Kapitel 11: Ein Beruhigungstee wäre ganz nett.

2 1 0
                                    

An diesem frühen Freitagmorgen steht sie in einem frisch gewaschenen, himmelblauen Kleid vor der runden Eingangstür von Beutelsend, klopft dreimal den beweglichen Ring des eisernen Türklopfers gegen das grüne Holz und stellt den schweren Koffer an der Schwelle ab. Lange ist Margaret nicht mehr so aufgeregt gewesen. Der erste Arbeitstag ist immer etwas Besonderes, weswegen sie es kaum erwarten kann, in ihren Aufgabenbereich eingewiesen zu werden. Was sie wohl alles erwarten wird?

Vorsichtig legt sie ihr Ohr an die Tür und vernimmt aus dem Inneren das Schlürfen von Hausschuhen. Im Eingangsbereich erscheint Herr Beutlin, der ihr ganz verschlafen im braunen Morgenmantel gegenübersteht. Schläfrig reibt er sich die Augen: „Guten... Morgen?", „Guten Morgen, Herr Beutlin. Ich hoffe, ich bin noch nicht zu früh, ich...", „Nein. Kommen Sie rein.", ganz schlaff bewegt er sich zurück ins Innere, wo er sich ermüdet am Küchentisch niederlässt.

Auch wenn Bilbo Beutlin es nicht zugeben möchte, denn er ist viel zu höflich, um einer Frau einen Fehltritt anzurechnen, weiß Margaret, dass sie an ihrem ersten Arbeitstag zu früh erschienen ist. Als die Sonne aufgegangen ist, hat sie sofort das Haus verlassen und ist Richtung Hobbingen gelaufen. Sie hat die ganze Nacht nicht richtig geschlafen, die Aufregung war zu groß, um ein Auge zuzudrücken. Und da war noch diese unsägliche Unterhaltung mit ihrer Schwester Rosalinde, die sie vor Herrn Beutlin gewarnt hat. Nur weiß sie, dass von ihm keine Bedrohung ausgeht. Sie trägt den Koffer hinein, schließt die Tür und eilt ihm hinterher, um für den Hausherrn ein erstklassiges Frühstück zuzubereiten.

Neben Spiegeleiern und Speck reicht Margaret ihm die Zeitung: „Gerade eingetroffen.". Mit einem Nicken bedankt er sich, schlägt die Seiten auf und vergräbt sein Gesicht hinter den Blättern, bis er vor Schreck die Zeitung niederlegt und empört ruft: „Das kann nicht wahr sein!". Margaret stellt sich an den Küchentisch und blickt verdattert auf die unzähligen Buchstaben: „Was ist mit ihm?", „Lesen Sie selbst, Fräulein Braun. Otho Sackheim-Beutlin hat ein neues Haus erstanden, nicht weit von hier... hoffentlich kommen sie nicht auf dumme Ideen und wollen mich besuchen.". Sie hält vorsichtig das dünne Zeitungspapier in der Hand und lacht aufgeregt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie tagtäglich zu Besuch kommen. Und wenn sie doch vor Ihrer Tür aufkreuzen sollten, dann sind wir einfach nicht da.", „Eine ausgezeichnete Idee, Fräulein Braun. Fast so ausgezeichnet, wie Ihr Frühstück.", während er mit dem Besteck das Spiegelei mundgerecht zerkleinert.

Margaret bedankt sich für das Kompliment, denn nicht jedem mundet ihre einfache Hausmannskost. Nachdem Herr Beutlin gefrühstückt hat, führt er sie durch das große Smial und weist sie in ihren Aufgabenbereich ein. Schließlich hält er im Gang inne, blickt aufgeregt auf den Boden und fragt mit gedämpfter Stimme: „Haben Sie bereits darüber nachgedacht, hier einzuziehen? Also, ich will Sie nicht dazu drängen, wirklich nicht, es ist nur ein Angebot und...", „Nur wenn es Ihnen nichts ausmacht.", stoppt Margaret seinen unerträglichen Redeschwall, der ständig in unangenehmen Situationen an den Tag tritt. Bilbo nickt und geleitet seine Haushälterin zu einem Zimmer am Ende des Gangs.

Als sich die Tür öffnet, betritt Margaret den Raum und will ihren Augen nicht trauen. „Es ist nicht sonderlich groß, aber dafür hat es ein Fenster, mit Blick auf das Tal. Eigentlich ist es ein Gästezimmer, aber ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus.", betont ihr Arbeitgeber, der gar nicht bemerkt, wie überwältigt seine Bedienstete an das Himmelbett tritt und die samtgrünen Vorhänge berührt. Das übertrifft jedes Schlafzimmer, in dem sie genächtigt hat. Bisher hat sich Margaret zuhause in Wasserau das Zimmer mit Rosalinde geteilt. Da ist kein Freiraum geblieben. Und nun ein ganzes Zimmer nur für sie? Mit dieser komfortablen Ausstattung? Unvorstellbar für Fräulein Braun.

„Gefällt es Ihnen?", fragt er besorgt nach, als sie sprachlos ihr neues Schlafzimmer bewundert. Margaret schenkt ihm ein aufrichtiges Lächeln und erwidert: „Es ist wundervoll. Danke.". Erleichtert faltet er seine Hände zusammen, aber da fällt ihm noch etwas ein: „Bevor ich es vergesse...", er bewegt sich hinüber zum Nachtkästchen und nimmt aus der Schublade ein verstaubtes Buch heraus, das er seiner Haushälterin überreicht: „Eine Abendlektüre, die ich Ihnen empfehlen kann. Falls Sie nicht einschlafen können.". Leise bedankt sie sich und blättert gedankenversunken durch die Seiten.

Herr Beutlin bleibt kurz in der Tür stehen: „Wenn Sie sich eingerichtet haben, dann können Sie mit dem Kochen anfangen. Ich habe heute einen Bärenhunger.". Als er sie endlich alleine lässt, klappt Margaret augenblicklich das Buch zu und legt es zurück an seinen vorgesehenen Platz ins Nachtkästchen. Überwältigt lässt sie sich auf die Matratze fallen, blickt gegen die Decke und ist froh, dass Bilbo nichts von ihrem Geheimnis erahnt. Bis jetzt hat sie es verschwiegen, aber die Wahrheit ist, dass Margaret nicht lesen kann.

Bereits am Frühstücktisch, als er ihr die Zeitung überreichte und sie aufforderte, selbst zu lesen, bekam sie kalte Hände. Oftmals hat sie es probiert, ihre belesenen Schwestern haben versucht, es ihr beizubringen, aber sie schaffte es einfach nicht. Ständig bringt Margaret die Buchstaben, die ihren Augen wie ein chaotischer Haufen aus unentzifferbaren Runen entgegenschlagen, durcheinander. Und wenn sie mühevoll ein paar Worte zusammengebracht hat, versteht sie im Nachgang nicht einmal den Inhalt des Gelesenen. Margaret schämt sich dafür und will es Herrn Beutlin nicht sagen, denn sie ist schließlich nicht hier, um ihre Zeit mit Lesen zu verbringen. Als Haushälterin hat sie einen Haushalt zu führen, erhebt sich vom Bett und bewegt sich umgehend in die Küche.

Während sie die Mahlzeiten zubereitet, die Teppiche ausklopft und den Kaminsims abstaubt, findet sie sich schnell in Beutelsend ein. Hingegen findet Bilbo immer wieder neue Möglichkeiten, seinen Tagesablauf zu gestalten. Neben ausgelassenen Spaziergängen ins Umland besitzt Herr Beutlin genügend Zeit, um ungelesene Briefe, die sich mittlerweile auf seinem Schreibtisch gestapelt haben, zu beantworten. Oder aber auch, um seinen Kopf in Büchern zu stecken und in die Erzählungen von Mittelerde einzutauchen. Ja, Bilbo Beutlin genießt sein Dasein als freier Hobbit. Doch wer glaubt, dass er alles machen kann, irrt sich gewaltig.

Fräulein Braun nimmt ihre Rolle als Haushälterin zunehmend ernst und hat schnell die Eigenheiten ihres Arbeitgebers erkannt, der ab und an in seinem Ideenreichtum seine angezündete Pfeife vergisst und sie stehen lässt. Dabei denkt er gar nicht daran, dass er nicht nur die Luft verpestet, sondern seine Gewohnheit im Haus zu rauchen sich an den Wänden bemerkbar machen wird. Margaret schreckt in ihren jungen Jahren nicht davor zurück, den älteren Herrn Beutlin zurechtzuweisen und hat mit ihm vereinbart, sein Hobby nach draußen in den Garten zu verlegen. Ihr Arbeitgeber nimmt ihr das nicht übel, denn dafür schätzt er viel zu sehr ihre Anwesenheit.

Schnell haben sich beide aneinander gewöhnt. Herr Beutlin gewährt ihr viele Freiheiten, zu denen auch gehört, dass Margaret an Wochenenden ihre Familie besucht und nach dem Rechten schaut. Doch stets kehrt sie mit einem erleichterten Lächeln zurück nach Beutelsend und leistet dem alleinstehenden Herrn Beutlin Gesellschaft. Und mit der Zeit verfliegt die anfängliche Zurückhaltung, höfliche Anreden fallen weg und aus einem distanzierten Arbeitsverhältnis wächst eine tiefe Freundschaft.

Nur nicht alle im Auenland meinen, dass zwischen Bilbo Beutlin und seiner Bediensteten Margaret Braun lediglich freundschaftliche Gefühle bestehen. Sie vermuten, dass sich hinter verschlossenen Türen und zugezogenen Vorhängen ganz andere Dinge abspielen, die über eine Freundschaft hinausgehen. Niemand heißt Herrn Beutlins enge Beziehung zur viel jüngeren Margaret gut, nicht einmal ihre eigene Verwandtschaft. Insbesondere Lily Eichler befeuert die verschwörerischen Theorien, indem sie trügerische Unwahrheiten in der Nachbarschaft verbreitet. Jene glaubt gesehen zu haben, dass Herr Beutlin vor ihrer Nichte auf die Knie gegangen ist, und wettet bereits mit anderen Damen, dass dieses Jahr noch eine Hochzeit stattfinden wird.

Tatsächlich ist Bilbo vor ihr auf die Knie gegangen und hat seine Pfeife in ihre Hand gedrückt, denn er musste die offenen Schnürsenkel seines rechten Schuhs binden. Dabei ahnten beide nicht, dass die Gesellschaft sie neugierig beobachtete und die Begegnung sofort in ein anderes Licht rückte, nur um neue Gerüchte zu spinnen und am regen Informationsaustauch teilzunehmen. Leider will keiner glauben, dass ihre gesamte Beziehung lediglich auf freundschaftlicher Fürsorge basiert, was sich Margaret jeden Abend einredet, wenn sie nach einem anspruchsvollen Tag zu Bett geht.


Fünf Wochen sind vergangen und Margaret kehrt gerade von einem langen Wochenende von ihrer Familie zurück an ihren Arbeitsplatz. Herr Beutlin hat ihr für ein paar Tage freigegeben, als ihr Bruder Theobald hohes Fieber bekommen hat. Aber da der kleine Junge mittlerweile wieder wie ein fröhliches Eichhörnchen durch den Garten hüpft, kann Margaret endlich wieder ihren Dienst antreten. Das Wochenende war lang, Rosalinde ist ihr stets aus dem Weg gegangen, lediglich Olivia hat ab und an mit ihr ein paar Worte gewechselt. Denn mittlerweile wissen ihre Geschwister nicht mehr, ob sie der Ältesten wirklich vertrauen können.

Als sie in Beutelsend eintrifft, entdeckt sie an der Eingangstür eine fremde, mannshohe Gestalt, die sie noch nie im Auenland gesehen hat. Er steht an der Tür und will nicht zur Seite weichen. Erst als Margaret sich räuspert, dreht er sich um und schenkt der Hobbit seine Beachtung. Höflich fragt sie: Entschuldigung, kann ich Ihnen helfen?", aber der alte Mann mit dem grauen Spitzhut schüttelt den Kopf: „Nein, Vielen Dank. Richten Sie Herrn Beutlin schöne Grüße aus.". Er marschiert mit seinem hölzernen Wanderstock an ihr vorbei, Margaret bleibt stutzig an der Tür stehen und beobachtet, wie er das Grundstück verlässt. Doch bevor er durch das Gartentor geht, hält er inne und fragt verwundert: „Arbeiten Sie für Herrn Beutlin?", „Ich bin seine Haushälterin.", erzählt sie. Mit einem Nicken resigniert er: „Das trifft sich gut. Er wird Sie in der kommenden Zeit brauchen. Einen schönen Tag noch.". Lächelnd wandert er den Weg zum Dorf hinab, während sie kopfschüttelnd den Schlüssel ins Loch steckt und die Tür zum Hügelhaus öffnet.

„Herr Beutlin? Ich bin's.", ruft sie ins Innere und nimmt ihren Mantel ab, „Warum stand da ein alter Mann vor der Tür? Wollte er irgendetwas von dir?". Ihr Arbeitgeber erscheint im Foyer und schaut befangen drein: „Ist er weg?". Margaret nickt: „Ja, er ist...", „Gut, das beruhigt mich.", fährt er ihr ins Wort und stapft ganz aufgedreht durch die Gänge. Ihr Bauchgefühl sagt, dass irgendetwas nicht stimmt. Besorgt folgt sie ihrem Hausherrn und fragt: „Wer war das?", „Nur Gandalf der Zauberer.", entgegnet Bilbo schnippisch und nimmt den Stapel Briefe zur Hand, mit dem er sich in sein Studierzimmer verzupft. Jedoch eilt Margaret ihm fassungslos hinterher: „Der Gandalf, der früher große Feuerwerke in die Luft geschossen hat? Der Gandalf?!", „Genau der. Aber jetzt ist er weg. Sollte er nochmal vor der Tür stehen, mach ihm nicht auf, ja?". Auch wenn sie nicht ganz versteht, warum er den Zauberer aus dem Weg gehen will, nimmt sie seine Anweisung hin. Sie fragt sich, was es mit diesen ungewöhnlichen Besuch auf sich hat. Wieso soll Herr Beutlin in der kommenden Zeit eine Haushälterin brauchen? Komisch.


Seit dem ungewöhnlichen Besuch eines Zauberers hat sich nichts Ungewöhnliches mehr in Beutelsend ereignet. Obwohl man Gandalf weit und breit in der Gegend nicht mehr gesehen hat, verlässt sich Bilbo nicht auf den alltäglichen Frieden, nein, er verkriecht sich die meiste Zeit über den Tag im Haus. Margaret macht sich zunehmend Sorgen um ihn, aber kann ihm die Angst nicht nehmen, solange sie nicht weiß, was Gandalf von ihm wollte.

Am frühen Nachmittag sitzt sie mit einem Stickrahmen im Gesellschaftszimmer und beobachtet aus dem Augenwinkel wie Herr Beutlin hereintritt. „Ich hoffe der Rinderbraten hat dir geschmeckt.", bemerkt sie, während ihre Nadel Stich für Stich in den Stoff geht. Bilbo nimmt gegenüber von ihr in dem Sessel Platz: „Sehr sogar. Deine Kochkünste werden immer besser.", kurz sieht sie auf und lächelt ihn an. Er legt die Hände auf seine Knie und fragt: „Du... warst heute nicht zufällig schon einkaufen?", „Ich wollte hernach noch gehen. Wieso? Willst du mich begleiten?", doch er schüttelt vehement den Kopf: „Nein! Ich... ich habe viel zu tun. Ich muss noch einige Briefe beantworten. Ich dachte, du könntest mir...", „Wenn du mich fragst, dann willst du dich nur vor dem Zauberer verstecken.", fährt sie ihm ins Wort und kann sich ein selbstgefälliges Grinsen nicht verkneifen.

Bilbo betont felsenfest: „Das stimmt nicht! Warum soll ich mich verstecken?!", sie legt den Stickrahmen auf den kleinen Abstelltisch und meint: „Warum? Naja, du schaust den halben Tag aus dem Fenster, anstatt nach draußen zu gehen. Du hast mir immer noch nicht erzählt, was er wollte.", „Nichts.", und er erhebt sich aus dem Sessel, will das Zimmer verlassen, aber dreht sich noch kurz um: „Gehen wir jetzt zum Wochenmarkt oder nicht?".

Seufzend steht auch Margaret auf und löst das bestickte Taschentuch aus dem kreisförmigen Rahmen. Sie begutachtet die einfache Stickerei, bestehend aus zwei Buchstaben. BB – die Initialen von Bilbo Beutlin. Ehe sie ihrem Arbeitgeber folgt, faltet sie das Taschentuch zusammen und freut sich, dass sie ihn dazu überredete, sie zum Wochenmarkt nach Wasserau zu begleiten. Er kann sich nicht ewig in Beutelsend verstecken.


Auf dem Weg zum benachbarten Wasserau bewahren Margaret und Bilbo einen weiten Sicherheitsabstand zueinander, als sie bereits von der breiten Öffentlichkeit beäugelt werden. Sie verlieren kein Wort, sondern verbleiben dabei, sich vehement anzuschweigen, auch wenn ihr einiges auf dem Herzen brennt, das sie bisher noch nicht angesprochen hat. Denn Margaret möchte unbedingt den Stand ihrer Geschwister besuchen, den sie vor einiger Zeit am Wochenmarkt eröffnet haben.

Am Marktplatz angelangt entdeckt sie ihre Schwestern an einem beschaulichen Tisch unter einer weißen Überdachung. Geplagt von der Sehnsucht nach ihrer Familie steuert sie ungefragt zum Gemüsestand, während Bilbo ihr folgt. Währenddessen entdeckt Olivia bereits ihre Schwester und winkt ihr erheitert zu. „Schaut mal, Maggie kommt.", bemerkt sie erleichtert, woraufhin Rosalinde erwidert: „Was du nicht sagst.", und wirft einen abschätzigen Blick auf das ungleiche Paar, das schnurstracks auf sie zukommt. Margaret kommt mit einem breiten Grinsen vor den beiden zum Stehen und begrüßt sie herzlich: „Wie schön, euch zu sehen.", gefolgt von Bilbo Beutlin, der zur Begrüßung reserviert die Hand erhebt.

Rosalinde steht der Missmut ins Gesicht geschrieben, als ihr der neue Arbeitgeber ihrer Schwester gegenübersteht. Aber anstatt mit ihnen ins Gespräch zu kommen, nimmt sie eine Kiste Blumenkohl in die Hand und stellt sie auf den Boden ab. Wenigstens wagt sich Olivia in eine Unterhaltung mit den beiden vor: „Und dich erst. Kommst du uns nächstes Wochenende wieder besuchen? Theo fragt die ganze Zeit nach dir.", „Mal schauen, wie es sich ergibt.", zuckt Margaret mit den Schultern und begutachtet die ausgiebige Ernte dieses Jahres. Neben Blumenkohl bietet sich ihnen auch rote Radieschen und kleine Frühlingskartoffeln, die in klobigen Kisten auf dem Tisch stehen.

Bilbo zeigt sich äußerst interessiert und fragt Rosalinde: „Wie viel verlangt Ihr dafür?", und nimmt einen Blumenkohl in die Hand, was Margaret mit besorgter Miene verfolgt. Auch wenn er lediglich versucht, sich bei ihrer Familie beliebt zu machen, brüskiert sich ihre Schwester mit einer herablassender Haltung: „3 Silberpfennig.", Margaret staunt nicht schlecht bei den hohen Preisen, die ihre Schwester für einen Kopf verlangt. Herr Beutlin lacht: „Ein stolzer Preis...", „Wollen Sie ihn oder nicht?", meint sie schroff. Er kramt in seinem blauen Staubmantel nach den nötigen Münzen, kauft ihr den Blumenkohl ab und legt ihn in den Einkaufskorb.

Am liebsten wäre Margaret für dieses unverschämte Verhalten ihrer Schwester in den Boden versunken. Bilbo nickt und meint zu seiner Haushälterin im Vorbeigehen: „Wenn du mich suchst, ich bin beim Fischer.", was wohl das Beste ist, angesichts Rosalindes tötenden Blickes. Als er sich außer Hörreichweite befindet, macht die Älteste einen Schritt auf ihre Schwester zu: „Musst du so unfreundlich zu ihm sein!", „Du kennst meine Meinung.", speist Rosa sie ab und sortiert kleinlich die Münzen in der Kasse, „Ich wusste gar nicht, dass ihr euch duzt.".

Empört stemmt die Älteste ihre Arme in die Hüften und fragt: „Ist das ein Problem?", „Ich weiß nicht, sag du es mir. Macht er dir Probleme?", „Was soll das schon wieder heißen?", „Naja, du verbringst viel Zeit mit ihm. Wenn du mich fragst, sieht das nach etwas ganz anderem aus.", „Das ist nicht dein Ernst... glaubst du etwa diesen Unsinn, den die Leute erzählen?", „Du hast ja keine Ahnung, Margaret! Wirklich keine Ahnung! Weißt du überhaupt, was sie über uns sagen?", „Nein, was sagen sie denn?", „Dass man sich vor den Braun Töchtern in Acht nehmen muss, die schmeißen sich an jeden Junggesellen ran!", „Hey!", grätscht Olivia entsetzt dazwischen.

Die Jüngere hat genug gesehen und stellt sich zwischen ihre Schwestern: „Seid ihr bekloppt? Fahrt mal runter, die Leute schauen uns schon an.". Aber das interessiert sie in keinster Weise. Rosalinde dreht sich um und verschränkt trotzig die Arme, während Margaret mit den Tränen zu kämpfen hat. Jene versucht ihre Schwester zu besänftigen und setzt an: „Was wissen sie schon, Rosa? Mit der Zeit wird das aufhören.", „Fünf Wochen, Maggie. Seit fünf Wochen reden sie über nichts anderes.", meint Rosalinde eingeschnappt, „Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich glauben soll.".

Am liebsten hätte Margaret ihre Schwester gepackt und sie wachgerüttelt. Seit wann interessiert sich Rosalinde für das Gerede der Leute? Seit wann hat sie das Vertrauen in die Älteste verloren? Aus ihrer Rocktasche kramt Margaret einen kleinen Beutel, den sie auf den Tisch des Standes legt und erklärt: „Ich hoffe, das wird euch reichen. Vielleicht müsst ihr dann nicht drei Pfennig für einen Kohlkopf verlangen.", und wendet sich ohne Verabschiedung von ihrer Familie ab.

Sie hat nicht erwartet, dass dieser Marktbesuch derartig ausartet. Auch wenn sie die Situation ihrer Geschwister nachvollziehen kann, muss sie sich die harschen Worte ihrer Schwester nicht gefallen lassen. Immerhin ist sie nicht zum Spaß die Haushälterin von Herrn Beutlin. Was hat Rosalinde nur gegen ihn? Aber bevor sie darüber nachdenken kann, muss sie mit Schrecken feststellen, dass es eine schlechte Idee gewesen ist, Bilbo allein zu lassen. Sie entdeckt jenen hinter der Brücke an der Seite von Lily Eichler, die ihm den Weg versperrt. Dieser Tag wird immer schlimmer.

Auch Bilbo hat nicht mit einer solchen Begegnung gerechnet, als er gerade die Brücke überquert und beinahe in die rundliche Lily Eichler hineingelaufen wäre, die ganz erfreut die Arme in die Luft hebt: „Herr Beutlin! Schön Sie zu sehen!". Verblüfft bleibt er stehen, holt tief nach Luft und nickt: „Guten Tag, Frau Eichler.", und lässt sich in einen kleinen Plausch verwickeln. „Ein schöner Tag, finden Sie nicht auch?", „Durchaus.", „Aber die Wolken schauen mich nicht gut an. Ich glaub, dass es heute Abend noch regnen wird.". Er zwingt sich zu einem aufgesetzten Lächeln und will an ihr vorbeigehen, aber sie stellt sich mit geschwollener Brust vor ihn: „Wohin des Weges? Wollen Sie mir etwa aus dem Weg gehen?", „Ich hab's eilig.", erklärt er aufgeregt.

Er räuspert sich und marschiert mit gesenkten Kopf den Hügel hinauf, aber die eifrige Lily Eichler lässt nicht locker und verfolgt ihn auf Schritt und Tritt: „Wirklich? Ach, das ist schade. Aber ich darf Sie wohl ein Stückchen begleiten, oder?", und hakt sich an seinem Unterarm fest, damit sie ihn etwas abbremst und mit ihm mithalten kann. Bilbo unterdrückt ein entnervtes Seufzen und grummelt: „Na schön.". Auch wenn er gerne eine solche Unterhaltung umgangen wäre, setzt Frau Eichler stets ihren Willen durch und fragt aus purer Neugierde: „Da wir ja unter uns sind... wie stellt sich meine Nichte in Ihrem Haushalt an? Kümmert sie sich auch gut darum, Herr Beutlin?", „Ich kann mich nicht beschweren.", antwortet er kurz angebunden.

Entnervt verdreht sie die Augen. Sie will sich mit einer solchen Antwort nicht zufriedengeben und bohrt nach: „Aber was ist mit Ihnen? Verstehen Sie sich denn gut mit Margaret?", „Aber ja. Sie kocht, räumt auf, leert den Briefkasten... alles, was zu den Pflichten einer Haushälterin dazugehört. Ich schätze sie sehr für ihre Dienste.". Er kann sich bereits denken, worauf sie hinauswill, aber will tunlichst vermeiden, dass er ihr Anlass gibt, den Gerüchten der Leute zu glauben.

Aber eine geborene Dachsbau lässt sich nicht einfach so abspeisen und flüstert leise: „Ich glaube, Sie verstehen mich nicht. Vielleicht muss ich mich deutlicher ausdrücken... finden Sie Gefallen an Margaret?". Sofort bleibt er stehen und reißt sich von ihrer klammernden Hand los. Wie kann sie es wagen, in aller Öffentlichkeit zu fragen, ob er eine Vorliebe für ihre Nichte hat? Ist ihr denn nicht bewusst, dass andere Halblinge, die ihren Weg kreuzen, davon mitkriegen?

Jedoch fällt ihr nicht in den Sinn, dass sie den Bogen überspannt. Im Gegenteil, sie fährt wie ein plätschernder Wasserfall fort: „Herr Beutlin, Sie können mir nicht vormachen, dass Sie meine Nichte lediglich eingestellt haben, damit sie Ihren Haushalt führt. Margaret ist ein hübsches Ding, verehrt von gehobenen Herrschaften wie Wilibald Bolger. Wie alt sind Sie nochmal? 51?", „Ich...", „Auch wenn es niemand gutheißt, kann ich Ihnen nicht verübeln, dass Sie Margaret zu sich ins Haus geholt haben. Sie sind ein Mann und auch ein Mann wie Sie ist auf der Suche nach seiner besseren Hälfte, die Sie glücklicherweise in Margaret gefunden haben. Mal unter uns... wann gedenken Sie ihr einen Antrag zu machen?".

Ihre Dreistigkeit will kein Ende nehmen. Bilbo schüttelt den Kopf und erklärt ihr klar und deutlich: „Ich muss mir das nicht bieten lassen... einen schönen Tag noch!", er dreht sich weg und will gehen, aber die aufdringliche Tante seiner Haushälterin eilt ihm hinterher: „Aber, Herr Beutlin! So warten Sie doch!", doch der jüngere Hobbit ist auf den Beinen wesentlich schneller und rennt davon.

Enttäuscht bleibt Lily stehen und sieht dem wohlhabenden Halbling hinterher. Zu ihrer Verwunderung taucht überraschenderweise Margaret neben ihr auf, die ihr den Vogel zeigt und zischt: „Was hast du jetzt schon wieder angerichtet!". Tatenlos hat sie mitangesehen, wie ihr Arbeitgeber die Flucht vor ihrer Tante ergriffen hat. Aber Frau Eichler kennt keine Einsicht und gesteht sich ihren Fehler, den aufrichtigen Herrn Beutlin bedrängt zu haben, nicht ein: „Was? Was soll ich denn gemacht haben?". Da Margaret erkennt, dass jeder Versuch, ihr etwas Verstand einzuhauchen, zwecklos ist, macht sie es Bilbo gleich und läuft davon. Hoffentlich will er sich nicht nach dieser Glanzleistung ihrer Familie entlassen, die schon oft genug für Probleme gesorgt hat.


Endlich erreicht auch Margaret Beutelsend, wo sie Bilbo im Garten auf der Hausbank antrifft. Sie bleibt erschöpft am Gartentor stehen und wispert atemlos: „Ich... ich weiß nicht, was ich sagen soll.". Jener faltet seine Hände zusammen und legt seine Stirn in Falten: „Was für ein Tag.". Das ist das Einzige, was er zu diesem Marktbesuch sagen kann. Erschöpft lässt sich Margaret neben ihm auf der Bank nieder und wischt sich über das Gesicht. Sie will sich gar nicht vorstellen, mit was Tante Lily ihn dieses Mal belästigt hat. Jedoch scheint Bilbo das nicht zu interessieren. Er hebt den Korb auf seinen Schoß, öffnet das Papier und zeigt ihr die frische Forelle: „Wenigstens haben wir etwas zum Essen.".

Margaret lacht: „Ist die auch wirklich frisch?", „Vermutlich.", und packt den Fisch wieder ein. Bilbo zwingt sich zu einem Lächeln und meint: „Ein Beruhigungstee wär jetzt ganz nett.", sie erhebt sich von ihrem Sitzplatz: „Ich setz gleich eine Kanne auf.", und bewegt sich in das Innere, während Herr Beutlin noch sitzen bleibt und die Aussicht genießt.

Jedoch beschäftigt ihn noch immer der Besuch des Zauberers, den er glücklicherweise am Wochenmarkt nicht angetroffen hat. Vielleicht hat Margaret recht. Er braucht sich nicht länger vor Gandalf verstecken. Mit Sicherheit ist er bereits über alle sieben Berge und sucht weiterhin nach einem Gefährten für ein Abenteuer. Zumindest hofft er das.

FrühlingsgefühlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt