Kapitel 4: Heiraten ist wie... Kuchenbacken.

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Vier Tage sind vergangen und das Leben der Familie Braun vergeht wie im Fluge. Rosalinde und Margaret räumen den Tisch ab, nachdem ihre jüngeren Geschwister gespeist und getrunken haben, ehe beide sich auf der Eckbank niederlassen und nach der kräftezehrenden Arbeit auf dem Acker etwas Ruhe suchen. Bei Brot und Käse spekuliert Rosa: „Was hältst du davon, wenn wir einen Esel kaufen? Oder ein Maultier? Das ist nicht so teuer wie ein Pony.", „Für was brauchen wir einen Esel?", „Damit du nach Bree kommst.", erklärt sie und schmiert sich hauchdünn die Butter auf die Brotscheibe.

Margaret schüttelt nur den Kopf: „Ich lass nicht zu, dass wir unser Erspartes aus dem Fenster werfen für einen Esel. Weißt du wie stur die sind? Lieber geh ich zu Fuß.", „Das sagst du so einfach. Es ist ein Wunder, dass du nicht krank bist. Und wir können es uns nicht leisten, dass du ausfällst. Schließlich sind wir auf das Geld angewiesen.", und schneidet ihrer älteren Schwester eine dünne Scheibe Käse herab.

Unbekümmert meint die Älteste: „Wie du siehst, bin ich nicht krank. Es ist also nicht nötig, dass wir einen Esel kaufen.", und schiebt sich genüsslich den hausgemachten Käse in den Mund. „Na schön. Aber dafür suchst du dir eine Mitfahrgelegenheit nach Bree. Ansonsten lass ich dich nicht aus dem Haus.", „Das kommt nicht in Frage.", erwidert Margaret schnippisch und reißt ihr das Käsemesser aus der Hand, „Du weißt, was mir damals passiert ist.".

Eilig erhebt sie sich von der knarzenden Bank, wandert mit ihrem Geschirr zur Spüle hinüber. Margaret erinnert sich ungern daran, als ein Haufen von alten Männern ihre Gutmütigkeit missbraucht haben. Letzten Winter fror sie sich auf ihrem Weg nach Bree die Füße ab, weswegen sie eine Gruppe von älteren Herrschaften bat, für die letzte Wegstunde auf ihren Wagen aufzuspringen. Doch sie ahnte nicht, dass die Männer für ihre Mitreise eine Gegenleitung verlangte. Eine Gegenleistung der besonderen Art. Zum Glück ist sie rechtzeitig vom Wagen gesprungen und den Rest der Strecke mit tränenbenetzten Gesicht nach Bree gelaufen. Seither bittet Margaret keine Fremden um Hilfe und trägt ein Küchenmesser bei sich – für den Fall der Fälle. Diese Erfahrung hat das junge Fräulein aus dem Auenland geprägt, nicht ein weiteres Mal den gleichen Fehler zu machen und blind irgendwelchen Durchreisenden zu vertrauen.

Für Margaret ist das Thema abgeschlossen. Tüchtig wäscht sie das Geschirr ab, bis es plötzlich an der Tür klopft. Rosalinde erhebt sich sofort von der Eckbank: „Erwartest du jemanden?", „Nein...", entgegnet sie und lässt alles Stehen und Liegen, um ihrer Schwester zur Haustür zu folgen. Wieder hämmert eine Faust gegen die türkisblaue Holztür, die Rosalinde öffnet und erschrocken feststellen muss, dass es sich um ihre Tante Lily Eichler handelt. Die Besucherin schließt ihren gelben Sonnenschirm und lacht: „Ach, meine Lieben, einen wunderschönen Guten Morgen! Was für ein Tag!". Ihr rotbäckiges Gesicht schimmert im Licht der goldenen Vormittagssonne. Natürlich sind die Schwestern nicht unhöflich und bitten ihre Tante herein, wohlbewusst, dass ihr Kommen einem besonderen Anlass zugrunde liegen muss. Denn selten führt es Tante Lily herab in das Tal zum heruntergekommenen Bauernhof ihres Schwagers.

Rosalinde führt ihren Gast in das Gesellschaftszimmer, doch unterm Gehen bleibt Lily ständig stehen und reckt ihren Kopf in jeden Raum, auf der Suche nach einer bestimmten Person: „Wo steckt denn euer Vater?". Rosa wirft einen besorgten Blick zu ihrer Schwester, die sofort dazwischen schreitet: „Papa ist noch auf dem Feld. Leider wissen wir nicht, ob er vorm Mittagessen zurückkommt.". Eine gewiefte Ausrede für das vernachlässigende Verhalten ihres Vaters, der noch immer nicht von seinem gestrigen Besuch im Grünen Drachen zurückgekehrt ist. Aber das können sie ihrer gut situierten Tante nicht sagen, die aus ihrer Tasche einen Handfächer zieht und aufspannt. Beiläufig nickt Lily den Kopf, während ihre neugierigen Augen durch das bäuerliche Gesellschaftszimmer wandern. Ihrem Gesichtsausdruck ist abzulesen, dass sie sich inmitten der spärlichen Einrichtung unwohl fühlt, was Margaret nahezu zur Weißglut treibt. Keine Sekunde länger erträgt sie ihre herablassende Miene und weist ihr den gemütlichen Sessel zu: „Setz dich doch.". Rosalinde, die noch eben in der Küche stand, kehrt mit einer zusammengebastelten Käseplatte zurück,die sie auf dem runden Wohnzimmertisch abstellt und neben Margaret auf der federnden Couch Platz nimmt.

Fromm verschränken beide ihre Hände auf dem Schoß und beobachten die seltene Besucherin, die genüsslich vom selbstgemachten Käse kostet und wie ein Wasserfall plätschert: „Es ist eine Schande, dass wir uns so lange nicht mehr gesehen haben, wo ich doch nur ein paar Straßen weiterwohne... wirklich eine Schande. Seit ich verheiratet bin, habe ich viel zu tun. Da bleibt leider nicht viel Zeit für solche Unternehmungen. Aber umso schöner ist es meine Lieblingsnichten anzutreffen. Seit meinem letzten Besuch seid ihr richtig in die Höhe gewachsen. Was macht das Leben? Wie geht es euren Geschwistern? Und wo ist eigentlich der kleine Theobald? Ach... vor Aufregung kann ich mich gar nicht beherrschen. Ich rede wieder zu viel, entschuldigt.". Ja, Tante Lily ist ein seltener Gast, aus gutem Grunde. Seit ihrer Vermählung in die wohlhabende Familie Eichler hat sie den Kontakt zur Familie ihrer verstorbenen Schwester gänzlich gemieden, was Margaret nicht gestört hat. Sie hält nicht viel von dieser eingebildeten Pute, die sich zu solchen Gelegenheiten wie ein Pfau aufplustert und gerne mal den Bogen überspannt.

Schmatzend greift sie zur Tasse Tee und fragt: „Keine Scheu, meine Lieben. Erzählt mir etwas von euch. Gibt es bereits nette Herrschaften in Wasserau, die es euren hübschen Augen angetan haben?". Peinlich berührt beißt sich Margaret auf die Unterlippe und verkneift sich eine abfällige Bemerkung. Währenddessen findet Rosalinde schnell die richtigen Worte und erklärt: „Wir... wir alle sind noch ziemlich jung, Margaret ist jetzt erst 32 geworden. Außerdem sind wir nicht mit deiner Schönheit gesegnet. Ich hab eine zu große Nase, Olivia hat viel zu beharrte Füße und...", „Quatsch!", fährt Lily ihr ins Wort, „Das sind alles nur Ausreden! Zu schade, dass Erenfried nicht hier ist, ansonsten hätte ich ihm die Leviten gelesen. Er muss zu sehen, dass ihr unter die Haube kommt. Zum Glück bin ich hier und werde mich um diese Angelegenheit kümmern.", mit Blick auf ihre älteste Nichte.

Margaret senkt den Blick und verschränkt ihre Arme, während die Worte ihrer Tante auf taube Ohren treffen: „Wie kann es sein, dass ein so hübsches Mädchen wie unser Gretchen noch keinen Mann gefunden hat? Das ist alles die Schuld eures vermaledeiten Vaters. Seit dem Tod eurer Mutter ist Erenfried nicht mehr ganz bei Trost. Ihr braucht es mir nicht sagen, denn ich weiß, dass er immer im Grünen Drachen sitzt und sein Vermögen verzecht. Ihn interessiert nicht, dass er damit kein gutes Licht auf seine Kinder wirft, aber das könnt ihr mit euren hübschen Gesichtern wieder wettmachen. Nächste Woche gebe ich ein Fest zum 38. Geburtstag meines Gatten, dort wird auch der unverheiratete Wilibald Bolger sein, der sich sicherlich daran erfreuen wird, unsere reizende Margaret kennenzulernen.". Jene hört schon längst nicht mehr zu, sondern wartet darauf, dass der Sturm namens Lily Eichler an ihr vorbeizieht und endlich den Hof verlässt.

Aber da der Ältesten bewusst ist, dass Tante Lily nicht von selbst aufbrechen wird, klatscht sie in die Hände und meint mit unterschwelliger Verachtung: „Tut mir leid, Lily, aber wir haben einen Hof zu führen. Da bleibt leider nicht viel Zeit für solche Unternehmungen.", was Rosalinde unweigerlich zum Lachen bringt. Lily, die ganz verdutzt den Kopf schüttelt, gibt klein bei: „Ich hab das nicht böse gemeint, Liebes. Da ich weiß, dass ihr es nicht leicht habt, ist eine gute Ehe umso wichtiger für euch. Das ist keine Hexerei, Heiraten ist wie... Kuchenbacken. Ich will euch in guten Händen wissen, das ist das Mindeste, was ich für euch tun kann, nachdem... ihr wisst schon.".

Rosalinde wirft ihrer Schwester einen besorgten Blick zu. Margaret kann ihr Geschwätz allmählich nicht mehr ertragen. Die älteste Tochter steht auf: „Wenn du meinst.", bevor sie die Beherrschung verliert, und räumt die leergegessene Käseplatte weg. Sie muss den Raum verlassen oder sie droht vor Wut zu platzen. Währenddessen geleitet Rosalinde die Besucherin zur Tür. Als Lily Eichler ihren Rückweg zum Dorf antritt, verfliegt das aufgesetzte Lächeln von ihren Gesichtszügen und sie kehrt zurück in die Küche, wo sie Margaret entdeckt. Sie hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich von Tante Lily zu verabschieden, sondern stützt sich vor der Spüle ab und spricht: „Das ganze Jahr lässt sie sich nicht blicke und auf einmal, ohne Ankündigung, spaziert sie hier rein, frisst den Käse auf und will mir vorschreiben, wann und wen ich heiraten soll? Was erlaubt sie sich eigentlich?!". Margaret kann nicht glauben, welche Frechheiten sie ertragen muss, und dabei spart sie nicht an harschen Worten: „Also ich werde garantiert nicht zur Feier gehen. Nicht, wenn sie mich mit irgendjemanden verkuppeln will.".

Rosalinde, die mit besorgter Miene das Gesagte verfolgt hat, wendet ein: „Aber hat sie nicht irgendwo Recht?". Margaret dreht sich verwundert zu ihrer jüngeren Schwester um, lehnt sich an die Küchentheke und hört ihr aufmerksam zu. Aufgeregt spielt sich Rosa an ihrer Schürze, als sie sich erklärt: „Wir dürfen uns nicht vormachen. Eines Tages müssen wir den Hof verlassen, spätestens, wenn Theobald groß ist und die Landwirtschaft übernimmt. Wenn du mich fragst, will ich nicht bis an mein Lebensende hier versauern. Ich will leben. Und das gleiche rate ich dir.". Die Älteste senkt den Blick, während sie sich ihre Worte durch den Kopf gehen lässt. Rosalinde macht einen Schritt auf sie zu und fragt: „Hast du dir denn nie Gedanken um deine Zukunft gemacht? Wo du eines Tages hinwillst?".

Nachdenklich hält Margaret inne, bis sie über ihre Worte lacht. Es fällt ihr schwer, das zu sagen, aber es ist ihre Meinung, die sie ihrer jüngeren Schwester nicht vorenthalten möchte: „Solange unser Vater lebt, werde ich hierbleiben. Auch wenn er hundert Jahre alt wird, ich werde ihn nicht verlassen.". Diesen Entschluss hat sie am Sterbebett ihrer Mutter gefasst und niemand kann sie davon abbringen. Nicht einmal Rosalinde: „Du hast mehr verdient als das.", „Glaubst du Mutter hätte gewollt, dass alles so ist, wie es ist? Vater leidet. Und ich werde nicht diejenige sein, die ihn im Stich lässt.".

Mit diesen Worten verlässt Margaret die Küche und geht hinaus in den Stall. Sie braucht die Arbeit, um nicht traurig zu werden. Denn auch sie hat eine andere Vorstellung von ihrer Zukunft, aber will solchen Luftschlössern keinen Platz einräumen. Würde sie sich nicht für ihren Vater verantwortlich fühlen, würde sie genau wie Rosalinde von einem anderen Leben träumen. Aber ihre Bestimmung ist es den Hühnerstall auszumisten und den Acker zu bewirtschaften. Und der Gedanke, ihr Leben lang hier zu verbringen, treibt selbst der starken Frau Tränen in die Augen.

Der Höhepunkt des Tages ist ihr Vater, der soeben hinter der Böschung auftaucht und über den Weg schwankt. Margaret will gar nicht wissen, wie viel er dieses Mal getrunken hat. Oder besser gesagt, wie viel er dieses Mal ausgegeben hat. Er winkt seiner Tochter noch zu, ehe er über die Türschwelle ins Haus torkelt und beinahe zusammenbricht. Kopfschüttelnd schaut sie ihm hinterher, bis sie sich wieder ihrer Arbeit widmet und den Schubkarren zum Hühnerstall fährt.

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