The truth is rarely pure and never simple.
Oscar Wilde
_________________________Atheisten fühlten sich nie besonders wohl in Kirchen, und Harper stellte keine Ausnahme dar. Sie war zu der Kirche ihrer Kindheit zurückgekehrt, sogar zu derselben alten Bank, ohne zu wissen, was sie hier verloren hatte. Noch dazu auf den Knien.
Sie glaubte nicht an die Fürsprache der Jungfrau und war sicher, dass es nichts nützen würde, die Hände mit gekreuzten Daumen zum Gebet zu falten, wie auf einem dieser kitschigen Kommunionbildchen. Aber sie tat es trotzdem, denn ihre Füße hatten sie wie von selbst hierhergetragen, und ihre Hände gehorchten ebenfalls einer unbewussten Botschaft.
Harper war eine Katholikin mit Autopilot. Es war vollkommen still in der Kirche, wie immer an den Wochentagen, wenn gerade keine Beerdigung stattfand. Sie kannte die rhythmischen Abläufe im Gotteshaus so gut wie ihre eigenen. Ein paar ältere Leute saßen in den vorderen Banken, genau wie damals, als sie noch klein war, nur dass es jetzt Altersgruppe der Freunde ihrer verstorben Eltern waren, die jeden Tag zum Beten hierherkamen. Mit den Augen ging sie die Reihe der silbergrauen Köpfe ab, kannte aber keinen davon, was ihr ganz lieb war, in Anbetracht der Pistole neben ihren Knien.
Harper atmete nun wieder leichter. Der Raum war so düster wie eh und je, weil die Deckenlampen in den alten Fassungen ihr Licht nur in das hohe Gewölbe verströmten. Das Kammerlicht brachte die blutroten Motivkerzen zu beiden Seiten des Altars gut zur Geltung, ebenso die lebhaften Grün- und Goldtöne der Buntglasfenster mit den Stationen des Kreuzwegs. Die hellen Lampen über dem weißen Marmoraltar leuchteten scheinbar von innen heraus, ein Effekt wie ihn kein Bühnenbildner besser hätte erzielen konnten. Doch die hellste Stelle im Kirchenschiff, illuminiert von einem einzelnen, weißen Strahler, war ein Abbild des Leidens.
Ein riesiges goldenes Kreuz mit einem lebensgroßen Christus daran hing zwischen Altarraum und Gemeinde. Die blauen Augen der Statue waren in vergeblichem Flehen gen Himmel gerichtet, und gemalte Blutstropfen flossen von der Dornenkrone über ihr Antlitz.
Selbst jetzt noch, als erwachsene Frau und Anwältin, fiel es Harper schwer, sie anzusehen. Als Kind hatte sie der Gedanke nicht losgelassen, wie es sich wohl anfühlte, wenn man einen Kranz aus Dornen auf den Kopf gedrückt und Nägel durch Hände und Füße getrieben bekam. Doch als sie nun in ihrer Bank kniete und mit gefalteten Händen zu dem Kreuz aufsah, verstand Harper, warum sie gekommen war.
Die Kirche hatte sich nicht verändert, alles war noch genauso wie damals. Das kühle, glatte Holz der Bänke. Der hohle, hallende Klang, wenn jemand hustete. Die vereinzelten Farbtupfer, der weißglühende Bühnenmittelpunkt. Außerhalb ihrer Mauern hatte sich alles verändert. Harper hatte ihren Mann verloren, ihre Eltern, ihren Job und einen interessanten Detektiv kennen gelernt.
Aber die Kirche war immer noch dieselbe. Sie war dieselbe und würde es immer bleiben. Warum? Weil es schon immer so gewesen war. Harper erkannte durchaus den Zirkelschluss ihrer Logik und wusste, dass die Zeit nur unter diesem Dach stehen blieb, aber sie fühlte sich trotzdem getröstet.
Denn sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen.
Sie murmelte die Worte leise vor sich hin und ließ noch andere Gebete folgen, von denen sie nicht gedacht hatte, dass sie sich an sie erinnerte. Sie musste sie im Gehirnlappen für nutzlose Informationen abgespeichert haben, zusammen mit den Texten von Rap Songs und den Vorschriften für Wechselgeschäfte nach dem Handelsgesetzbuch.
Auch die Gebete hatten sich im Laufe der Jahre nicht verändert, und ihr altvertrauter Rhythmus beruhigte und entspannte sie. Die Worte kamen ihr flüssig über die Lippen, während sie die Gerüche und Geräusche dieser ewigen Welt in sich aufnahm, die so freundlich und großzügig war, ihr auch nach all dieser Zeit Frieden und Raum für ihre Gedanken zu schenken.
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sherlock holmes und die verschwörung um harper adams
FanfictionEs erscheint einfach. 𝘡𝘶 einfach. Die angesehene Anwältin Harper Adams hat gestanden, ihren Exmann ermordet zu haben, doch das fällt Detective Inspector Greg Lestrade schwer zu glauben, denn Harper macht trotz ihres Geständnisses nicht den Eindru...