Teil 6

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Mit einer Tasse Tee in der Hand, saß sie auf der Terrasse in ihrem neuen Zimmer und grübelte über den gestrigen Abend. Darüber, wie einfach es war die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich zu ziehen, der wie es scheint Zugang zur königlichen Familie hatte. Vielleicht nicht den Zugang, den sie tatsächlich benötigte, doch es war ein Anfang und diese Möglichkeit würde sie nicht verstreichen lassen.
Das es dennoch absurd war, wie eindringlich er war, obwohl er sie nicht kannte...es war unverständlich für sie. Ja, sie selbst war auch verzaubert gewesen von seinen Augen und fand ihn auch attraktiver, als ihr lieb war, doch das war es auch. Wenn sie diesen Mann ansah, sah sie nur einen weiteren Unterstützer der heutigen Situation. Sie konnte den Hass nicht abschalten und diese unbändige Wut, nur weil ein schönes Gesicht ihr geschmeichelt hatte.
Sie würde tun, was nötig war. Sie würde ihn dazu bringen, sich so weit in sie zu verlieben, dass er nicht einmal den Verrat rechtzeitig erkennen könnte. Ob sie dabei Schuldgefühle hatte? Nein. Zumindest nicht jetzt, denn er war nichts als ein Fremder. Ein einfacher Mann, der ein Teil von etwas grausamen war. Ein Mann, der einer Fremden viel zu schnell verfallen war, als wäre er eine verloren gegangene Seele, die sich an dem erst besten festkrallte.
Entschlossen legte sie die Tasse weg und öffnete ihren reichlich gefüllten Kleiderschrank. Sie brauchte etwas überzeugendes. Mit diesem Gedanken griff sie nach einem hellgrünen Kleid, mit Stickereien in einem sanften Rosa. Vorsichtig strich sie über die feine Arbeit und befühlte den kalten Saum. Atarahs Atem ging flach, als sie das Kleid angezogen vor dem Spiegel betrachtete, weil es sie unwillkürlich daran erinnerte, wie falsch das alles war. Dass sie hier war, anstatt bei ihrer Familie zu sein. Ihrer Familie, die tot war. Es schmerzte zu sehen, dass die Frau in diesem Spiegel zwar schöne Kleider tragen und von außen hin so tun konnte, als wäre sie glücklich und voller leben, aber in ihren Augen die Lüge bitterböse hervortrat. Sie würde nie so sein.

~~~

>>Atarah<< begrüßte sie Avel, als sie die wenigen Stufen erreichte und zu ihm hinunter lief, auf die belebte Straße. So nah am Schloss war das Elend der Bevölkerung nicht so sehr zu sehen. Auch wenn es für ihren Geschmack dennoch trostlos war. Irgendwie war alles trostlos und manchmal fragte sie sich, ob es nicht vielleicht auch an ihr lag, weil sie beschlossen hatte nur das Schlechte in allem zu sehen, weil sie eine Welt nicht schön reden konnte, in der ihre Eltern so grausam getötet wurden.
>>Avel<< knickste sie leicht, bevor sie sich bei ihm unterhakte. Sie schluckte, als er sich kurz nach vorne beugte. >>Ihr duftet nach Rosen<< stellte er verblüfft fest, woraufhin ihr griff um seinen Arm fester wurde. >>Ihr riecht an mir?<< rutschte es ihr heraus und sorgte damit dafür, dass er lachte. >>Aus eurem Mund klingt das, als wäre ich ein Verrückter.<< stellte er fest, bevor er leicht den Kopf schüttelte. >>Nein. Ich habe nicht an euch gerochen meine Schöne. Der Wind hat ihn zu mir getragen.<<
>>Oh<<erwiderte sie nur und ließ sich von ihm führen. >>Habt ihr schon einmal Eis gegessen Atarah?<< Verwirrt schaute sie seitlich zu ihm auf, während sie die kleine Ladenstraße hinabliefen. >>Nein, was genau ist das?<< fragte sie mit echter Neugier und stellte mit Verzückung fest, dass er auf der linken Wange ein Grübchen hatte, als er voller Freude lächelte. >>Etwas, dass ihr mit Sicherheit lieben werdet.

Wie recht er hatte. Nicht einmal zehn Minuten danach, hatten sie sich an einem kleinen Stand angestellt und nicht einmal fünf Minuten danach, hatte sie die köstliche gefrorene Schokolade in ihrem Mund. >>Unfassbar<< stieß sie aus und vergaß tatsächlich für einen Moment ihre Manieren, die sie sich aufgezwungen hatte.
>>Ich habe doch gesagt, ihr werdet es lieben.<< grinste er und aß ebenfalls an seinem Eis.
>>Wer seid ihr eigentlich genau Avel? Ich kenne nichts, als euren Namen.<< stellte sie fest, bevor sie einen weiteren Löffel gefüllt mit dem Eis, zu ihrem Mund wandern ließ.
Eine Anspannung schien sich auf ihn zu legen bei ihrer Frage und genau das machte sie so stutzig. Er sah kurz um sich, bevor er sie an ihrem Arm mit sich zog, zu dem Hafen. Bedacht darauf eine ruhige Ecke zu suchen, die nicht so überfüllt war von den treibenden Menschen.
>>Avel? Das war eine einfache Frage und ihr tut so, als wäre sie schlimm.<< warf sie ihm vor, als er ein weiteres mal um sich sah.
Tief Luft holend, brach er endlich die angespannte Stille. >>Nun. Da ich wirklich ehrlich mit euch sein möchte Atarah.<< zuckte er mit den Schultern. >>Ich bin der Kronprinz.<<
Atarah spürte nicht, wie der Becher aus ihrer Hand fiel und das kalte Eis auf dem Boden auf kam.
>>Mist<< fluchte sie, als die Schokolade den Saum ihres Kleides beschmutzte. Sie wollte sich gerade herunterbeugen, um es zu säubern, als auch schon Avel sich hinunter beugte. Mit einer einfachen Handbewegung seinerseits, verschwanden die Flecken, als wären sie nie da gewesen.
>>Ihr...<< hörte sie sich verwirrt sagen und versuchte dabei krampfhaft die Fassung wiederzugewinnen. Sie hatte erwartet, dass er eine wichtige Rolle spielte, doch der Kronprinz? Jetzt, wo sie ihn näher betrachtete, fiel ihr erst auf, wie anders er wirkte. Als sie ihm das erste mal begegnet war, wirkte er eher wie jemand, der nichts tat, als seine Tage im Bett zu verbringen. Doch dieser Mann. Sie sah es mit einer Wucht und verfluchte sich innerlich selbst, dass sie es nicht schon vorher bemerkt hatte.
Krampfhaft versuchte sie ihren Zorn hinunterzuschlucken. Sie hätte nicht gedacht, dass ihre Wut sich auf den Sohn des Königs übertragen könnte, doch genau das geschah gerade. Zum ersten mal hatte sie jemanden vor sich, auf den sie all diese Gefühle niederschmettern konnte, doch sie durfte nicht. Sie durfte es einfach nicht, denn sonst würde sie niemals an den König oder seine Frau herankommen. Ihren Sohn zu vernichten, würde nicht ausreichen. Krampfhaft ballte sie ihre Hände zu Fäusten und wandte sich kurz ab, um sich zu fangen und hinderte noch rechtzeitig seine Hand grob von sich abzuwerfen, als er diese auf ihre Schulter legte. Sie wollte Schreien, doch alles was sie zustande brachte, war ein Lächeln auf ihre Lippen zu setzen. Ein Schwert zu führen war einfacher. Viel einfacher, als diese Lüge von sich selbst aufrechtzuerhalten. Viel einfacher als sich nun zu diesem Mann zu drehen und so zu tun, als würde sie ihm nicht am liebsten den Kopf von seinem Körper trennen.
Sie lächelte und zerbrach in tausend Teile.

The Broken Love-Du gehörst Mir Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt