Die ersten Sonnenstrahlen des Morgens blitzen durch das Fenster in das staubige Wohnzimmer herein und wecken Margaret aus ihrem wohligen Schlaf. Nur schwer lassen sich ihre Augendeckel öffnen, das warme Licht kitzelt ihre sommersprossigen Wangen, sie dreht ihren Kopf zur Seite und schwenkt ihren Blick durch die Umgebung, um zu bemerken, dass sie wohl gestern im Wohnzimmer ihres alten Zuhauses eingenickt ist. Es dauert nicht lange und die Bilder des letzten Abends holen sie ein, sodass sie die Hände auf ihr Gesicht legt und laut seufzt. Bilbo, die Zwerge, der Zauberer Gandalf, Thorin, ihre Schwestern Olivia und Rosalinde – Personen, die sie in den nächsten Stunden nicht sehen möchte.
Schläfrig reibt sie sich die Augen, beugt sich vor und streckt ihre Gliedmaßen, um vor Schmerzen das Gesicht zu verziehen, als sich ein Ziehen in ihren Waden bemerkbar macht. Sie ist lange nicht mehr so viel gerannt wie gestern Abend, als sie wie eine Verrückte durch die Räumlichkeiten von Beutelsend gehuscht ist und anschließend noch einen weiten Weg nach Wasserau zurückgelegt hat, um Olivia nach Hause zu bringen.
Als Margaret aufstehen will und ihren Blick zur Tür wendet, schreckt sie augenblicklich zurück und hält sich an den Lehnen des Ohrensessels fest. „Guten Morgen, Sonnenschein.", ertönt die rauchige Stimme ihres Vaters, der angelehnt im Türrahmen steht und sie beobachtet. Von allen Kreaturen hat sie im frühen Morgen nicht mit Erenfried gerechnet, der gierig seinen morgendlichen Tee mit wer weiß was drinnen schlürft, während er einen Fuß in das Gesellschaftszimmer setzt und meint: „Eine lange Nacht, was?", „Sag nichts...", grummelt seine älteste Tochter und erhebt sich von ihrem Schlafplatz.
Sie schleppt sich in die Küche und sucht ausgehungert nach etwas Essbarem. Glücklicherweise ist noch Brot und Milch da, was sie zum Frühstück zu sich nimmt. Erenfried ist ihr gefolgt und lässt seine Tochter nicht aus den Augen. Für gewöhnlich stört sie seine Anwesenheit nicht, aber sie kann es nicht ertragen, am frühen Morgen von einem elendigen Trunkenbold belagert zu werden. Als sie am Tisch sitzt, fragt sie neugierig: „Wo bist du gewesen?" – keine Antwort. Stattdessen grinst er in sich hinein und neigt den Kopf, woraufhin Margaret entnervt nuschelt: „Vielleicht will ich es gar nicht wissen.".
Brav stellt er seine leere Tasse in die Spüle, lehnt sich an die Theke und verschränkt die Arme: „Was machst du eigentlich hier? Arbeitest du nicht mittlerweile für Herrn Beutlin?", „Woher weißt du das?", „Man erzählt es sich im Grünen Drachen. Wie ich hörte, bist du seine Haushälterin.", und zuckt spielerisch mit den Augenbrauen. Entnervt verdreht sie die Augen und geht gar nicht auf seine Anspielung ein, sondern fragt ihn: „Und warum bist du hier? Sind dir die Silberpfennige ausgegangen?", „Was denkst du bloß von mir?", antwortet Erenfried mit einer Gegenfrage und wirft empört die Arme in die Luft.
Es ist äußerst anspruchsvoll, mit ihm eine anständige Unterhaltung zu führen, denn unangenehmen Fragen weicht er zumeist gekonnt aus. Stattdessen erzählt er seiner ältesten Tochter hocherfreut: „Der Grund, warum ich solange fort war, ist ein anderer. Ich habe ein Geschäft abgeschlossen.", „Was du nicht sagst.", sagt sie und führt das Glas Milch zu ihrem Mund, „Hat es sich gelohnt?", „Und wie. Ich bin ab sofort ein schuldenfreier Hobbit.", und strahlt wie ein Honigkuchenpferd.
Margaret verschluckt sich beinahe an der erfrischenden Kuhmilch, klopft sich auf die Brust und prustet: „Wirklich witzig, aber diesen Scherz kauf ich dir nicht ab.", „Wilibald Bolger hat meine Schulden bezahlt.", schießt es prompt aus ihm heraus. Überrascht runzelt sie die Stirn: „Was, ohne Gegenleistung?", „Der werte Herr Bolger ist nicht dumm. Wie jeder andere hat auch er seinen Preis...", und zieht aus seiner Hosentasche ein zerknittertes Stück Pergament, das er selbstüberzogen in die Luft hält, „...wir haben uns auf einen Tauschhandel geeinigt.".
Ein ungutes Gefühl beschleicht Margaret, die aufspringt und das unterschriebene Dokument an sich reißt. „So ein Schwachsinn...", sie versucht vergeblich die darauf verzeichneten Wörter zu entziffern, aber durch ihre Leseschwäche ist es ihr nicht möglich, den Inhalt des Vertrages zu erfassen. Ungeduldig verlangt sie von ihrem Vater zu erfahren: „Was steht da?", „Hättest du das Lesen gelernt, würdest du es wissen.", „Verkauf mich nicht für dumm. Jetzt sag schon, was hast du Wilibald Bolger versprochen?".
Eine unangenehme Stille erfüllt den Raum, denn Erenfried wird erst jetzt das Ausmaß seines Handels bewusst, als er in die besorgten Kulleraugen seiner Tochter blickt. Schwer schluckend antwortet er: „Er hat mich schon seit Monaten darum gebeten.", „Spuck's raus.", langsam nimmt er den Vertrag an sich, setzt seine Lesebrille auf die kurze Nase, räuspert sich, bevor er beginnt die Zeilen zu verlesen: „Die Vertragspartner Erenfried Braun und Wilibald Bolger haben am Hevenstag den 27. Astron 1341 A. Z vereinbart, dass Wilibald Bolger die Schulden von Erenfried Braun im Gasthaus ‚Grüner Drache' begleicht, wofür Wilibald Bolger im Gegenzug die älteste Tochter von Margaret Braun zur Frau nehmen wird. Die Vermählung muss binnen eines Jahres erfolgen, oder Erenfried Braun wird ohne Rücksichtnahme...".
Aber Erenfried kann gar nicht so schnell schauen, da hat ihm seine Tochter schon längst das Pergament aus den Händen gerissen. „Hey!", ruft er aus, aber ohne zu zögern zerreißt Margaret den Vertrag, von dem nur noch Fetzen übrigbleiben, die Stück für Stück zu Boden fallen. Sie weiß sich nicht anders zu helfen, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen, nur ihr Vater macht ihre Hoffnungen zunichte: „Das bringt nichts. Wir haben einen weiteren aufgesetzt, der bei...", „Halt die Klappe!", schreit sie und hält ihm drohend den Zeigefinger vors Gesicht, „Ich werde auf gar keinen Fall Wilibald Bolger heiraten! Nein! Das kannst du vergessen!".
Sie stürmt durch das Haus, findet in ihrer Raserei keinen Halt, während Erenfried aufgebraust seiner Tochter folgt und mahnt: „Du musst ihn heiraten! Ich habe Herrn Bolger mein Wort gegeben! Willst du etwa den Ruf unserer Familie in den Schmutz ziehen?". Margaret rennt ins Badezimmer und schreit in den Gang: „Als hättest du das nicht schon oft genug getan!!!", bevor sie laut die Tür zuknallt. Vorsichtshalber schließt sie die Tür ab, ehe ihr Vater auf dumme Ideen kommt und sie zum Anwesen der Familie Bolger zerrt, was sich als kluge Entscheidung erweist. Schon drückt Erenfried von der anderen Seite energisch die Türklinke hinunter, seine Faust hämmert gewaltig gegen das Holz, sodass sie ängstlich zurückweicht und sich am Waschbecken festhält.
„Margaret! Mach gefälligst die Tür auf!", auf gar keinen Fall wird sie ihn ins Badezimmer lassen. Nur über ihre Leiche. Ganz zerfahren kommt sie vorm Spiegel zum Stehen, stützt sich vom Waschbecken ab und lässt den Kopf hängen. Erenfried hat schon oft Mist gebaut, für den sie viel Zeit gebraucht hat, um ihn wieder auszubaden, aber dieses Mal hat er sich selbst übertroffen. Er trommelt gegen die Tür, bittet vehement um Einlass, ohne eine Sekunde darüber nachzudenken, was dieser Vertrag in ihr auslöst.
Margaret weiß, was Wilibald Bolger für sie empfindet. Es sind unbegründete Gefühle, die sie in ihm vor einem Jahr bei einem Volksfest erweckt hat (wohl angemerkt unbeabsichtigt). Die Hobbits feiern oft und laut, neben Musik und Bier, genießt man das Leben in all seinen Zügen, und wie es sich gehört tanzt man auch gerne. Als weit und breit niemand in ihrer Nähe gestanden hat, hat sich Margaret zu Wilibald bewegt und ihn unbedacht um einen Tanz gebeten. Ach, wie naiv sie doch war, zu glauben, dass das keine Folgen hätte. Mit Freuden hat er sie auf das Parkett geführt und sind sich nahe gekommen - der rege Körperkontakt, das fröhliche Lachen, der intensive Blickkontakt. Nur Margaret hat nie und nimmer gedacht, dass Wilibald ihre Nettigkeit mit Interesse verwechseln könnte. So ist es geschehen, dass er sich durch einen Tanz in sie verliebt hat.
Am selben Abend hat er ihr seine Liebe gestanden, was sie gar nicht nachvollziehen konnte und erst einmal gelacht hat. Nur aus dem Spaß wurde Ernst. Wilibald ist vernarrt gewesen, sodass er jede Gelegenheit genutzt hat, um ihr nahe zu sein. Und so sehr es Margaret auch versucht hat, seinen Annäherungsversuchen aus dem Weg zu gehen, ist sie ständig in diese unangenehmen Begegnungen gerutscht, wo sie verzweifelt nach einer Ausrede gesucht hat, um ihn abzuweisen. Nur Herr Bolger hat es nie verstanden, dass ihre Ausreden ein Hinweis auf ihr Desinteresse waren, im Gegenteil. Er hat sich dazu angespornt gefühlt, ihr hinterherzurennen, wie ein herumstreunender Köter.
Sogar ihr eigene Familie hat sein Verhalten belohnt, indem sie einer Vermählung zwischen den beiden hin fieberten, ja, sie haben sich vorgestellt, was das für die restlichen Geschwistern bedeuten könne, sodass ihr Vater das Ruder in die Hand genommen hat und Nägel mit Köpfe gemacht hat.
So reich und angesehen Wilibald auch ist, kann Margaret nichts an ihm abhaben. Er ist ein freundlicher, wohlgesonnener, gutaussehender Hobbit mit Charme und Esprit, jedoch fühlt sie sich in keinster Weise zu ihm hingezogen. Es fehlt das gewisse Etwas, das Besondere, das ihr Herz höher schlagen lässt und das sie gänzlich aus der Bahn wirft –Aufregung, Leidenschaft, Hingabe – nichts dergleichen fühlt sie in seiner Gegenwart. Nur das aller schlimmste ist: Wilibald Bolger glaubt tatsächlich, dass er sie für Geld kaufen kann.
Ihre Hand dreht den Wasserhahn auf, in der Hoffnung, das Rauschen würde die Stimme ihres Vaters übertönen. Sie starrt verächtlich in den Spiegel, in das Gesicht, das so unglaublich anziehend auf ihren vermeintlichen Verlobten wirkt. Nur kann Margaret nicht verstehen, was er an diesem Gesicht abhaben kann. Sie ist nicht mit der Schönheit ihrer Mutter gesegnet, mit der unbefleckten Haut, den ebenmäßigen Gesichtszügen, die wie ihr Vater immer meinte, dem einer Elbin ähnelten. Nein, sie ist anders, was sie zuvor nicht gestört hat, aber ihr im Moment viel bedeutet, sodass eine kleine Träne über ihre von Sommersprossen befleckten Wangen huscht.
Nur unmerklich geschieht etwas mit Margaret. Für gewöhnlich versucht sie alle Folgen abzuwägen, bevor sie eine Entscheidung fällt. Aber ein Geistesblitz schießt durch ihren Kopf. Diese Idee hat sie gestern noch für unmöglich gehalten, ja, sie hat es für ein unsinniges Hirngespinst ihrer Schwester abgestempelt. Und ihre Vernunft versucht ihr wieder einmal einzureden, dass sie sich nicht auf eine solche Reise begeben kann, aber die Stimme wird von ihrem Abenteuergeist überschattet, der klar und deutlich schreit, dass sie hier im Auenland nichts mehr festhält und es an der Zeit ist, zu einem Abenteuer aufzubrechen.
Sofort dreht sie den Wasserhahn ab. Ihre Augen entdecken einen Becher, der am Rande des Waschbeckens steht, in dem neben dem Kamm eine Schere liegt, die sie in die Hand nimmt. Nachdenklich nimmt sie eine Strähne ihrer langen, kupferroten Haare zwischen die Finger und spielt mit dem Gedanken, sie abzuschneiden. Für ihr Vorhaben, das sich in ihrem Kopf zusammenspinnt, braucht sie ein neues Erscheinungsbild. Jedoch bleiben die Scherenblätter nicht wie gewöhnlich auf schulterlänge stehen, sondern wandern immer weiter nach oben zu ihrem Haaransatz. Für einen Augenblick zögert sie, schaut in den Spiegel und stellt sich mit kurzer Frisur vor.
Als ihr Vater erneut schreit: „Du eingebildete Schnepfe! Du wirst Wilibald Bolger heiraten! Von mir aus schleif ich dich zum Altar! Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!", hindert sie nichts mehr. Das rote Haar fällt ins weiße Waschbecken, was so dahin geht, bis sie die Schere zur Seite legt und sie mit ihrer zierlichen Hand durch den kurzen Schopf fährt. Vorsichtig wagt sie, einen Blick auf ihr Spiegelbild zu werfen, und erkennt sich gar nicht mehr wieder. Seit langem hat sie sich nicht mehr so lebendig gefühlt und kann sich bei der Aussicht ein Grinsen nicht verkneifen. Nicht länger versteckt das lange Haar ihre spitzen Halblingsohren, die von nun an gefährlich hervorstechen. Hier steht nicht länger Margaret Braun, die einer Zwangsehe mit Wilibald Bolger zustimmen würde – hier steht eine Abenteurerin.
„Ich zähle bis drei oder ich trete die Tür ein! Eins...", hört sie von der anderen Seite der Tür. Anfänglich nimmt sie seine leeren Drohungen nicht ernst, bis er flüstert: „...Zwei...". Margaret traut ihm alles zu und ist sich bewusst, dass sie hier nicht länger bleiben kann. Unwissentlich, was so eben mit ihr geschieht, begibt sie sich fluchtartig zum Fenster und reißt die Läden auf. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als davonzulaufen. „...Drei! Zeit ist um, ich komme!", ruft Erenfried und setzt seine Drohungen in die Tat um. Etliche Male wirft er sich mit seinem Gewicht gegen die Tür, doch das massive Holz ist widerstandsfähiger als er gedacht hat. Währenddessen setzt sich Margaret hastig auf die Fensterbank, schwenkt ihre Beine hinüber und landet auf festem Untergrund.
Wieder und wieder stößt er mit dem Körper gegen die Tür, bis sie endlich aus den Angeln gerät und er ins Badezimmer stürzt. Unglimpflich fällt er auf den Boden, ächzt nach Luft und schaut sich um, nur von seiner ältesten Tochter fehlt jede Spur. Schließlich entdeckt er das offengelassene Fenster, das darauf schließen lässt, sie habe sich aus dem Staub gemacht. In der nächsten Sekunde rappelt er sich auf die Beine, eilt zum Fenster und schreit seine Seele in die Welt hinaus: „MARGARET!!!".
Jene steht nicht unweit entfernt im Schuppen des Hofes und packt sich gerade einen Rucksack mit dem Nötigsten zusammen, bis sie ihren Namen hört. Unter der lauten Stimme ihres Vaters zuckt sie zusammen. Margaret weiß, dass sie nicht ewig Zeit hat, und sputet sich, die nötigen Utensilien für ein Abenteuer zum Einsam Berg einzupacken. Unter dem ganzen verstaubten Gerümpel bestehend aus Handwerkszeug und Gartengeräten lässt sich nur mit Mühen etwas Nützliches finden. Was braucht man denn alles? Von allen Waffen, die sie wahrscheinlich gebrauchen kann, wählt sie eine kurze, handliche Schaufel, denn die ist leichter als eine Mistgabel und hindert sie nicht beim Gehen.
Hastig schnürt sie den Rucksack zu und wirft ihn über ihren Rücken, doch ehe sie sich umdreht und das Auenland hinter sich lassen will, steht ihr Daisy gegenüber und versperrt ihr den Weg. Das kleine Mädchen mit dem dunkelblonden Lockenkopf hält einen Korb mit Äpfeln in der Hand und fragt mit zitternder Stimme: „Margaret? Was ist mit deinen Haaren passiert?". Daisy betritt die Laube, stellt den Korb beiseite, mit Blick auf ihren Rucksack: „Wo willst du hin?". Betreten senkt Margaret ihren Blick und sucht vergeblich nach einer passenden Antwort. Wie soll sie ihrer Schwester erklären, dass sie sich auf eine Reise begibt, von der sie wahrscheinlich nie wieder zurückkehrt?
Daisy, den Tränen nahe, umschließt das Handgelenk ihrer Schwester: „Willst du uns verlassen?", „Ich kann nicht hierbleiben.", wispert Margaret und hört im Hintergrund ihren Vater, der in seiner Wut lauthals flucht und nach seiner ältesten Tochter sucht. Warum soll sie im Auenland bleiben, wo man ihr nur Hass und Missachtung entgegenbringt? Der einzige, mit dem sie Mitleid hat, ist Herr Beutlin, der nichts von ihrem plötzlichen Aufbruch erahnt. Irgendjemand muss ihm sagen, dass sie die nächsten Monate fort ist, wofür sie ihre Schwester Daisy auserkoren hat.
Langsam geht Margaret auf die Knie und greift nach ihren kleinen Händen: „Ich werde für eine Weile verreisen, bis sich die Lage hier wieder beruhigt hat. Leider hab ich nicht mehr viel Zeit, um mich von allen zu verabschieden... Kannst du für mich zu Herrn Beutlin gehen und ihm ausrichten, dass ich in den nächsten Monaten nicht da bin?". Daisy, die entsetzlich beginnt zu weinen, nickt aufgeregt und schnieft: „Wirst du denn wiederkommen?", „Natürlich!", und nimmt das engelsgleiche Gesicht zwischen ihren Händen, wischt mit ihren Daumen die Tränen von ihren rosigen Backen, „Und wenn ich wieder zurückkomme, dann bring ich dir ein Diadem mit. Damit auch wirklich jeder erkennt, dass du eine Prinzessin bist.".
Endlich kann auch Daisy wieder lachen und schließt sie ein letztes Mal in den Arm. Margaret fällt es zunehmend schwer, ihre Geschwister bei einem verantwortungslosen Vater wie dem ihrigen zurückzulassen, aber vielleicht wird er dadurch endlich lernen, Verantwortung für seine Kinder zu übernehmen. Mit einem Kuss auf die Stirn verabschiedet sie sich von Daisy, streicht über ihren Hinterkopf und verlässt auf leisen Sohlen den Schuppen, um sich im angrenzenden Waldstück davonzuschleichen.
Daisy schaut ihr noch lange hinterher, beobachtet, wie die junge Frau gegen den Sonnenaufgang läuft und im Dickicht der Bäume verschwindet. Währenddessen rennt Rosalinde über die Wiese und fragt ihre jüngere Schwester ganz aufgeregt, die sie vorhin zum Äpfelpflücken geschickt hat: „Was machst du hier draußen? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.", aber sie erhält von Daisy keine Antwort. Das Mädchen verharrt gedankenversunken im Türrahmen, blickt betrübt in den dunklen Wald, woraufhin die Ältere sie an den Schultern rüttelt und ein weiteres Mal fragt: „Was ist los? Ist irgendetwas passiert?", aber Daisy schüttelt den Kopf und zwingt sich zu einem Lächeln: „Nein. Alles gut.". Daraufhin verengt Rosalinde verwirrt ihre Augen zu Schlitzen und entdeckt im Hühnerstall ihren Vater, der aufgebracht die Tiere herausscheucht und nach Margaret fahndet. Nur keinem von ihnen ist sich das Ausmaß bewusst, was ihrer Familie gerade widerfährt.
Wie der Wind fegt Margaret durch das Auenland, verliert keinen Gedanken daran, was die Dorfbewohner von ihr halten, die ihr ohnehin schon seltsame Blicke zuwerfen. Ein frischer Luftzug weht ihr entgegen, als sie den Familienhof verlassen hat. Wenn sie die Zwerge erreichen will, muss sie einen Zahn zulegen. Auf der Straße durch Wasserau kommt ihr Herr Eichler entgegen, der verdattert den Hut abnimmt und ruft: „Margaret? Was ist mit dir? Wo willst du hin?", „Ich hab keine Zeit!", antwortet sie ihrem Onkel und lässt sich nicht bremsen, von nichts und niemanden. Sie muss die Zwerge rechtzeitig erreichen, wenn sie wirklich etwas in ihrem Leben verändern will. Dieser Gedanke treibt sie noch schneller voran, sodass sie in kurzer Zeit Wasserau hinter sich lässt.
Geschwind rennt sie durch die Ortschaften. Ihre Füße tragen sie entlang des Weges gen Osten, über steinerne Brücken, vorbei an den Feldern von Hobbingen. Zu ihrem Leideswesen kommt ihr ausgerechnet auf der Straße ein bekanntes Gesicht entgegen, das bei der Sichtung von Fräulein Braun an Farbe gewinnt. Wilibald Bolger spaziert in seiner stattlichen Sonntagskleidung mit einem frisch gepflückten Blumenstrauß zurück nach Wasserau. Er hält inne und spricht: „Guten Morgen, Miss Margaret! Zu Ihnen wollt ich!". Nun Mal fehlt ihr die Zeit, sich mit dem wohlhabenden Herrn zu unterhalten, sodass sie unter schnellen Schritten zu ihm spricht: „Herr Bolger, ich kann heute nicht. Auch nicht in den kommenden Monaten.". Recht verblüfft verfolgen seine Augen, wie sie an ihm vorbeizieht: „Aber... Miss Margaret! So bleiben Sie doch stehen!", „Tut mir leid, aber ich kann Sie nicht heiraten!". Wilibald senkt den Kopf, lässt den Blumenstrauß fallen und geht seines Weges. Das ist eine Bestätigung für das, was alle von der Familie Braun halten – Ein seltsames Volk.
Als Margaret jegliche Zivilisation hinter sich lässt und am Froschmoor vorbeizieht, entdeckt sie in der Entfernung eine lange Karawane, die schleppend auf ihren Ponys voranzieht. Das muss die Unternehmung sein. Es dauert nicht lange und sie hat die Zwerge eingeholt. Die kleine Frau ruft: „Herr Gandalf!". Jener hält verdutzt inne und wendet sich an Thorin, der genau wie der Zauberer glaubt, sich verhört zu haben. Erneut ertönt die helle Stimme, dieses Mal viel lauter, sodass auch die restlichen Zwerge stehenbleiben und dem Ruf der Dame folgen. Jeder von ihnen dreht sich um und traut seinen Augen nicht, als die junge Haushälterin von Beutelsend angerannt kommt und atemlos vor ihnen stehen bleibt.
Noch nie ist Margaret so schnell gelaufen, nur um einen Haufen von Zwergen einzuholen, die sich nicht einmal über ihre Ankunft freuen. Aber etwas anderes hat sie nicht erwartet, schließlich ahnt keiner von ihnen, warum sie der Unternehmung gefolgt ist. „Ich... ich bin froh, euch zu sehen. Wirklich. Ich weiß, dass ihr es eilig habt, aber hört mich bitte an.". Der Zauberer ergreift sogleich das Wort: „Fräulein Margaret Braun, richtig? Solltet Ihr nicht bei Herrn Beutlin sein?", „Ja, das bin ich.", erhebt sie erheitert den Finger und wirft einen Blick auf den Anführer, der sich dazu zwingt, in die Ferne zu schauen. Thorin kann sich nicht erlauben, ihr weiterhin seine Aufmerksamkeit zu schenken, die sie sowieso schon oft genug erhalten hat. Er hat gehofft, dass der gestrige Abend ihre letzte Begegnung gewesen wäre. Aber stattdessen muss sie immer wieder und wieder in sein Leben treten, wie eine Krankheit, die ihn einfach nicht loslassen will.
Sichtlich beunruhigt hält sie ihre Hände fest, als sie laut und deutlich zu den Zwergen spricht: „Ich weiß, dass ihr auf der Suche nach einem Meisterdieb seid, der sich in den Berg zum Drachen Smaug traut, und ihr habt eure Hoffnungen in einen Hobbit namens Bilbo Beutlin gesetzt. Aber da jener euer Angebot abgelehnt hat, ist noch ein Platz bei euch frei.". Der große Zwerg namens Dwalin spricht ihren Gedanken zu Ende: „Sag jetzt nicht, dass du unser Meisterdieb werden willst.". Daraufhin bricht die gesamte Gemeinschaft in lautes Gelächter aus. Die Vorstellung, eine kleine Frau wie Margaret Braun, ist diejenige, die den Arkenstein aus dem Erebor stiehlt, ist völlig abstrus.
„Ich weiß, was ihr denkt.", meint sie, „Wahrscheinlich würde ich nicht anders darüber denken, wenn ich mich jetzt sehen könnte. Ich bin eine Frau und kein erfahrener Krieger, aber welcher Hobbit ist das schon...". Ein nachdenkliches Schweigen überschattet die Gemeinschaft, wobei der Anführer es endlich wagt, einen Blick auf sie zu richten. Margaret schaut zu ihm hoch und lächelt: „Im Gegensatz zu vielen anderen habe ich oft das Auenland verlassen, auch wenn ich nur bis nach Bree gekommen bin. Ich weiß, wie ich mich verteidigen kann, ich jammere nicht und traue mich, euch zu begleiten. Außerdem habe ich gestern gezeigt, dass ich durchaus fähig bin, für 13 Zwerge zu kochen. Daher frage ich Euch, was gegen mich spricht?".
Thorin fehlen die Worte, sodass Gandalf das Wort ergreift und für die gesamte Unternehmung spricht: „Das hier ist kein einfacher Ausflug nach Bree, Fräulein Braun. Warum wollt Ihr Euch auf ein Abenteuer wie dieses begeben?", „Ich kann es nicht genau sagen. Vielleicht, weil ich verrückt bin...". Diese Aussage zaubert Gandalf ein Lächeln auf die Lippen. Nach der Absage von Herrn Beutlin, der lieber im Auenland bleiben will, muss er zugeben, dass er diesen Vorschlag gar nicht einmal übel findet.
Nur der Anführer schreitet dazwischen und erhebt die Stimme: „Das kommt gar nicht in Frage. Auch wenn sie sicher ist, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, kann ich nicht verantworten, dass ihr etwas zustößt. Sie ist nun mal eine Frau und Frauen haben auf unserer Reise nichts zu suchen.", er sieht nur kurz auf Margaret hinab, die entrüstet die Arme verschränkt und auf die sturen Zwerge einredet: „Ihr braucht Euch keine Sorgen machen, dass ich nicht auf mich aufpassen könne. Ich weiß, wann ich kämpfen oder fliehen muss.".
Thorin schaut ihr in die Augen, nach so langer Zeit schenkt er ihr endlich Gehör. Margaret nähert sich ihm: „Ich bitte Euch, nehmt mich mit. Was habt Ihr schon zu verlieren? Ein Hobbit ist ein Hobbit. Und die sind nicht für ihre Abenteuerlust bekannt. Und jetzt, wo sich jemand freiwillig meldet, weist Ihr mich zurück?", „Sie hat recht.", meldet sich Bofur zu Wort, „Wir brauchen einen Meisterdieb. Aber niemand hat festgelegt, dass das auch eine Frau übernehmen kann, oder? Sie ist mit Sicherheit eine Bereicherung für uns, und Kochen kann sie auch.", wobei jeder mit einem Nicken zustimmt.
„Wir haben bereits einen Koch.", wirft Balin ein, „Ich stimme Thorin zu. Sie ist eine Frau, dazu ist sie noch viel zu jung. Willst du wirklich dein ganzes Leben wegwerfen, nur um einen Haufen Zwerge zum Erebor zu begleiten?", alle Augen richten sich zu der jungen Margaret, die kein weiteres Wort aus ihrer Kehle herausbringt. Auch sie beginnt an ihrer Entscheidung zu zweifeln, nachdem sich alle gegen ihre Anteilnahme an diesem Abenteuer ausgesprochen haben. Vielleicht soll sie tatsächlich umkehren, weiterhin in Beutelsend als Haushälterin arbeiten und sich für immer in diesem ewigen Rad drehen.
Jedoch ist das genau das, vor dem sie fliehen will, und spricht: „Die meisten Leute halten nicht viel von mir. Wenn sie mich sehen, stecken sie die Köpfe zusammen und lachen über mich, und daran wird sich nichts ändern, solange ich im Auenland bleibe. Ich flehe euch an, lasst mich euch begleiten. Ich habe nichts mehr zu verlieren.".
Niemand von ihnen hätte geglaubt, dass aus ihrem Mund solche Worte kommen. Jedoch hängt alles von einem Mann ab, der die Zügel in die Hand nimmt und laut verkündet: „Na, schön. Dann soll sie uns begleiten. Vorerst.". Alle Zwerge freuen sich über den Zuwachs ihrer Truppe, so bescheiden sie auch ist. Margaret kann es gar nicht glauben, auch wenn Thorin verächtlich meint: „Bis wir den nächsten Ort erreicht haben. Dann sehen wir weiter.", doch das interessiert sie im Moment wenig. Sie ist tatsächlich ein Teil dieses Abenteuers und vielleicht schafft sie es sogar zum Erebor, wenn nichts dazwischenfunkt.
Nur kann in Margaret's Leben nicht einfach alles glatt verlaufen, immer muss irgendetwas ihre Pläne durchkreuzen. Oder besser gesagt irgendjemand. Und dieses Mal ist es Bilbo Beutlin, der mit gepacktem Rucksack und Wanderstock aus dem Wald gerannt kommt und sich der Karawane nähert: „Wartet! Wartet!!!". Er hält den endlosen Vertrag in der Hand, der hinter ihm im Wind flattert: „Ich habe unterschrieben!". Margaret dreht sich um und schüttelt den Kopf. Noch nie hat sie ihn so sehr verabscheut wie in diesem Augenblick.
Aber Bilbo strahlt über das ganze Gesicht, als er seine Haushälterin antrifft. Er überreicht Balin die Pergamentrolle, welcher den Vertrag genauestens auf seine Rechtmäßigkeit überprüft. „Ich hab deine Schwester getroffen.", flüstert er und zwingt sich zu einem Lächeln. Balin lächelt, steckt das Brillenglas zurück in seine Taschen und rollt den Vertrag zusammen: „Willkommen, Herr Beutlin, in der Gemeinschaft von Thorin Eichenschild.". Margaret presst ihre Lippen zusammen, aus Angst gleich in Tränen auszubrechen. Wie kann das Schicksal nur so grausam zu ihr sein? Ist das das Ende ihres Abenteuers?
Besorgt dreht sie sich zum Anführer um, der sie seither nicht mehr aus den Augen lässt. Thorin denkt an dasselbe. Sie weiß, dass er sich zwischen ihnen entscheiden muss und sie am liebsten im Auenland lassen will. Aber er ist sich ihres Werts bewusst. Er weiß als einziger, dass sie für längere Reisen gemacht ist und mehr Mut bewiesen hat als Herr Beutlin. Nur reicht das aus, um ein Meisterdieb zu sein?
Bevor Margaret ein Wort einlegen kann, hat Thorin bereits eine Entscheidung getroffen: „Gebt den beiden ein Pony.", und wendet sich von ihnen ab. Fassungslos steht Margaret da, unfähig, sich zu bewegen. Kann es denn wirklich sein? Hat er tatsächlich beschlossen, dass gleich zwei Hobbits Mitglieder seiner Gemeinschaft werden? Sie holt tief nach Luft und schenkt Herrn Beutlin ein aufrichtiges Lächeln, ehe sie sich dem Pony nähert und einen Fuß in den Steigbügel setzt, um sich hochzuschwingen. Nur Bilbo schüttelt vehement den Kopf: „Nein, das muss nicht sein. Ich kann auch gut zu Fuß mithalten...", aber ehe er sich versieht, packen ihn die starken Arme zweier Zwerge und setzen ihn auf den Rücken des Ponys, das den Großteil ihrer Ausrüstung trägt. Margaret kann sich ein Kichern nicht verdrücken und strahlt bei dem Anblick über das ganze Gesicht. Und so beginnt ihre Reise in ein Abenteuer.
___Anmerkungen___
Hallihallo an diejenigen, die bis hierhergekommen sind.
Ich hoffe, die Geschichte hat euch soweit gefallen. Dieses Kapitel schließt den ersten Teil der Handlung ab und von nun an entfernen sie sich vom Auenland und bewegen sich Stück für Stück in den entfernten Osten, wo das Ziel der Gemeinschaft liegt – Erebor.
Vorerst liegt die Fanfiction auf Eis, da ich mir noch nicht im Klaren bin, wie die Handlung weiter verlaufen soll und ich auch noch an einer anderen Fanfiction arbeite. Ich hoffe, dass ihr mir nicht böse seid.
LG Aenigma Vitae
DU LIEST GERADE
Frühlingsgefühl
FanfictionMargaret Braun führt für eine Hobbitfrau ein recht unstetes Leben, das sich durch eine schicksalshafte Begegnung im tänzelnden Pony schlagartig ändert.