Ira war heilfroh, Atticus' vorsichtige Schritte hinter sich auf dem nadelübersäten Waldboden zu vernehmen, während sie sich tiefer in den Wald vortastete. Sie schob die Zweige beiseite, durch die es keinen festen Pfad zu geben schien. Alle paar Meter kamen sie zu einer Lichtung, in der die Bäume sich gegenseitig Raum zum Atmen gaben und die blässlichen Sonnenstrahlen eindringen konnten.
»Ich war hier noch nie drin«, gestand Atticus, während er einen Zweig aus seinem Gesicht entfernte, der ihm aus der Hand gesprungen war, nachdem er einen Ast zurückgebogen hatte. »Um ehrlich zu sein, habe ich der Umgebung um das Haus bisweilen ziemlich wenig Aufmerksamkeit geschenkt.«
Ira wandte sich zu ihm um. Sein feinknochiges Gesicht mit der markanten, schnabelartigen Nase, die seine sturmgrauen Augen akzentuierte, war von dem Muster benetzt, das die Sonnenstrahlen durch den Filter der Tannennadeln hinterließen.
»Als ich jünger war, bin ich bei jeder Gelegenheit in den Wald abgehauen«, sagte sie. »Es war der einzige Ort, an dem ich meinen Frieden hatte. Ich habe dort einen alten Schuppen gefunden, in den ich mich verbarrikadiert habe. Vermutlich der Überrest einer Bleibe eines Schäfers oder so.«
»Das wirst du hier nicht finden«, sagte Atticus und Ira sah genau, dass ihm ein Schauder über den Rücken lief. »Der Wald gehört meiner Familie. So wie alles, was die Sonne berührt.«
»Seit wann ist das Ouroborus-Anwesen in eurem Besitz?«, fragte Ira, während sie die Lichtung zurückließen und tiefer in den Wald eindrangen.
»Spätes neunzehntes Jahrhundert?«, sagte Atticus, aber es klang wie eine Frage. »Keine Ahnung. Mir wurde nie ans Herz gelegt, mich mit unserer Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Vermutlich aus Angst vor... Wiederholungstätertum.«
»Ich habe gesehen, dass du Octavians Tagebücher liest«, sagte Ira so unschuldig wie möglich. »Sie lagen auf deinem Nachtisch gestern Morgen.«
»Oh, ja«, antwortete Atticus beiläufig. »Ich dachte, wer auch immer uns diese Bücher geschickt hat, der möchte vermutlich nicht, dass wir sie als Kamindekoration verwenden.«
»Wer, glaubst du, hat sie geschickt?«
Atticus zuckte mit den Schultern und Ira stellte fest, dass es ihm die Lösung dieses Mysteriums tatsächlich mehr oder weniger gleichgültig war. »Das ist Galateas Problemchen, nicht meins.«
»Glaubst du, sie kommt noch mal hier vorbei?«, fragte Ira, während sie einen Zweig zur Seite bog, der zu niedrig war, um sich darunter hinweg zu ducken. »Galatea, meine ich.«
»Ich denke nicht.« Atticus grinste träge. »So machen sie das. Laden uns hier ab und verschwinden wieder in die große Stadt, um Wertpapiere und Aktien zu akquirieren, Kleinstaaten verprellen und Politiker erpressen, oder was auch immer in ihren Zuständigkeitsbereich fällt.«
Ira wandte sich zu ihm um. »Auch Galatea? Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie sonderlich viel Freude daran hat.«
»Machst du Witze?«, lachte Atticus und ein böswilliger Unterton hatte sich in seiner Stimme breitgemacht. »Durch Galateas Adern fließt Druckerschwärze, und ihr Herz schlägt für die Bürokratie.«
»Du kennst sie kaum.«
»Ich kenne die Lobeshymnen, die meine Mutter bei jeder Gelegenheit über sie singt. So gehorsam, so liebenswürdig, tüchtig, intelligent, arbeitsam. Oh, hast du schon gehört, Atticus, deine Cousine ist schon wieder Klassenbeste. Sie ist so engagiert, Atticus. Bei dem Spendenlauf unserer Familie war sie wieder dabei, und hier hat sie dem und dem Polizeichef die Hand geschüttelt und das Verdienstkreuz überreicht.«
»Aha«, sagte Ira und kniff ihre Augen gegen die Sonne zusammen. »Daher weht der Wind. Du bist eifersüchtig auf sie.«
»Nein«, sagte Atticus eingeschnappt. »Ich gebe neidlos zu, dass sie besser ist als ist. Aber sie ist auch nicht diejenige, die unter der Bürde einknickt, vermutlich eines Tages die Apokalypse auszulösen. Ich finde es einfach unfair, sie mit meinem Maß zu messen, wenn unsere Lebensumstände einander schlichtweg nicht entsprechen.«
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Wir irren des Nachts
Fantasía❝Wann immer etwas fürchterlich schiefläuft in dieser Welt, lässt sich der Ursprung dieses Übels allzeit auf einen Vanguard zurückführen, der gerade seinen Kampf gegen das Böse verloren hat.❞ - Inoffizielles Motto der Familie Vanguard ❥ Außenstehende...