KAPITEL 16: Ouroborus-Residenz, Meriden, Connecticut, 22. April 2019

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Obgleich er zu beiden ein höchst zwiespältiges Verhältnis hatte, war Atticus heilfroh, sowohl Ira wie auch Galatea an seiner Seite wissen zu dürfen, während er dem engen, gewundenen Pfad tiefer in die Gefilde des Wahnsinns folgte – greifbare, robuste Fackelträgerinnen gewissermaßen, die den düsteren Weg hell erleuchteten, und die Schatten, die nach ihm greifen wollten, zurück in die Dunkelheit verbannten.

Sie hatten kurz vor elf Uhr begonnen und inzwischen war die Sonne hinter den Scheiben des Glashauses untergegangen. Sie hatten die Fenster geöffnet, um frische Luft hineinzulassen und aus der Ferne drang das Rauschen des Windes über den Wipfeln des Waldes.

Im Laufe des Tages hatte sich Galatea zwei weitere Mahlzeiten aus ihrem Ärmel geschüttelt, ohne sichtlich zurückzufallen in ihrem Vorankommen, sich durch Octavian Vanguards mittlere Jugendjahre zu ackern.

Gerade waberte der Duft von frischen Keksen im Ofen aus der Küche zu ihnen herüber und Atticus, der vor nicht einmal einer Stunde ein exquisites Pfannengericht vertilgt hatte, spürte bereits, wie sein Magen wieder knurrte.

Galatea lehnte in der Tür zur Küche, um die Kekse im Auge zu behalten, während sie auf einem Bein stand und in das ledergebundene Tagebuch, das sie in ihrer rechten Hand hielt, versunken war.

»Ich hab noch was!«, rief Ira in diesem Moment, deren Augen fiebrig vor Schmerzmitteln glänzten, sich aber dennoch seit mehreren Stunden vehement weigerte, ins Bett zu gehen und die zwei Vanguard-Cousins mit der Arbeit alleinezulassen.

Galatea ließ das Buch sinken und zog den Marker aus der Tasche ihres Jeansoveralls, den sie irgendwann im Laufe des Nachmittags angezogen hatte. Sie öffnete ihn mit den Zähnen und durchquerte die Länge des Wohnzimmers, an dessen Ende sie eine alte Tischtennisplatte gegen die Wendeltreppe gelehnt hatten, die sie über und über mit Papierbögen tapeziert hatten.

»Ja?«, fragte sie, als sie in Position war. »Was hast du gefunden?«

Ira räusperte sich. »Okay, haltet euch fest«, sagte sie, während sie ihre Position auf der Couch verlagerte. »Das ist kurz nachdem John Tarquin und er zu Jungs Konferenz in Ascona aufgebrochen sind. Er schreibt: Es war eine törichte, naive Hoffnung, anzunehmen, dass Bergluft mir guttun würde. Dass ich alleine dadurch Linderung erführe, die Beschränkungen unseres Hauses in Meriden zu verlassen und fremden Boden unter meinen Füßen zu spüren. Die Träume sind mit mir über den Atlantik gereist. Schlimmer noch, sie haben in ihrer Intensität zugenommen, fassen mich nun gröber an, halten mich fest, wenn ich versuche, aus ihnen zu erwachen. Immer wieder sehe ich diese Gestalt. Halb Schatten, halb Feuer. Sie steht am Rande eines Waldes und beobachtet mich. Ich habe mir ein Herz gefasst, und entschieden, mit Jung darüber zu sprechen. Noch ehe ich richtig in meine Erzählungen finden konnte, unterbrach er mich, und nahm mich auf einen Spaziergang entlang der Promenade des Langensees mit, den die Ortsansässigen hier Lago Maggiore nennen. Während wir entlang des Ufers flanierten, ließ er mich reden, ohne mich auch nur einmal zu unterbrechen. Ich berichtete ihm alles über meine Träume, obgleich ich mir einmal geschworen habe, ihm nichts anzuvertrauen, woraus er mir einen Strick drehen kann. Es gibt ein altes Sprichwort, das besagt: Von zwei Übeln wählt man besser das, welches man schon kennt. Und ich kenne Jung, besser, als ich mir eingestehen will. Falls er es für möglich erachtet, mir zu helfen, so wird er das tun. Jung hörte mir lange zu, bat mich nur manchmal, etwas zu wiederholen oder genauer zu erläutern. Ich erzählte ihm von dem felsigen Ungetüm, um das sich alles andere zu drehen scheint, dann die sieben Fixsterne am Himmel, die einen Lichtschatten werfen, der bis zum Boden reicht. Von der Figur, die mich peinigt, indem sie mir überall hin folgt und mich beobachtet. Ich hatte gehofft, Jung würde mir Antworten liefern können, aber das einzige, das er tat, war über seine kollektiven Archetypen des Unbewussten referieren, als wäre ich in einer seiner Vorlesungen. Geduld, sagte er zu mir, während er mir die Hand auf die Schulter legte und mich mit großväterlicher Güte musterte. Die Antworten werden zu dir kommen, wenn du dich auf sie einlässt. Zusätzlich sagte er mir, dass ich mich im Augenblick im Aufruhr befände, weil John Tarquin sich gerade auf Tour durch europäische Hauptstädte befände, um mit den jeweiligen Monarchen und Staatsoberhäuptern zu konversieren. Er unterstellte mir ein Gefühl von Entmännlichung, weil ich wie ein kranker, mutterloser Junge an ein Sanatorium gefesselt sei und seine These war so lächerlich, das ich ihn auf der Stelle stehen ließ. In der Nacht sah ich das erste Mal das Gesicht der Gestalt. Zu meiner Überraschung ist sie eine Frau, eine beeindruckend schöne, furchterregende Frau, deren gesamtes Wesen eine Kälte absondert, die mich lähmt. Sie sprach zu mir, sagte, dass ich ihr König sei, und sie mich zu krönen hatte.«

Wir irren des NachtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt