Die Sonnenstrahlen, die durch die verschmierten Fenster scheinen, fallen auf ihr blasses Gesicht und wecken sie aus dem wohligen Schlaf. Als sie die Augen öffnet, zieht ein übler Geruch in ihre Nase - es riecht nach Schweiß und Rauch. Margaret findet sich in der Schänke wieder, hinten im Eck auf einer knarzenden Holzbank ist sie eingeschlafen. Obwohl sie für diese Unterkunft nichts ausgegeben hat, musste ihre Rücken dafür bezahlen. Allmählich erhebt sich das junge Fräulein von ihrem Schlafplatz, wischt sich über das feuchte Gesicht und wandert gemächlich in den Hinterhof.
Gierige Hühner springen ihr entgegen, in der Hoffnung, sie hätte ihnen Futterkorn mitgebracht. Aber Margaret schenkt ihnen wenig Beachtung und bewegt sich zum Brunnen hinüber, wo sie über die Kurbel einen gefüllten Eimer Wasser aus den Tiefen zieht. Ächzend stellt sie ihn zu ihren Füßen und wischt sich mit dem Handrücken über die schweißbenetzte Stirn. Das laute Schnarchen aus dem offenen Fenster eines Gästezimmers reißt Margaret aus der Verfassung, sodass sie hoch in das obere Geschoss des Gasthauses sieht. Hätte sie sich auch nur ein Bett gemietet, dann hätte ihr schmerzender Rücken nicht dafür büßen müssen, der sich bemerkbar macht, als sie auf die Knie geht und sich das eiskalte Wasser über die Gliedmaßen schüttet.
Erfrischt von der Katzenwäsche begibt sie sich zu den hauseigenen Mastschweinen, deren Futtertrog sie mit geschrotetem Getreide nachfüllt. Dabei bemerkt Margaret nicht, dass die neugierigen Augen eines Gastes aus einem Zimmer lugen. Thorin, der sich am frühen Morgen ans Fenster stellt, entdeckt die junge Bedienung im Hinterhof. Obwohl er sich dabei ertappt, dass er sie ungewollt beobachtet, wendet er seine Augen nicht von ihr ab. Es ist erstaunlich, dass sie nicht nur in der Gaststube mit anpackt, sondern sich auch um die fremde Landwirtschaft ihres Arbeitgebers kümmert. Tüchtig füttert sie die Schweine, nimmt die Eier von den Hühnern ab und tätschelt im Vorbeigehen der meckernden Ziege auf den Kopf, bis sie vor einer Kiste Äpfel stehen bleibt und sich ungefragt daran genehmigt.
Mit einem Lächeln lehnt sich der Zwerg an die Wand, zupft nachdenklich an seinen Bartharren und sieht ihr zu, wie sie genüsslich in einen roten Apfel beißt, nichtsahnend, dass man sie beobachtet. Ihm ist bisher gar nicht aufgefallen, wie dünn sie ist, fast schon abgemagert, und doch unterstreichen sanfte Kurven ihre Figur. Das rotbraune Haar fällt in wilden Locken auf ihre schmalen Schultern, ihre schlanken Armen liegen angewinkelt an ihrem Körper, während sie heimlich den gestohlenen Apfel verspeist. Dafür kann er ihr keine Vorwürfe machen, das hat sich die fleißige Bedienung am frühen Morgen verdient.
Als Thorin feststellt, dass er unweigerlich über Miss Margaret grinst, dreht er sich endlich weg und stellt sich vor die Kommode. Was ist nur in ihn gefahren? Hat er tatsächlich die Bedienung des Hauses bespannt? Ihre Unwissenheit ausgenutzt? Nur durch Zufall hat er sie gesehen, die Neugierde hat ihn gepackt und wie gefesselt ist er am Fenster stehengeblieben, vereinnahmt von dem Anblick, der sich ihm am frühen Morgen im Hinterhof geboten hat. Frauen sind nie ein Thema für ihn gewesen und werden es auch nie sein, dafür ist der Zwerg viel zu beschäftigt. Aber er muss sich eingestehen, dass Miss Margaret keine gewöhnliche junge Frau ist, ja, er findet sogar zunehmend Gefallen an ihr.
Dennoch muss er sich im Klaren sein, dass er sich von solchen Dingen nicht ablenken lassen darf. Er ist aus anderen Gründen nach Bree gekommen, um seinen Vater zu finden. Thráin kann nicht spurlos verschwunden sein. Er muss irgendwo sein. Bedrückt blickt er in den Handspiegel, der angelehnt an der Wand auf der Kommode steht. Das Gesicht eines alten Zwergen sieht ihm entgegen, das zunehmend seinem Vater ähnelt. Aber wenn er in den Spiegel schaut, sieht er keinen mächtigen König. Er sieht nur einen Zwergen, gezeichnet von den schweren Jahren seines langen Lebens, dass von Kummer und Leid erfüllt ist. Früher, als er noch ein kleiner Zwergenprinz gewesen ist, hat man ihn von den großen Geschichten seiner Vorahnen erzählt, von der Begründung des Erebors und dem Aufstieg zum Reichtum. Stolz hat ihn erfüllt, wenn er durch die endlosen Hallen in den Tiefen des Berges spaziert ist, mit dem Gedanken, eines Tages als Kronerbe über dieses Reich zu herrschen. Bis der Tag gekommen ist, an dem sein Schicksal eine Wendung genommen hat, als Smaug, ein großer Feuerdrache aus dem Norden, die Zwerge aus ihrer Heimat vertrieben hat. All seine Träume sind in Luft aufgegangen, all seine Erwartungen von der Zukunft sind eine Illusion gewesen. Thorin wird nie König unter dem Berge sein, niemals.
Versunken in seinen Gedanken überhört er beinahe das Klopfen an seiner Tür. Sofort wirft er sich das Hemd über den Oberkörper und schlüpft hastig in die Hose, ehe er sich zeigen kann. Als er seine Stiefel zur Hand nimmt, ertönt die sanfte Stimme von Miss Margaret: „Guten Morgen. Ich bin's.". Beinahe wäre der Zwerg über seine eigenen Füße gestolpert, als er an die Tür tritt und die Klinke hinunterdrückt.
Margaret schreckt zurück, als der Zwerg forsch die Tür öffnet und sie mit verschlafenen Augen ansieht. Peinlich berührt senkt sie den Blick und wispert: „Ich habe Schritte gehört, da dachte ich...", „Was ist.", verlangt er zu wissen. Es war nicht seine Absicht, sie zu beunruhigen. Aber ganz verschlagen starrt sie auf ihre Füße, wagt es nicht ihre, Augen zu erheben, und hält zwischen ihren Fingern einen Umschlag, dem sie den Zwergen überreicht. Verwundert nimmt er den Brief an sich, während Margaret erklärt: „Den hat jemand für Sie hinterlegt.".
Thorin kann sich keinen Reim darauf machen, von wem diese Mitteilung stammt. Niemand außer ihn kann wissen, dass er sich in Bree befindet. Margaret, die die angespannte Stimmung heben möchte, fragt den Gast: „Soll ich Ihnen etwas zum Frühstück machen?". Ein Grummeln aus seiner Magengegend ist Antwort genug für die Bedienung und zwingt sich zu einem Lächeln, Thorin nickt zustimmend. Beide drehen sich um und kehren zurück an ihre Plätze.
Als Margaret in der Küche steht und auf dem eingeheizten Herd ein Spiegelei anbrät, bemerkt sie, wie ihr Herz ungewöhnlich rast. Ganz unruhig wischt sie sich die gelockten Strähnen hinters Ohr, blickt nachdenklich aus dem Küchenfenster. Noch nie hat sie sich in der Gegenwart eines Mannes derartig unwohl gefühlt. Nicht in dem Sinne, als wolle sie aus Furcht vor ihm davonrennen, wie sie ihm zum ersten Mal begegnet ist. Es ist ein seltsamer Zustand, den sie nicht beschreiben kann. Wohl eher eine Mischung aus Vertrautheit und Aufregung und Angst zugleich.
Es ist nur selten, dass sie so schnell einem Fremden vertraut. Ja, sie wäre gestern sogar bereit gewesen, ihm von ihrem Vater und seiner Trunk- und Spielsucht zu erzählen, weswegen man sie schließlich aus dem Grünen Drachen geworfen hat. Dieser Zwerg ist anders, weil er nicht von hier kommt. Er kennt nicht ihre Familiengeschichte. Und vielleicht ist es besser, wenn es auch dabei bleibt. Wahrscheinlich würde sie ihn damit nur abschrecken und er würde sich wie alle anderen von ihr distanzieren. Ja, vielleicht ist es besser, dass er nichts von ihr weiß und sie nur die Bedienung aus dem Tänzelnden Pony ist.
Und während sie so dasteht, hätte sie beinahe das Spiegelei übersehen. Sofort nimmt sie es aus der Pfanne, schieb es auf einen Teller und sucht bereits nach dem Leib Brot, um eine Scheibe herunterzuschneiden. Zu ihrer Verwunderung trifft Barthos früher als sonst ein und betritt mit einem freundlichen „Guten Morgen" die Küche. Ganz hungrig tritt er an den Teller heran und fragt: „Für wen ist denn das Festmahl?", „Auf jeden Fall nicht für dich.", und haut sanft auf seine Finger, die das Spiegelei anrühren wollen.
Darüber kann Barthos nur lachen und fragt: „Ist es für den Zwergen?", Margaret seufzt entnervt und zieht aus der Schublade das nötige Besteck: „Und wenn schon. Er ist unser Gast, und der Gast ist König.", wobei sie die Küche verlassen will. Ehe sie ihn stehen lässt, meint er: „Schon seltsam. Warst du es nicht, die gesagt hat, dass sie das Kochen hasst? Er muss dir wirklich wichtig sein, dass du einmal den Löffel schwingst.", und greift zum Korb mit frischen Birnen. Margaret bleibt im Türrahmen stehen: „Du bist nur eifersüchtig, dass du nicht von mir bekocht wirst. Warum bist du eigentlich schon hier?", und versucht so vom Thema abzulenken.
Barthos lehnt sich gegen die Küche, schmatzt entsetzlich beim Kauen des Obstes und erzählt: „Mein Junge schreit seit Sonnenaufgang nur am Spieß. Das hab ich nicht mehr ausgehalten.", „Und du hast deine Frau einfach so allein gelassen?", „Die wird sich schon zu helfen wissen.". Dabei kann Margaret nur die Augen verdrehen und verlässt die Küche. Er ruft noch hinterher: „Bleib ja nicht allzu lang weg. Oder ich vermute das Schlimmste.", „Halt die Klappe, Barthos.", erwidert sie und schleicht grinsend die Treppen hinauf.
An seinem Zimmer angelangt, öffnet sich schlagartig die Tür. Thorin wäre beinahe in Margaret hineingelaufen, bleibt vor ihr stehen und erklärt aufgebracht: „Ich muss los. Jemand glaubt, ihn gefunden zu haben.". Das bedeutet dann wohl kein Frühstück. Margaret senkt etwas enttäuscht den Blick, aber der Zwerg nimmt den Teller an sich und meint: „Danke. Ich bin am Verhungern.", beim Runtergehen schlingt er das Frühstück hinunter, stellt den leeren Teller am Tresen ab und verlässt das Gasthaus wie er gekommen ist: wie ein kalter Windzug.
Margaret stemmt die Arme in die Hüften, verharrt eine Weile in ihrer Position und wirft einen Blick in das Zimmer. Was für ein Gast. Gedankenversunken betritt sie das kleine Gemach und bestaunt verblüfft das gemachte Bett. Der Zwerg hat sein Zimmer aufgeräumt hinterlassen, das Fenster geöffnet und nichts bei seinem plötzlichen Aufbruch vergessen. Sie freut sich über die fehlende Arbeit und lässt sich auf die federnde Matratze fallen. Mit ihren Fingerspitzen streicht sie über die Decke und fragt sich, ob sein Geruch am Bezug haften geblieben ist? Intuitiv nimmt sie das Federkissen in die Hand, drückt ihr Gesicht hinein. Ihre kleine Stupsnase nimmt einen holzigen Geruch wahr, tief atmet sie ein und lächelt. Zu spät fällt ihr auf, dass sie sich seltsam verhält. Sofort wirft sie das Kissen zurück aufs Bett, fährt unruhig über ihren Rock, bis sie aufsteht und damit beginnt, die Bettwäsche abzuziehen. Was hat der Zwerg mit ihr angestellt?
Margaret wird es nicht erfahren. Denn am späten Nachmittag kehrt der Wirt in das Gasthaus ein, schlechter gelaunt als sonst. Herr Butterblume begrüßt seine Angestellten nicht, nein, er marschiert schnurstracks hinter die Theke und öffnet den Tresen. Sein Sohn Barthos versucht aus ihm schlau zu werden und fragt, ob alles in Ordnung sei, aber darauf reagiert sein Vater nur mit einem Grummeln. Er nimmt einen Haufen Münzen aus der Kasse, steckt es in einen Beutel.
Währenddessen betritt eine junge Dame die Schänke. Es ist ihre Kollegin, die eigentlich nie an einen Samstagabend eingeteilt ist. Recht verblüfft blickt Margaret zu Barthos, der nicht weniger fragwürdig die Schultern hebt. Schließlich ruft Herr Butterblume seine Angestellte zu sich, legt den Beutel auf die Theke und schaut sie an. Ein ungutes Gefühl beschleicht Fräulein Braun: „Was ist los?". Endlich findet ihr Arbeitgeber den Mumm und erbarmt sich, eine Erklärung abzugeben: „Tut mir leid, Margaret, ich kann dich nicht länger brauchen. Du kannst nach Hause gehen. Hier, dein Lohn.".
Betreten wendet er sich von seiner Angestellten ab, geht zu einem Tisch hinüber und nimmt deren Bestellung auf. Aber Margaret rennt ihm hinterher und meint unterm Gehen zu ihm: „Ihr könnt das nicht machen! Ich brauche diesen Job! Bitte!", „Ich weiß, dass du es brauchst. Aber daran lässt sich nichts mehr machen. Ich habe jemanden gefunden, der die ganze Woche arbeiten kann. Und diese Beschäftigung ernster nimmt als du.". Auch wenn er versucht sie abzuwimmeln, holt sie immer wieder auf und weint flehentlich: „Sie können mir das nicht antun! Bitte, Herr Butterblume! Ich tue alles, ich arbeite sogar für weniger Geld! Nur nehmen Sie mir nicht meine Beschäftigung!".
Einige Gäste haben von der dramatischen Auseinandersetzung Wind bekommen und verfolgen ganz gespannt, wie der Wirt reagiert. Gegen alle Erwartungen packt er Margaret am Arm und zerrt sie durch die Stube: „Ich kann mir dein Gejammer nicht mehr anhören! Wenn du nicht hören willst, muss ich dich halt rauswerfen!". An der Eingangstür angelangt stößt er die kleine Frau hinaus, wirft ihren Mantel und die letzte Auszahlung ihres Lohns hinterher und meint zum Abschied: „Du hättest im Auenland bleiben sollen!".
Die Tür geht zu und damit auch ihre Anstellung. Mit verweinten Augen steht sie vor dem Gasthaus, unfähig sich zu bewegen. Erst jetzt realisiert sie, dass sie gerade ihre Beschäftigung verloren hat. Als die Städtler an ihr vorbeigehen und sie von Kopf bis Fuß mustern, zieht sie ihren Mantel über, steckt ihre letzte Auszahlung in die Tasche und macht sich auf dem Nachhauseweg.
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Frühlingsgefühl
FanficMargaret Braun führt für eine Hobbitfrau ein recht unstetes Leben, das sich durch eine schicksalshafte Begegnung im tänzelnden Pony schlagartig ändert.