Ein gesamtes Zeitalter schien geboren, erblüht und wieder untergegangen zu sein, bis sich die Tür zur Küche öffnete und seine unmenschlich fehlerlose Cousine mit der Fassadensprengerin in den Wintergarten zurückkam.
Atticus hatte die quälende Wartezeit damit verbracht, auf seine Hände zu starren und die Ungehörigkeit der gesamten Situation zu reflektieren. Sein stoischer Onkel hingegen schien eher unbeeindruckt. Er gab sich seiner präferierten Abendtätigkeit hin: Er trank und starrte Löcher in die Wand.
Ira schien ernüchtert, als sie hinter Galatea in den Anbau trat. Sie war blass um die Nase und wirkte, als sei ihr schlecht. Am liebsten hätte Atticus gegrinst: Wahrscheinlich war Galatea, ganz die regeltreue Ordnungsfanatikern, tief ins Detail gegangen, was all die wundervollen, auszehrenden Prüfungen anging, die der bürokratische Arm des Familienunternehmens forderte.
»Atticus«, wandte Galatea sich überraschend an ihn und er versuchte, den aufsteigenden spöttischen Gesichtsausdruck niederzuringen. Ganz zu gelingen schien es ihm nicht; Galatea verzog missbilligend das Gesicht. »Kannst du Ira eine rasche Hausführung geben und ein Zimmer für sie vorbereiten?«
Er dechiffrierte ihre Worte sehr rasch als das, das sie eigentlich waren: Kannst du Ira ablenken, während ich mit meinem Vater und deiner Mutter bespreche, ob wir sie für das Wohl der Menschheit auf der Stelle einkerkern sollen?
Am liebsten hätte er sich quergestellt, einfach nur, um seine verklemmte Cousine zu verärgern, aber dann fiel sein Blick auf Ira, die sich hinter Galatea im Schatten herumdrückte und etwas verloren wirkte. Ihre Augen hefteten sich auf ihn und er spürte, wie sein Widerstand dahin bröckelte.
»Na gut«, murrte er. Dann wandte er sich an Ira: »Hast du Gepäck?«
»Bloß den Rucksack.« Sie deutete auf eine verbeulte, graue Tasche, die neben ihm auf dem Treppenabsatz stand, wo sie ihn vor mehreren Stunden abgestellt hatte.
Atticus nickte und schulterte ihre Tasche ohne Umschweife, was einen kleinen Laut des Protests von ihren Lippen zur Folge hatte. Er kümmerte sich nicht darum und legte die letzten Stufen der Treppe in den ersten Stock zurück.
Als er auf dem Treppenabsatz ankam, war sie unmittelbar hinter ihm und er wäre fast zusammengezuckt: Er hatte gar nicht gehört, dass sie ihn eingeholt hatte.
»Ich kann die schon tragen, danke«, sagte sie missmutig und zog ihm den Riemen ihres Rucksacks von den Schultern.
»Okay«, sagte er lapidar. Sein Arm hing noch halb in der Schlinge, während sie unmissverständlich daran zog. Sie standen sich kurz ratlos gegenüber, dann entschied Atticus, die Initiative zu ergreifen und einfach einen Schritt zurückzutreten, sodass der Rucksack zwischen ihnen zu Boden fiel.
Er seufzte tief auf und drehte sich auf der Stelle um, während er mit seiner gelangweiltesten Stimme ein paar zufällige, wenig interessante Tatsachen herunterleierte: »Wir befinden uns jetzt im äußersten Teil des Westflügels, der im Jahr 1997 nach einem verheerenden Brand zu einem Glashaus umfunktioniert wurde.«
»Wow«, schnaubte Ira. »Du ziehst das jetzt echt durch?«
»Ich führe dir nur vor Augen, wie wertvoll und geschichtsträchtig diese Architektur ist, damit du daran denkst, wenn du uns und das Haus auf lange Sicht in die Luft jagst.«
»Werde ich nicht.« Ira stand nun wieder unmittelbar hinter ihm, der Rucksack über ihrer Schulter und ein herausfordernder Ausdruck in ihren Augen. »Das ist nicht gerade fair von dir, so etwas zu sagen, wenn alle nur darauf warten, dass du... explodierst.«
Atticus hob eine Augenbraue und Bitterkeit stieg in ihm auf. »Hat sie dir das gesagt, ja? Galatea?«
»Sie hat nichts gesagt. Ich hab's mir selbst zusammengereimt.«
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Wir irren des Nachts
Fantasy❝Wann immer etwas fürchterlich schiefläuft in dieser Welt, lässt sich der Ursprung dieses Übels allzeit auf einen Vanguard zurückführen, der gerade seinen Kampf gegen das Böse verloren hat.❞ - Inoffizielles Motto der Familie Vanguard ❥ Außenstehende...