KAPITEL 24: Panta Chorei, früher/später/jetzt

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Als sie jünger gewesen war, hatte Ira lange Zeit eine Schwäche für die Ästhetik des Imperialismus gehabt; für die noblen, herausgeputzten Fassaden, die malerischen Innenansichten der Londoner Teesalons und Gentlemen's Clubs, die sie in Filmen gesehen hatte.

Erst viel später hatte sie ihr Faible mit bedrückter Kapitulation abgelegt, als ihr bewusst geworden war, dass für sie als halb-indisches Mädchen niemals Platz an diesen Tafeln sein würde und dass man sie selbst heutzutage möglicherweise noch davonjagen würde, wenn sie den Fehler machte, sich solchen Kreisen zu sehr anzunähern.

So konnte sie das seltsame Gefühl in ihrem Inneren nicht abschütteln, als sie hinter Wynn und vor Prissy durch die entzückende, weiß getünchte Ladentür in den Salon eintrat, die ein helles Klingeln von sich gab, um die neue Schar an Gästen anzukündigen.

Es war genauso, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Ein wenig erschlagend, und insofern kitschig, dass der Ladeninnenraum vollgestopft war mit weichen, knautschigen Möbeln, auf denen die Gäste Platz genommen hatten und sich ihrem Nachmittagstee widmeten. Die Teestube hatte den Flair einer Zuckerbäckerei; erstarrte, pastellfarbene Gebilde aus Meringue türmten sich auf dreistöckigen Etageren, und das edle Teegeschirr erweckte den Eindruck, dass es aus dem feinsten Knochenporzellan gefertigt worden war.

Die Tischdecken, alle rosa und bläulich gehalten, reichten beinahe bis an den Boden, an den Wänden hingen Teller mit bunten Ansichten von London oder Paris oder einem Hybrid dessen, und die geblümte Tapete ließ sie wie ein Faustschlag ins Gesicht zurücktaumeln.

»Nicht schlecht, oder?«, kicherte Prissy an ihrem Ohr. Als Ira den Blick wandte, sah sie ihre dunklen Augen schelmisch hinter ihrer Halbmaske hervorblitzen. »So viel geballten Zucker, Pastell und Seide wirst du in der gesamten Ebene sonst nicht finden.«

Wynn machte keine Anstalten, auch nur eine Sekunde anzuhalten, um einen der Gäste an den Tischen zu begrüßen, oder seine Geschwindigkeit zu drosseln, sondern er durchmaß den engen Teestubeninnenraum mit großzügigen Schritten.

Atticus folgte ihm auf dem Fuß. Er hatte den Blick auf den Boden gerichtet und gab sich sichtlich Mühe nicht aus Versehen jemandem ins Gesicht zu blicken. Sie vermutete, dass er hoffte, so unter dem Radar der Hyperchronisten durchfliegen zu können, die sich hier offensichtlich zur Löschung ihres hedonistischen Durstgefühls versammelt hatten.

Nicht, dass jemand auf sie geachtet hätte. Ira war bereits aufgefallen, dass man in der nachtblauen Uniform der Psychopompi automatisch mit dem Hintergrund verschmolz. Sie waren auf dem Weg hierher nicht eines Blickes gewürdigt worden. Höchstens Wynn und Prissy ernteten den ein oder anderen gelangweilten Blick.

Am hinteren Ende des Teesalons war eine Wendeltreppe in eine Ausbuchtung der Wand eingelassen und Wynn hielt eilig darauf zu, während er Atticus und Ira bedeutete, ihm schleunigst zu folgen.

Ohne große Wehmut wandte Ira sich von der Ansicht des überfüllten, stimmendurchwirrten Teesalons ab und folgte Atticus' Mantelzipfel einen schwindelerregenden Aufstieg empor, bis sie unmittelbar in ihrer anderen kindheitlichen Traumkulisse wiederfand.

Die Blümchentapeten waren einer hochwertig gearbeiteten Holzvertäfelung gewichen und der Boden, der unten aus rosa Fliesen bestanden hatte, war hier aus Parkett gefertigt. Am Ende des hohen, breiten Raumes, in den sie getreten waren, prasselte ein Kaminfeuer in einer offenen Feuerstelle über einem schmiedeeisernen Metallgitter.

Wenn sie die Proportionen des Hauses richtig eingeschätzt hatte, dann musste das Obergeschoss dieselbe Größe haben wie der Teesalon im Erdgeschoss. Dadurch, dass jedoch nur wenige Lederstühle um niedrige, aus Kirschenholz gearbeitete Tischchen herumstanden, wirkte der Raum viel weitläufiger als derjenige im Untergeschoss.

Wir irren des NachtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt