunlicherweise plagte mich danach nicht einmal das schlechte Gewissen, allerdings war seit diesem Tag auch die Stimmung im Keller verschwunden. Stimmung im Keller und alle belügen mich, na toll ! Auch dieser Freitag, der so vieles verändern sollte, begann ganz normal mit einem Frühstück und dem alltäglichen Gang zur Schule. Meinen Bruder hatte ich immer noch nicht auf sein Playerverhalten am ersten Schultag angesprochen aber das hatte ich mir fest vorgenommen. Nun stand ich also recht einsam vor dem Klassenraum und wartete auf die Lehrerin, da wir mal wieder Englisch hatten. Die Clique hatte mittlerweile akzeptiert, dass ich Abstand brauchte und sauer auf sie alle war. Endlich kam Ms. Miller und schloss uns den Raum auf. Die erste Stunde verging nicht gerade schnell, da nichts Aufregendes geschah, das änderte sich dafür aber in der zweiten Stunde. Die Klassenlehrerin setzte tatsächlich sogar bei älteren Schülern auf Stationsarbeit. Das hieß, sie hatte überall im Raum verschiedene Übungszettel verteilt damit wir die gelernte Grammatik erneut anwenden konnten. So kam es, dass Jayden und ich gleichzeitig auf einen Stapel Arbeitsblätter zusteuerten. Er sagte kein Wort, steckte mir jedoch einen kleinen Zettel zu. Ms. Miller bekam davon nichts mit. Wieso um Himmels Willen macht der das  ?!  Zurück an meinem Sitzplatz überlegte ich weiter. Sollte ich den Zettel aufklappen und die Nachricht lesen oder Jayden wie in den letzten Tagen ignorieren und das Stück Papier in den Müll werfen ? So ging es eine ganze Zeit hin und her in meinem Kopf, bis ich schließlich beschloss, die Nachricht zu lesen. Immerhin würde ich ja nicht darauf eingehen müssen und könnte diesen Lügner auch im Nachhinein noch verachten. Dabei wolltest du vor ein paar Tagen noch mit ihm zusammen sein, musste ich zwangsläufig denken. Irgendwie gelang es mir, diese Überlegung in den Hintergrund meiner Gedanken zu verfrachten. Schließlich faltete ich das Papier auseinander. In sauberer Schrift standen nur wenige Zeilen auf dem Zettel geschrieben :


In der ersten großen Pause ,draußen ,in dem kleinen Wald vor der Mensa, warte ich auf dich. Wir müssen reden.


Man konnte das nur einen Schock nennen. Sogar die Lehrerin sah mich fragend und besorgt an. Den Zettel hatte sie immer noch nicht bemerkt. Mir musste die Verblüffung ins Gesicht geschrieben stehen. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber das war es garantiert nicht gewesen. Worüber wollte er denn reden ? Wollte er sich entschuldigen ? War er bereit, mich in das Geheimnis, das alle aus dieser "Sache" machten, einzuweihen ?  Meine Neugierde ließ erst gar keinen anderen Gedanken zu, als mich auf die Verabredung einzulassen. Allerdings hätte ich mir an dieser Stelle gewünscht, die Zeit wäre langsamer vergangen. Dann hätte ich in Ruhe nachdenken können. Dieser Gefallen wurde mir jedoch nicht getan. Wieso auch, seit ein paar Tagen lief nichts mehr, wie ich es wollte. Schließlich gongte es und ich packte meine Sachen zusammen. Währenddessen mied ich Jaydens Blick, den ich stechend in meinem Nacken zu spüren glaubte. Ich verließ als eine der letzten den Raum. Nach nur einer Schulwoche fand ich mich nun schon ganz gut zurecht und brauchte nicht lange, bis ich meine Tasche vor unserem Kunstraum abgestellt hatte und ein bisschen später das Außengelände betrat. Jayden stand wie vereinbart in dem Wald vor der Mensa. Die Sonne tauchte den Boden in einen goldenen Schimmer und alles erschien freundlicher als im Regen der letzten Tage. Die Augen des Jungen strahlten vor Freude. Also war er sich wohl nicht sicher gewesen, ob ich kommen würde. Jedenfalls kam er ohne Umschweife zur Sache. " Weißt du, ich wollte mich dafür entschuldigen, dass ich neulich so schnell im Haus verschwunden bin." ERNSTHAFT ? DAFÜR entschuldigte er sich ? Das war nichts im Gegensatz dazu, dass er mir nichts über dieses Geheimnis erzählte. Wollte er auch nur vom eigentlichen Thema ablenken ? "Gut, aber könntest du mir bitte mal erzählen, was hier gespielt wird ? Ann hat mich neulich ganz offensichtlich angelogen, wegen einer Sache in der ihr anscheinend alle ganz tief drinsteckt. Ich glaube also zu Recht, dass ihr mir etwas verheimlicht, über das ihr sonst ohne mich immer reden würdet. Ich dachte ich könnte euch vertrauen ! Insbesondere dir und Ann !" Stille. Ein paar fast unendliche Sekunden lang sagte keiner etwas. Bis Jayden erneut sprach. " Weißt du... das ist alles sehr kompliziert." Sofort konterte ich. " Nein, ich weiß nicht ! Was ist denn bitte so kompliziert ? Versucht es doch einfach zu erklären ! " Wieder blieb es lange still. Nur diesmal schien das Gespräch beendet zu sein. Jayden wollte mich also nicht einweihen.


Wenn ich gedacht hatte, die erste Pause war schlimm gewese, dann war die zweite Pause der Horror. Ich saß alleine auf einer der vielen Holzbänke, als eine kleine Gruppe aufgetakelter Mädchen in meinem Alter auf mich zukam. Die Anführerin hätte einen Wer- guckt-am-arrogantesten ?-Wettbewerb gewinnen können. War ja klar, ich hatte mich schon gewundert, warum ich nach einer Woche noch nicht die Zicken dieser Schule kennengelernt hatte. Und schon fing Miss perfect an zu sprechen : "Hey neues Mädchen, du warst doch vorhin mit Jayden unterwegs, oder ?". Natürlich wusste sie die Antwort schon. Die selbe affektierte Stimme, die mich bei Melissa immer würgen lassen hatte. Darauf hätte ich verzichten können. Solche Mädchen waren immer nur gemein. Sie wartete keine Antwort ab. " Ich wollte dir nur sagen, dass er eine Freundin hat, bevor er dir später noch mit der Nachricht das Herz bricht. Julia hier", sie deutete auf ein Mädchen hinter sich, " ist das nämlich auch passiert." Wieder wartete sie keine Antwort ab, sondern ging einfach davon. Sollte ich das glauben ? Vielleicht wollte Jayden mir das gerade eben sagen ? Immerhin hatte diese Julia aufrichtig gewirkt und ich hatte geurteilt, bevor überhaupt jemand etwas gesagt hatte. Was für eine niederschmetternde Nachricht. Jayden hatte also tatsächlich eine Freundin. Wieso erzählte er es mir dann nicht ? Im nächsten Moment wurde meine Aufmerksamkeit auch schon auf zwei Personen gelenkt. Wenn man vom Teufel spricht... oder eben denkt. Jayden stand tatsächlich mit einem Mädchen nicht weit entfernt vom Wald. Sie umarmten sich kurz, bevor sie in das Schulgebäude ging und er zu unserer Clique zurückkehrte, die abseits stand. Das bestätigte natürlich alles. Ich musste sogar zugeben, dass das Mädchen echt hübsch war. Wie konnte ich nur glauben, so jemand wie Jayden wäre Single ? Natürlich machte mich das extrem traurig, ich hatte gerade erst begonnen, etwas für ihn zu empfinden.

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