KAPITEL 27: Lagerhalle, Upstate New York, 28. April 2019

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Ihre Eltern musterten sich ein paar Sekunden lang bewegungslos, als wollten sie determinieren, wie groß die Gefahr war, die von der jeweiligen Opposition ausging. Galatea kam unwillkürlich der Gedanke, dass ihre Eltern ihr einen Gefallen getan hatten, als sie entschieden hatten, sich an den entgegensetzten Enden der Welt abzusetzen.

»Versuch gar nicht erst, irgendetwas abzuziehen«, sagte Genevieve, während sie den festen Griff um ihre Pistole adjustierte. »Sonst hat unsere Tochter gleich ein Loch im Herz.«

»Sieht dir ähnlich«, sagte Nicholas mit falscher Freundlichkeit. »Menschliche Schutzschilde und so weiter.«

»Ach«, gab sie zurück. »Man tut, was man muss, um zu überleben.«

»Du tust ja gerade so, als wärst du nicht zu hundert Prozent dafür verantwortlich, dass du auf der Abschussliste des Boards stehst.«

Galatea schnaubte hörbar. »Gib auf, Nicholas. Sie ist vollkommen desillusioniert. Sie ist das größte Opfer auf diesem Planeten, jeder hat es auf sie abgesehen, schon von ihrer Geburt an. Alles, was sie getan hat, war gut und rechtens, weil sie ja solch ungerechte Karten in die Hand bekommen hat.«

Nicholas hob eine Augenbraue. »Das klingt tatsächlich nach ihr. Weißt du, Galatea, als wir uns kennengelernt haben, da war sie noch nicht so ein Jammerlappen.«

»Ah, natürlich!« Genevieve schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Ich habe vergessen, dass ihr Vanguards immer eine geschlossene Parteilinie nach außen präsentiert.«

»Glaub mir, Nicholas und ich sind die letzten Personen, die geschlossene Reihen präsentieren«, gab Galatea zurück und fragte sich, seit wann die Polemik ihr so leicht von der Zunge ging. »Aber es ist unmöglich, in deinem Angesicht nicht zumindest den schmalsten Grad eines Konsens zu finden.«

»Hui«, machte Genevieve und ihre Augen glommen amüsiert. »Ganz schön das Mundwerk hast du ihr antrainiert.«

Galatea grinste schwach. Sie würde ihren nachlässigen Vater sicherlich nicht so leicht von der Angel lassen. »Ach, Nicholas hat mir nichts beigebracht, außer knochenberstende Autonomie im frühesten Kindesalter. Aber das ist schon in Ordnung, es ist mir immer noch lieber als das, was du mir angetan hättest.«

Nicholas schien ihres Geplänkel offensichtlich rasch müde zu werden, denn er fragte mit angespannter Stimme: »Und was wird das jetzt, Genevieve? Hältst du uns jetzt beide hier fest, während wir darauf warten, dass das Board mit der Erfüllung deiner Bedingungen hier hereinschneit?«

»Ich muss zugeben, dass ich nicht ganz erwartet habe, dass Galatea und ich noch einmal Gesellschaft kriegen, aber das ist schon in Ordnung so. Vielleicht kann ich euch beide zum doppelten Preis einsetzen.«

»Ich glaube, du nimmst den Mund ein wenig zu voll, Genevieve.« Nicholas verschränkte die Arme vor seiner Brust. »Warum glaubst du eigentlich, dass du mit den Geistern, die du riefst, wieder fertigwirst? Du hattest schon immer die Tendenz dazu, dich zu überschätzen. Weißt du noch, in unserem ersten Jahr, als du geglaubt hast, du kannst jeden Abend durch die Frat-Parties ziehen wie die Königin von Saba und trotzdem deine Makro-Klausuren bestehen?«

»Ich habe meine Makro-Klausuren bestanden«, gab sie zurück.

»Ja, weil Cyrus für dich in die Prüfung gegangen ist.«

Genevieve starrte ihn an, so, als verstünde sie nicht so recht, worauf er hinauswollte. Obgleich Galatea sich des Umstands bereits marginal bewusst gewesen war, wurde ihr in diesem Augenblick bewusst, dass Genevieve Redmare ein vollkommen einzigartiges Set an Moralvorstellungen besaß.

In ihren Augen hatte sie ihre Makro-Klausuren bestanden. Und in ihren Augen war es für sie deshalb auch legitim, sich den Schutz zu erzwingen, der ihr in ihren eigenen Augen zustand.

Wir irren des NachtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt