1. Florian - ungebetener Gast

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34 Tage bis Weihnachten... 16 plus ein Bonuskapitel hätte ich für euch...

Jeden zweiten Tag ein Kapitel um die Vorweihnachtszeit zu verkürzen, wie klingt das?

Viel Spaß mit dieser kleinen, weihnachtlichen Geschichte... Und eine wunderschöne Adventszeit...

Liebe Grüße, Jo

Ps:Jedes Kapitel hat einen relativ passenden Song...(Die rauszusuchen hat gefühlt länger gedauert, wie die Geschichte zu schreiben 🙈😉🙈) ...den ich euch verlinke...

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1. Florian - ungebetener Gast

Hurts - All I Want for Christmas Is New Year's Day

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„Was zu Hölle ...", mir blieben im wahrsten Sinne die Worte im Halse stecken. Fassungslos, den Türgriff fest umklammernd, weil ich das Gefühl hatte gleich aus den Latschen zu kippen, stand ich da und vermochte nicht einmal zu blinzeln. Das hier war nicht wahr! Konnte es einfach nicht. Ich musste träumen. Ganz bestimmt träumte ich! Das war die einzig logische Erklärung.

„Hey Flo. Kann ich rein?", wollte er wissen und bevor ich irgendwie darauf reagieren konnte, schlüpfte er an mir vorbei in die Wohnung hinein. Kurz streifte seine Schulter die meine und sein nur allzu vertrauter Geruch stieg mir in die Nase. Ich sah ihn, roch ihn, spürte ihn, hörte ihn, und dennoch hatte ich das Gefühl an Realitätsverlust zu leiden. Mich in einem Albtraum zu befinden.

„Was ... wie ...", fing ich an zu stottern, nachdem ich mich langsam umdrehte und den Mann vor mir musterte. Wie er so da stand in seinem knielangen, schwarz melierten Wollmantel, den extremlangen, schwarzen Schal gefühlt fünfmal um den Hals geschlungen. Die Spitzen seines blonden Haars lugten unter der Mütze hervor. Seine haselnussbraunen Augen funkelten spöttisch, während er mich anstrahlte, als hätte er oder ich im Lotto gewonnen.

Nun ja, ich hatte bestimmt nicht gewonnen. Rein gar nichts. Dafür verloren. So viel verloren!

„Zur Hölle, Micha!", fluchte ich erneut, nach dem ich mich geräuspert hatte. „WAS willst du HIER!", fuhr ich ihn an.

Verdammt, ich fühlte mich, als wäre ich in einem falschen Film. Was war hier los? Was zum Teufel wollte er hier? Heute? Ausgerechnet heute? Gut, jeder andere Tag wäre wohl genauso beschissen gewesen, nichtsdestotrotz war heute keine echte Option! Nicht, wenn er auch nur einen Funken Feingefühl besitzen würde. Aber nach der Nummer, die er mit mir abgezogen hatte, war die Frage wohl überflüssig.

Das Lächeln auf seinen schmalen Lippen fiel in sich zusammen und sein Blick irrte nervös umher, blieb kurz an seinen Schuhspitzen hängen, als würde er nicht genau wissen, was er nun antworten sollte.

Richtig so! Es gab keinen Grund zu lächeln, absolut gar keinen. Doch dann biss er sich auf die Lippe, schloss kurz die Augen, öffnete sie wieder und begegnete meinem Blick. Herausfordernd. Entschlossen. Zum Kampf bereit.

„Ich sagte doch, ich komme wieder.", flüsterte er schließlich rau und mein Herzschlag setzte aus.

Ich hatte mit vielem gerechnet. Mit einer Entschuldigung. Mit einer Ausrede. Mit keine Ahnung was ... Völlig in Schockstarre öffnete ich meinen Mund, aber mein Hirn schien leergefegt zu sein und nicht mehr mit meinem Sprachzentrum zu kooperieren. Das hatte er gerade nicht allen Ernstes gesagt? Das, das konnte er nicht wirklich so meinen! Das ... war doch Irrsinn?

Vielleicht hatte ich einen Schlaganfall? Oder einen Unfall und lag im Koma? Irgendwas musste doch passiert sein, dass diese Situation hier erklärte. Es war verrückt. Absurd. Und ich, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, während ich ihn unaufhörlich anstarrte.

„Flo?", fragte er schon fast schüchtern und streckte seinen Arm aus, um mich zu berühren. Automatisch wich ich zurück. Kam an die Tür, die durch meinen Schwung krachend ins Schloss fiel und mich zusammenzucken ließ.

Er sollte mich ja nicht anfassen. Er hatte kein Recht dazu. Kein Recht hier zu sein, mein Leben erneut auf den Kopf zu stellen. Alles aus der Bahn zu werfen und mich in ein Chaos der Gefühle zu stürzen. Selbst das eine Mal war schon zu viel gewesen.

„Was hast du gesagt?", fragte ich tonlos, auch wenn ich jedes seiner Worte verstanden hatte. Immerhin brannten sie sich gerade regelrecht in mein Gehirn. Schnürten mir den Hals zu und gaben mir das elende Gefühl zu ersticken.

„Ich habe dich vermisst.", überging er meine Frage und wieder war da dieses schüchterne Lächeln, das dafür gesorgt hatte, das ich mich damals in ihn verliebt hatte. Und zum Teufel, auch jetzt verfehlte es seine Wirkung nicht. Die Nackenhärchen stellten sich mir auf, mein Mund wurde trocken und meine Handflächen feucht, während das Ungeziefer in meinen Eingeweiden sein Eigenleben entwickelte. Das war falsch! Auf so vielen Art und Weisen falsch! Ich wollte das nicht. Wolle es nie wieder fühlen. Er sollte verschwinden, mit dem Pack an Worten, die er sich scheinbar zu recht gelegt hatte. Die sowieso nur verletzen konnten. Denn es gab absolut nichts, was er sagen oder tun konnte, um wieder gut zu machen.

Wieder sah ich die Bilder vor meinem inneren Auge, die ich einfach nicht verbannen konnte.

Es war ein wunderschöner Herbsttag gewesen. Ich war auf dem Weg ins Krankenhaus, um meinem Opa nach einer Op wegen einer Oberschenkelhalsfraktur zu besuchen. War wie immer im Stress und lief, ohne auf den Weg zu achten, bis ich plötzlich gegen etwas Hartes stieß, taumelte und hart auf meinem Allerwertesten landete. Erschrocken und nach Luft japsend blickte ich hoch und erstarrte. Da war er. Das Licht der tiefstehenden Oktobersonne brach sie in seinem blonden, verstrubbelten Haar und ließ es wie einen Heiligenschein leuchten. Mir blieb der Atem weg, als er sich vorbeugte, und ich sein hübsches Gesicht erkennen konnte. Diese Augen, dieses Lächeln, als er mir seine Hand hinstreckte und ein: „Sorry.", murmelte. Der tiefe Bass seiner Stimme kroch tief in mich hinein und erzeugte eine Gänsehaut.

So, genau so, hatte ich mir immer diesen einen Augenblick vorgestellt. Wenn plötzlich die Welt still stand, nichts mehr eine Rolle spielte. „Hast du dir weh getan?", fragte er nun besorgt. Ich sah zu ihm hoch, dann auf seine Hand runter und musste mich erst einmal sammeln, um zu begreifen, was er von mir wollte. Doch dann ergriff ich seine Hand. Spürte die warmen Finger, die sich um meine schlossen, und fühlte das Kribbeln, dass sich rasend schnell seinen Weg durch mein Herz-Kreislauf-System bahnte und alles in Flammen setzte. Ich musste ihn loslassen. Loslassen bevor es peinlich wurde. Für einen Augenblick verharrte ich trotzdem noch so, ließ das Gefühlschaos zu und genoss es, bevor ich seine Finger losließ und meine Hand zurückzog.

Da war er, dieser eine Augenblick, der alles veränderte. Für eine Sekunde, nur eine einzige, in der er zögerte und mich nicht losließ. Mein Blick schoss nach oben und unsere Blicke trafen sich. Ein schüchternes Lächeln huschte über seine Lippen, während er mich losließ. Widerwillig. Ich entschuldigte mich und wagte mein Glück. Fragte ihn, ob ich ihn als Wiedergutmachung auf einen Kaffee einladen konnte. Er zögerte, schien zuerst mit sich zu hadern, doch dann, war da wieder dieses Lächeln, was mich schwach werden ließ und er nickte. Und so fing unsere Liebesgeschichte an, nur um wenige Wochen später genauso plötzlich zu Enden, wie sie begonnen hatte.

Nun war ich es, der kurz die Augen schloss. Tief durchatmete. Mich versuchte zu konzentrieren. Auch wenn ich immer noch völlig überfordert war. Dann kramte ich alle restlich verbliebenen Nerven zusammen, öffnete wieder die Augen und sah ihm direkt ins Gesicht. Wut übernahm die Führung, die Ader auf meiner Schläfe pochte und ich ballte meine Hände zu Fäusten. All die Zeit, all die Wut, die sich währenddessen angestaut hatte, machte mein Gefühlschaos perfekt.

„Du hast gesagt ich komme GLEICH!", betonte ich das letzte und doch so entscheidende Wort. „GLEICH!", wiederholte ich und schüttelte ungläubig den Kopf. „Das war vor einem Jahr! Als du kurz gegangen bist, um Zigaretten zu holen? Weiß du noch?" Gegen Ende wurde meine Stimme immer lauter. „Ein Jahr, Micha! Also was zum Henker willst du hier?" Meine Stimme bebte, ach was sagte ich da, mein ganzer Körper bebte. Ich fühlte mich leer und unter Strom zu gleich. Ein irrwitziges Gefühl.

Ein Jahr. Fast auf den Tag genau. Denn damals war ebenfalls Sonntag gewesen. Der vierte Advent. Der Tag, der alles veränderte.

Last Christmas - my fuckig life as a x-mas soundtrack Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt